Berlin Die Erwartungen an den Flüchtlingsgipfel bei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) waren hoch. Viele Städte und Gemeinden sehen sich angesichts der steigenden Zahl von Menschen, die sie aufnehmen müssen, längst an ihrer Leistungsgrenze. Doch bei einer zentralen Frage gab es keine Annäherung: der Finanzierung der Flüchtlingskosten.
Ministerin Faeser machte nach den rund vier Stunden dauernden Beratungen mit Vertretern der Länder und der kommunalen Spitzenverbände unmissverständlich klar: Für die Versorgung der Flüchtlinge, auch aus der Ukraine, werde es keine weitere finanzielle Unterstützung aus Berlin geben.
Faeser betonte, dass der Bund nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine immer „eng an der Seite der Länder und Kommunen“ gestanden habe. Forderungen nach neuen Milliardenhilfen des Bundes für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten hatte die Ministerin schon vor dem Gipfel abgeblockt – mit Hinweis auf die bereits zugesagten 3,5 Milliarden Euro für 2022 und weiteren 2,75 Milliarden Euro für 2023. Nach dem Treffen sagte die SPD-Politikerin, es gebe einen klaren Fahrplan, um mit dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten erneut über Finanzen zu verhandeln – um Ostern herum.
Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, der auch am Gipfel teilnahm, reagierte sichtlich verschnupft. Es sei eine „große Enttäuschung“, dass der Bund nicht bereit sei, die Kommunen weiter finanziell zu unterstützen, sagte er. Das sei auch deshalb „besonders ärgerlich“, weil der Bund letztlich darüber entscheide, wie viele Menschen nach Deutschland kämen und anschließend untergebracht und versorgt werden müssten.
Er bekräftigte, dass er eigentlich lieber mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gesprochen hätte und vor allem über mehr Geld für die Kommunen. „Wir brauchen jetzt dringend Entlastungen“, betonte Sager. Der Druck auf die Kommunen werde täglich größer. Wohnraum sei begrenzt, und es werde immer schwieriger, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zu finden. Daher sei auch beim Umgang mit Flüchtlingen eine „Zeitenwende“ erforderlich.
Knapp 47 Prozent mehr Schutzsuchende als 2021
Die Sorgen der Kommunen kommen nicht von ungefähr. In Deutschland hatten im vergangenen Jahr so viele Menschen Asyl beantragt wie seit 2016 nicht mehr. Knapp 218.000 Menschen stellten laut Jahresstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstmalig in Deutschland ein solches Schutz‧ersuchen. Das waren knapp 47 Prozent mehr als 2021.
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Hinzu kommt ein Vielzahl Schutzsuchender aus der Ukraine. Bislang kamen von dort über eine Million Flüchtlinge in Deutschland an. Sie mussten keinen Asylantrag stellen. Sie erhalten auf Basis einer EU-Richtlinie vorübergehenden Schutz.
Um die Lage in den Griff zu bekommen, soll es nun eine bessere Abstimmung bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen geben. Faeser kündigte ein digitales „Dashboard“, eine Übersicht zur Migration an, das künftig bis auf die Landkreis-Ebene hinunter für „Transparenz“ sorgen soll. Vor allem sei es erstmals gelungen, „feste Arbeitsstrukturen über alle Ebenen hinweg zu vereinbaren“, sagte die Ministerin. Bis Ostern sollten konkrete Ergebnisse zu den Bereichen Unterbringung und Finanzen, Entlastung der Ausländerbehörden und Verschlankung der Prozesse, bessere Integration auch in den Arbeitsmarkt sowie Begrenzung irregulärer Migration erzielt werden.
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Dass hier Fortschritte überfällig sind, betonen nicht nur die Kommunen. Die Stimmung im Land drohe zu kippen, sagte der hessische Innenminister Peter Beuth nach dem Treffen in Berlin. „Deshalb ist es notwendig, dass wir schnell Lösungen finden“, betonte der CDU-Politiker. Nicht alle Probleme seien mit Geld zu lösen, fügte Beuth hinzu. Deshalb gelte es auch, die Migration nach Europa stärker zu regulieren. Auch bei der Rückführung
abgelehnter Asylbewerber müsse man jetzt vorankommen.
Wissenschaftlerin: Kinderbetreuung muss hohe Priorität haben
Das sieht auch Faeser so. Mit Blick auf die steigenden Zahlen der Asylsuchenden etwa aus der Türkei, Syrien oder Afghanistan verwies die Ministerin auf die jüngste Vereinbarung der EU-Staats- und -Regierungschefs, den Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union zu stärken. Zudem müsse es eine konsequente Abschiebung abgelehnter Asylbewerber geben. Dazu soll der neue Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, der FDP-Politiker Joachim Stamp, entsprechende Abkommen mit Drittstaaten aushandeln. Es sei jetzt notwendig, „neue Wege“ zu gehen, sagte Stamp auf der Pressekonferenz nach dem Spitzentreffen. In den Abkommen sollen einerseits Abschiebungen und andererseits der Zuzug von in Deutschland benötigten Fachkräften geklärt werden.
Faeser nach Flüchtlingsgipfel: „Mehr Steuerung, mehr Ordnung und mehr Rückführungen“
Schon jetzt deutet sich an, dass die Flüchtlingsfrage zu einer Daueraufgabe werden könnte. In einer aktuellen Studie zur Situation ukrainischer Geflüchteter in Deutschland gibt rund ein Drittel der Befragten an, für immer oder mehrere Jahre in Deutschland bleiben zu wollen. Ein Drittel will nach Kriegsende in die Ukraine zurückkehren. Es waren mit einem Anteil von 80 Prozent vor allem Frauen, die zwischen Kriegsbeginn und Juni 2022 nach Deutschland flohen, rund die Hälfte von ihnen mit minderjährigen Kindern. Vor allem die Betreuung der Kinder sowie die Sprachkenntnisse der Erwachsenen wirken sich auf die Arbeitstätigkeit hierzulande aus.
Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erklärt, dass es vor allem in den Bereichen der psychosozialen Beratung und der Kinderbetreuung Verbesserungsbedarf gebe. „Die Schaffung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten sollte eine hohe Priorität haben.“
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