Berlin Fiebersäfte, wichtige Antibiotika, sogar Krebsmittel sind in Apotheken immer wieder schwer zu bekommen. Mehr als 400 Medikamente finden sich derzeit auf der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Medikamente, die nicht vorrätig sind.
Eine Umfrage des Industrieverbands Pro Generika unter seinen Mitgliedsunternehmen zeigt nun, dass die Lage auch künftig angespannt bleiben dürfte. Sie liegt dem Handelsblatt exklusiv vor.
An der Umfrage nahmen zehn Unternehmen teil, die insgesamt rund zwei Drittel der in Deutschland benötigten patentfreien Arzneimittel, sogenannte Generika, herstellen. „So haben wir einen sehr breiten Einblick in die Einschätzung der Lage“, teilte der Industrieverband mit. Alle haben ihren Sitz in Deutschland. Generika machen den größten Anteil der verkauften Arzneimittel aus.
30 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, zwischen zehn und 50 Prozent ihrer Arzneimittel in den kommenden zwölf Monaten aus dem Portfolio zu streichen. 70 Prozent sagten, dass sie bis zu zehn Prozent nicht mehr anbieten werden.
Besonders betroffen sind nach Angaben der Unternehmen die Wirkstoffe in Antibiotika, das Opiod Oxycodon, das Antidepressivum Venlafaxin, das Herzmedikament Ivabradin, der Cholesterinsenker Colestyramin, der Blutdrucksenker Bisoprolol und Metoclopramid, das die Übelkeit nach Operationen senkt.
Generika-Hersteller klagen über Erträge im Cent-Bereich
Generell seien Produktgruppen mit einer geringen Patientenzahl und niedrig angesetzten Festbeträgen betroffen, hieß es. So sagten 20 Prozent der befragten Unternehmen, dass zwischen 50 und 80 Prozent ihrer Arzneimittel voraussichtlich unwirtschaftlich werden. 40 Prozent sagten zwischen zehn und 50 Prozent, wiederum 40 Prozent sagten bis zu zehn Prozent.
„Wir gehen davon aus, dass jedes zehnte Produkt wegen Unwirtschaftlichkeit vom Markt verschwindet“, sagte Bork Bretthauer, Chef von Pro Generika. „Durch die hohe Inflation und die gleichzeitige Unmöglichkeit, ihre Preise zu erhöhen, müssen unsere Unternehmen gerade ihre Produktportfolios überprüfen.“
Die Erträge liegen laut Herstellern oft im Cent-Bereich. Zudem verschwanden in den vergangenen Jahren viele Anbieter vom Markt, was die Versorgungslage mit Arzneimitteln noch verschärfte. Seit Jahren kommt es zu Engpässen. Doch besonders deutlich wurde der Mangel in den Herbst- und Wintermonaten, als Fiebersäfte für Kinder in Apotheken schwierig zu bekommen waren. Gründe dafür waren auch eine heftige Infektionswelle und eine ungewöhnlich hohe Nachfrage.
Wenig Hoffnung gibt es in der Branche, dass der in dieser Woche öffentlich gewordene Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gegen Lieferengpässe an der Lage etwas ändert. Im Gegenteil: „Die Situation wird sich weiter verschärfen“, sagte Bretthauer. „Denn er nimmt sich lediglich ein Prozent der Generika vor – und auch das eher schleppend und beinahe halbherzig.“
Frühwarnsystem und neue Regeln für Vorräte geplant
Konkret will Lauterbach die Festbeträge teilweise aushebeln – etwa für Kinderarzneimittel wie Fiebersäfte – und die Rabattverträge reformieren. Künftig sollen Preisaufschläge von 50 Prozent auf bestimmte Medikamente möglich sein, geht aus dem Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium hervor. Dadurch sollen gesetzliche Krankenkassen zu teureren Einkäufen berechtigt werden.
Wir gehen davon aus, dass jedes zehnte Produkt wegen Unwirtschaftlichkeit vom Markt verschwindet. Bork Bretthauer, Chef von Pro Generika
Zudem sind ein Frühwarnsystem zur Erkennung von drohenden Lieferengpässen und neue Regeln für Vorräte als Sicherheitspuffer geplant. Zum Auffangen kurzfristiger Störungen in der Lieferkette oder kurzzeitiger größerer Mehrbedarfe werde „eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung“ eingeführt, heißt es im Entwurf.
Demnach sollen Krankenkassen und Pharmabranche in Rabattverträgen generell eine „kontinuierliche, versorgungsnahe Bevorratung“ von bestimmten Arzneimitteln vereinbaren – und zwar in Deutschland oder der EU und für eine Menge, die durchschnittlich in drei Monaten abgegeben wird.
Lauterbach hatte bereits im Dezember Eckpunkte vorgelegt, wie der Medikamentenmangel vor allem für Kinder behoben werden kann. Ziel des Papiers war laut Lauterbach auch, einen Teil der Medikamentenproduktion wieder nach Deutschland und Europa zurückzuholen, auch wenn dies Preissteigerungen mit sich bringt.
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Als Grund für die Versorgungsprobleme gilt unter anderem, dass die Krankenkassen bisher beim Kauf von Generika darauf dringen, den billigsten Anbieter auszuwählen. Das führte zur Abhängigkeit von wenigen, billigeren Anbietern in Asien.
Preisdruck
50
Prozent Aufschlag
sollen nach einem Entwurf aus dem Gesundheitsministerium künftig auf bestimmte Medikamente möglich sein.
Lauterbach will deshalb als Kernstück der Reform eine Liste von Arzneimitteln insbesondere zur Behandlung von Kindern bis zur Vollendung des zwölften Lebensjahrs erstellen lassen. Für diese kann der Bund die Preisbindung der Krankenkassen aufheben, sodass der Preis dann um bis zu 50 Prozent vom zuletzt geltenden Festbetrag angehoben werden kann.
Krebsmedikament Tamoxifen bald wieder knapp?
Wie kompliziert die Versorgungslage ist, zeigt sich allerdings nicht nur bei Kinderarzneimitteln. Das Brustkrebsmedikament Tamoxifen etwa war vor knapp einem Jahr nicht mehr lieferbar. Es ist ohne Alternative für die mehr als 100.000 Patientinnen. Monate dauerte es, bis sich die Lage besserte – und spitzt sich nun wieder zu.
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Nachdem in den vergangenen Jahren mehrere Hersteller aus der Produktion ausgestiegen sind, sind noch zwei von ihnen übrig. Mit 80 Prozent Marktanteil ist der Pharmahersteller Hexal der größte Anbieter. Bekommt er Probleme, ist es schwer, den Ausfall durch einen anderen Hersteller zu kompensieren. Zumal Hexal Tamoxifen nicht in Asien, sondern bereits in Deutschland produziert.
„Wir mussten unsere Produktion in den vergangenen Jahren stark steigern, weil Anbieter den Markt verlassen haben“, sagt Hexal-Chef Thomas Wiegold dem Handelsblatt. 2019 waren es 160.000 Packungen, mittlerweile sind es 400.000 pro Jahr. „Damit können wir den Bedarf bedienen, aber mit den jetzigen Kosten können wir die Produktion nicht ewig durchhalten“, sagt er.
„Die Preise wurden über Jahre nicht angepasst, die Produktion allerdings hat sich stark verteuert.“ Anbieter erhalten acht Cent für eine Pille, der Preis hat sich auch nach dem Engpass im vergangenen Jahr nicht verändert.
Mehr: Kassen beschließen Maßnahmen gegen Arzneimittel-Engpass.
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