Feb 14, 2023
67 Views
Comments Off on Großbritannien: Sunaks politisches Schicksal entscheidet sich in Nordirland
0 0

Großbritannien: Sunaks politisches Schicksal entscheidet sich in Nordirland

Written by Torsten Riecke

London Die Verhandlungen zwischen der britischen Regierung und der EU über das umstrittene Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags stehen kurz vor dem entscheidenden Durchbruch. „Wir sind ziemlich weit“, bestätigen Diplomaten in London die Fortschritte in den geheimen Verhandlungen. Danach wollen beide Seiten bis spätestens Ende Februar einen Kompromiss darüber vorlegen, wie künftig der Warenverkehr zwischen der nordirischen Provinz und dem Rest Großbritanniens geregelt werden soll.

Ob mit dem Kompromissvorschlag allerdings auch der jahrelange Streit zwischen London und Brüssel beendet wird, hängt entscheidend davon ab, ob der britische Premierminister Rishi Sunak den Deal gegen die harten Brexit-Verfechter in seiner Partei durchsetzen kann.

„Seine parteiinternen Kritiker könnten ihm das politische Überleben sehr schwer machen“, warnt der frühere Vizepremier Michael Heseltine, der in der konservativen Partei für eine Wiederannäherung an die EU wirbt.

Störmanöver gegen Sunak könnten sowohl von der sogenannten „European Research Group“ (ERG) kommen als auch vom ehemaligen Brexit-Unterhändler David Frost und dem Ex-Premier Boris Johnson. Zum Stolperstein für eine Einigung mit Brüssel könnte dabei die künftige Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei Streitfragen im Nordirland-Handel werden.

Den Widerstand der London-treuen Unionisten in Nordirland will der Premier dagegen offenbar mit einem politischen Manöver aushebeln.

Sollte Sunak im parteiinternen Streit die Oberhand behalten, wäre der Weg frei für eine Annäherung Großbritanniens an die EU auch in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der britischen Beteiligung am europäischen Forschungsprogramm Horizon. Aber auch in der Sicherheitspolitik, der Energieversorgung und bei Migrationsfragen sieht London inzwischen wieder Spielräume für eine engere Zusammenarbeit mit den früheren EU-Partnern.

Sunak muss jeglichen Kompromiss gegen innerparteiliche Gegner durchsetzen

Zu weit kann der Premier sich derzeit aber nicht vorwagen, weil jede Annäherung an die EU von den Brexit-Hardlinern als Verrat am Brexit-Referendum von 2016 angeprangert wird, was wiederum die politischen Chancen mindert, dass ein Deal mit Brüssel überhaupt zustande kommt. „Der Stimmungsumschwung beim Brexit macht eine Einigung im Streit über Nordirland sogar noch schwieriger“, sagt der Tory-Grande Heseltine.

So kritisierte Brexit-Anhänger Frost ein „Geheimtreffen“ von Befürwortern und Gegnern des EU-Austritts aus Wirtschaft und Politik am Wochenende in Ditchley. Das sei ein „weiterer Beweis dafür, dass viele in unserem politischen und wirtschaftlichen Establishment die Vereinbarungen, die wir getroffen haben, um 2020 aus der EU auszutreten, rückgängig machen und stattdessen im Schatten der EU bleiben wollen“. An dem Treffen hatten auch der frühere Brexit-Vorkämpfer und heutige Minister Michael Gove sowie der Labour-Politiker Peter Mandelson teilgenommen.

Protest in Nordirland

Unionisten protestieren gegen das Nordirland-Protokoll in Belfast (Archivfoto).



(Foto: Reuters)

Tatsächlich wächst im Königreich die Zahl jener, die den Austritt aus der EU für einen Fehler halten. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unherd sind nur noch in drei der 632 Wahlkreise in Großbritannien die Wähler mehrheitlich für den Brexit. 54 Prozent der Befragten bereuen inzwischen die Entscheidung von 2016.

Auch der frühere konservative Premierminister John Major nennt den Brexit „einen kolossalen Fehler“. Einen Grund für die Missstimmung nannte am Montag Jonathan Haskel. Der britische Ökonom und Geldpolitiker schätzt den wirtschaftlichen Schaden des Austritts allein durch geringere Investitionen der Wirtschaft auf rund 1000 Pfund (etwa 1300 Euro) pro Haushalt.

Kürzlich hatte der britische Pharmakonzern Astra-Zeneca angekündigt, ein neues, 320 Millionen Pfund teures Werk nicht wie geplant in Nordengland, sondern in Irland zu bauen.

Kern des Kompromisses zwischen London und Brüssel im Nordirland-Streit sind technische Erleichterungen für den Güterverkehr vom Rest Großbritanniens nach Nordirland durch ein System „vertrauenswürdiger Händler“. Nachdem sich beide Seiten kürzlich auf den Austausch von Handelsdaten in Echtzeit geeinigt haben, sollen Waren, die direkt für Nordirland bestimmt sind, künftig ohne strikte Zollkontrollen auf einer „grünen“ Spur durchgewinkt werden. Für Güter, die von Nordirland weiter in die EU eingeführt werden sollen, wird es dagegen bei strikten Kontrollen auf einer „roten“ Zollspur bleiben.

Dass dieser Kompromiss jetzt überhaupt Chancen hat, realisiert zu werden, liegt vor allem daran, dass die britische Regierung die Verhandlungen über das Nordirland-Protokoll von der Bildung einer Regionalregierung in Belfast trennen will. Bislang weigert sich die Democratic Unionist Party (DUP) als stärkste Kraft der Unionisten, einer Regierung unter Führung der proirischen Partei Sinn Fein zuzustimmen, solange das Nordirland-Protokoll nicht in ihrem Sinne verändert wird.

Umstrittene Zollgrenze

Protest gegen die derzeitige Zollgrenze zwischen Nordirland und der britischen Insel in der Irischen See.



(Foto: Reuters)

Der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris hat jetzt jedoch die Frist für eine Regierungsbildung in Belfast noch einmal um ein Jahr bis zum 18. Januar 2024 verlängert und damit der DUP signalisiert, dass eine Einigung mit Brüssel auch ohne ihre Zustimmung möglich ist. David Jones vom rechten Parteiflügel der Tories warnt bereits: „Wenn die Regierung will, dass ein Abkommen Bestand hat, dann muss es für die Unionisten akzeptabel sein.“

Ihnen geht es vor allem um Zusicherungen, mit der die Provinz politisch und wirtschaftlich stärker an das Königreich gebunden werden soll. Nordirland dürfe nicht wie eine „Kolonie der EU“ behandelt werden, fordert DUP-Chef Jeffrey Donaldson.

Im Karfreitagsabkommen von 1998 ist festgehalten, dass eine Regierung nur mit der Zustimmung der beiden früheren Bürgerkriegsparteien gebildet werden kann. Ex-Premier Major schlägt jetzt jedoch vor, das Friedensabkommen nach 25 Jahren zu reformieren. „Wenn man es überarbeiten würde, könnte man vielleicht ein paar Dinge finden, die man aktualisieren würde“, sagte Major.

In Brüssel bleibt man dennoch skeptisch, ob Sunak politisch stark genug ist, den nordirischen Knoten in seiner Partei zu durchschlagen. „Das Verhandlungsergebnis ist von der Regierung in London bislang in keiner Weise vorbereitet worden“, heißt es in diplomatischen Kreisen.

Streit über die Rolle des Europäischen Gerichtshofs

Wie dünn das politische Eis ist, auf dem sich Sunak bewegt, zeigt die Debatte über den EuGH. Der Gerichtshof in Luxemburg ist nach den EU-Verträgen in allen rechtlichen Streitfragen des europäischen Binnenmarkts zuständig. Da Nordirland nach dem von London mitunterzeichneten Brexit-Vertrag quasi weiterhin zum EU-Binnenmarkt gehört, kollidieren hier europäisches Recht und britische Souveränität.

„Der Gerichtshof kann bei der künftigen Regelung keine gerichtliche oder schiedsrichterliche Rolle spielen. Ich halte es für besser, wenn dies eher früher als später anerkannt wird“, hatte der Brexit-Unterhändler Frost bereits vergangenes Jahr eine rote Linie gezogen.

Dennoch ist Sunak offenbar gewillt, die Zuständigkeit des EuGH nicht grundsätzlich infrage zu stellen. Ein Kompromiss könnte nach Meinung von Beobachtern darauf hinauslaufen, dass die meisten Streitfälle künftig von nordirischen Gerichten entschieden werden, die im Notfall aber den EuGH einschalten könnten.

Die EU beharrt darauf, dass die Kommission in Brüssel ihr Recht behält, direkt die Richter in Luxemburg einzuschalten.

Mehr: Wie Truss und Johnson Großbritanniens Premier Sunak in die Enge treiben



<< Den vollständigen Artikel: Großbritannien: Sunaks politisches Schicksal entscheidet sich in Nordirland >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.