Feb 15, 2023
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Reform des Stabilitätspakts: Wie Christian Lindner die europäischen Schuldenregeln retten will

Written by Martin Greive


Helsinki Es läuft gerade nicht rund für FDP-Chef Christian Lindner. Exakt in der Sekunde, als der Bundesfinanzminister am Mittwochmorgen die Regierungsmaschine betritt, gehen alle Lichter aus. Die Technik versagt. Das, gibt der Kapitän durch, sei wirklich noch nie passiert.

Lindner lächelt das kleine Vorkommnis weg und stapft gut gelaunt durchs Flugzeug. Die Technik funktioniert auch wieder, die Maschine nach Helsinki hebt ab. Dort trifft Lindner mit seiner Ressortkollegin Annika Saarikko zusammen, eine Verbündete im Kampf für solide Staatsfinanzen in Europa.

Nachdem ausgerechnet er als liberaler Finanzminister in der Energiekrise Rekordschulden machen musste, will Lindner in diesem Jahr den finanzpolitischen Schalter umlegen. Daheim will er die Schuldenbremse einhalten. Und in Europa ein ungehemmtes Schuldenmachen verhindern.

Wenn bis Jahresende nicht eine Reform steht, treten zum 1. Januar 2024 die EU-Schuldenregeln wieder in unveränderter Form in Kraft. Für hochverschuldete Mitgliedstaaten würde das einen scharfen Sparkurs bedeuten, den noch nicht mal Verfechter einen strikten Sparpolitik für sinnvoll halten. Die Regeln sind seit Beginn der Pandemie ausgesetzt, zuletzt wurde die Ausnahmeregelung aufgrund des Ukrainekriegs noch bis Ende 2023 verlängert.

Die Zeit, eine Reform auf den Weg zu bringen, drängt also. Doch von einem Kompromiss sind die EU-Staaten weit entfernt. Eine Gruppe hochverschuldeter Länder, angeführt von Italien, will größtmögliche Flexibilität beim Schuldenabbau. Andere Regierungen, allen voran Deutschland und Österreich, warnen vor einer Aufweichung der Regeln.

Um die Widerstandsfront zu stärken, ist Lindner diese Woche zu einer Art „Road-Show“ durch Europa aufgebrochen. Am Dienstag besuchte er die niederländische Finanzministerin, am Donnerstag reist Lindner nach Wien zum österreichischen Kollegen. Und zwischendurch der Trip nach Helsinki. 

Lindners Road-Show ist ein Signal nach Brüssel

Lindner weiß Finnland im Kampf gegen eine Aufweichung der Schuldenregeln an seiner Seite. In der Euro-Gruppe ist die finnische Finanzministerin eine der wenigen, die noch härter auf Finanzdisziplin pocht als Lindner. Als „starke Stimme“ für stabile Staatsfinanzen rühmt Lindner seine Kollegin.

Umgekehrt fällt die Begrüßung für Lindner in Helsinki freundlich aus. Die Straßen in der finnischen Hauptstadt werden eigens für ihn gesperrt, eher ungewöhnlich für einen Finanzminister.

Der Besuch Lindners ist ein Signal: Die Staaten Nordeuropas stehen in ihrem Kampf gegen für robuste EU-Schuldenregeln zusammen. Vor einem neuen Bündnis stabilitätsorientierter Staaten, wie es sie früher gab, will Lindner aber nicht sprechen. Deutschland suche nach Lösungen, „die für alle Staaten passen“.

Christian Lindner

Der Bundesfinanzminister sieht die Reformvorschläge der EU-Kommission zu den Schuldenregeln kritisch.


(Foto: IMAGO/Lehtikuva)

Nicht passend sind aus Sicht Lindners allerdings die Reformvorschläge der EU-Kommission. Der Stabilitätspakt schreibt vor, wie viele Schulden die EU-Staaten machen dürfen: Nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr, nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftskraft insgesamt.

>> Lesen Sie hier: Wie die neuen EU-Schuldenregeln aussehen und welche Bedenken es gibt

Durch die vielen Krisen sind die Schuldenstände vieler EU-Staaten jedoch auf mehr als 100 Prozent gestiegen, die Schuldenobergrenze ist damit überholt. Müsste Italien wie jetzt vorgeschrieben innerhalb von 20 Jahren die Schuldenobergrenze einhalten, müsste das Land so stark sparen, dass es im schlimmsten Fall zu sozialen Unruhen kommen könnte.  

Lindner ist deshalb bereit, an diese so genannte „Ein-Zwanzigstel-Regel“ ranzugehen. Auch räumt der Finanzminister ein, dass die bisherigen Schuldenregeln nicht funktioniert haben. So ist Portugal eine Konsolidierung gelungen, während der Schuldenstand Frankreichs trotz gleichen Wirtschaftsumfelds gestiegen ist. Eine Reform ist also unausweichlich.

Lindner lehnt mehr Macht für Brüssel ab

Die Reformvorschläge der EU bedeuten aus Lindners Sicht aber zu viel Macht für Brüssel. Nach Vorstellung der Kommission soll künftig jedes Land einen maßgeschneiderten mehrjährigen Schuldenabbauplan mit Brüssel vereinbaren.

Überschuldete Staaten müssen binnen vier Jahren einen nachhaltigen Abbaupfad erreichen, der auf sieben Jahre verlängert werden kann. Bei einer Abweichung würde ein Defizitverfahren eingeleitet, das ein Land unter die verschärfte Aufsicht der Kommission stellt.

Lindners Befürchtung: die Absprachen zwischen Mitgliedstaaten und der Kommission könnten zu großzügig ausfallen. Die vorgeschlagene Schuldenanalyse der EU-Kommission sei „voller politischer Annahmen“, sagt Lindner in Helsinki. „Sonderwege für einzelne Staaten darf es nicht geben.“

Im Moment hat sich die Schuldenlage in Europa zwar entspannt. Die hohe Inflation lässt die Schuldenstände sinken, die Länder geben gemessen an ihrer Wirtschaftskraft verhältnismäßig wenig für den Schuldendienst aus.

>> Lesen Sie hier: Streit um neuen Schuldenfonds – so viel Geld hat die EU noch in Reserve

Doch durch die hohe Inflation werden die Regierungen mit der Zeit deutlich mehr für den Schuldendienst ausgeben müssen, warnt Lindner. Für ihn sei vorstellbar, „den Zeitplan zum Schuldenabbau zu flexibilisieren, aber nicht die Richtung des Schuldenabbaus“.

Widerspruch kam umgehend. Der frühere IWF-Chefökonom Olivier Blanchard twitterte, man könne wirtschaftliche Unterschiede von Ländern nicht ignorieren. Wer das wie Lindner tue, „generiert die gleichen Fehler wie bei den bestendenden Regeln“ – und mache sie wirkungslos. Lindner wies die Kritik zurück. Numerische Regeln sorgten  für mehr Unklarheit und Unsicherheit, auch an den Finanzmärkten. Deshalb brauche man klare Regeln für alle.

Lindner stellte sich bei seinen europäischen Amtskollegen einst als „freundlicher Falke“ vor. Auch in Helsinki kramt er die Selbstbeschreibung hervor. In der Debatte um die Reform der EU-Schuldenregeln dürfte es mit der Freundlichkeit auf allen Seiten aber bald vorbei sein.

Mehr: Reform der EU-Schuldenregeln droht zu scheitern



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