Feb 17, 2023
83 Views
Comments Off on Habeck vs. Lindner: Weitet sich der Koalitionskrach aus?
0 0

Habeck vs. Lindner: Weitet sich der Koalitionskrach aus?

Written by pinmin

Berlin In der Öffentlichkeit zelebrieren Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) gern einen lässigen Umgang miteinander. Wenn die beiden auf der Regierungsbank im Bundestag nebeneinandersitzen, scherzen und lachen sie miteinander. Doch abseits der Kameras ringen die beiden Politiker seit Anbeginn der Ampelkoalition miteinander. Nun hat ihr Konflikt einen neuen Höhepunkt erreicht.

Noch bemerkenswerter ist allerdings der schneidige, teils spöttische Ton in den Schreiben, aus dem einige in Berlin schlossen, das angespannte Verhältnis sei inzwischen offenbar vollständig zerrüttet. Manche Beobachter sprachen sogar schon vom Anfang des Endes der Ampelkoalition.

Das mag überzogen sein, doch auch viele Ampelvertreter nahmen entsetzt wahr, wie Habeck und Lindner in ihren Briefen aufeinander losgehen, und fürchten, der Streit könnte weiter eskalieren – und die Ampelregierung noch zerstrittener dastehen.

Bei den Grünen war der Frust über Lindner zuletzt immer größer geworden. Während der Finanzminister in den Haushaltsverhandlungen grüne Herzensprojekte wie die Kindergrundsicherung mit Verweis auf mangelndes Geld abblocke, fordere er selbst weitere Steuerentlastungen und zeige sich offen für höhere Verteidigungsausgaben. „Das verwundert uns doch sehr“, heißt es in Parteikreisen. Beides stehe nicht im Koalitionsvertrag.

Grünen-Politiker: „Das kann Lindner nicht einfach absägen“

Neben der Kindergrundsicherung sind den Grünen auch Veränderungen im Verkehrssektor wichtig. Insbesondere nach den Protesten in Lützerath, wo die Spaltung zwischen der Partei und der Klimabewegung sichtbar wurde, will die Parteispitze hier Erfolge vorweisen. „Dabei geht es nicht um unsere Extrawünsche, sondern um im Koalitionsvertrag vereinbarte Projekte“, sagt ein Grüner. „Die kann Lindner nicht einfach so absägen.“

>> Lesen Sie mehr: Eklat um den Etat – Habeck und Lindner streiten über den Bundeshaushalt

Lindner nutze den Haushalt, um eigene Lieblingsprojekte durchzusetzen und die der Grünen hintenüberfallen zu lassen, beklagen immer mehr Spitzengrüne. In Koalitionskreisen heißt es, Familienministerin Lisa Paus und Außenministerin Annalena Baerbock hätten Habeck dazu gedrängt, Lindner den Brief zu schreiben.

Habecks Umfeld dementiert. Der Brief sei ein gemeinsamer Entschluss gewesen. Es herrsche große Unzufriedenheit über die „Blockade-Haltung“ der FDP bei der Finanzierung wichtiger sozialer und klimapolitischer Projekte, heißt es aus der grünen Fraktion.

„Sehr geehrter Herr Kollege“, beginnt Habeck sein Schreiben, „ich schreibe Ihnen stellvertretend für die von den Grünen geführten Ministerien.“ Dann teilt der Vizekanzler dem Finanzminister mit, er und seine grünen Kabinettskollegen würden die Etateckwerte „so nicht akzeptieren“.

Sehr geehrter Herr Kollege,… Robert Habeck in seinem Brief an Christian Lindner

Lindner solle bitte aufhören, „einseitige Vorfestlegungen“ zu treffen, mahnt Habeck und schlägt dann noch vor, notfalls „Einnahmen zu verbessern“, um Projekte der Koalition umsetzen und gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten zu können.

Berlin rätselt über die Briefe

Es ist nicht so, als ob sich Habeck und Lindner, die schon lange per Du sind, nun wieder siezen. In Berlin kursieren verschiedene Geschichten, warum die Ansprache in Habecks Brief so förmlich ausfiel.

Der Vizekanzler weilte Anfang der Woche im Urlaub in Tel Aviv. Erst am Donnerstag war er wieder in Berlin, abends besuchte er die Filmfestspiele Berlinale. Da habe er kein handschriftliches „Lieber Christian“ ergänzen können.

Als der „sehr geehrter Herr Kollege“ Lindner den Brief in seinen Händen hält, ist der jedenfalls ziemlich verblüfft. Er sieht das Schreiben als doppelte Kampfansage Habecks, heißt es. Schon die Forderung nach höheren Einnahmen sei für ihn pure Provokation.

Noch schwerer wiegt aus Lindners Sicht, dass Habeck mit dem Brief seine Zuständigkeit für die Priorisierung von Ausgaben infrage stellt.

Aus dem Umfeld Lindners heißt es, der Minister habe deshalb auf Habeck reagieren müssen. „Sonst wären wir auf eine schiefe Bahn gekommen.“ Dann hätten sowohl die Haushaltsverhandlungen infrage gestanden als auch das fest vereinbarte Einhalten der Schuldenbremse.

All diese Punkte führt Lindner in seinem Antwortschreiben an Habeck aus. Er beginnt den Brief allerdings mit einem spöttischen Satz. „Mit Erleichterung habe ich aufgenommen, dass die von den Grünen geführten Ministerien das Grundgesetz nicht in Frage stellen“, schreibt er mit Blick auf Habecks Einlassungen, die Schuldenbremse einhalten zu wollen.

Nicht der erste Streit zwischen Habeck und Lindner

Es ist nicht das erste Mal, dass Lindner und Habeck aneinandergeraten. Ob die Förderung von Elektroautos, längere Laufzeiten für Atomkraftwerke oder die Gasumlage – schon mehrmals beharkten sich die beiden.

Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner

Lindners Ampelpartner sehen größere Entlastungen für Unternehmen skeptisch.



(Foto: dpa)

Auch hatte sich Habeck im März 2022 schon einmal per Brief bei Lindner beklagt, schon damals begann Habeck sein Schreiben an Lindner bloß mit „Sehr geehrter Herr Kollege“. Damals wollte der Wirtschaftsminister den Corona-Rettungsschirm für die Energiekrise umwidmen, Lindner war dagegen.

Der Briefwechsel von dieser Woche hat aber eine andere Dimension, diesmal spricht Habeck für alle grün geführten Ressorts der Bundesregierung. Die Grünen waren nach dem Eklat bemüht, den Brief als gewöhnliches Mittel in Haushaltsverhandlungen herunterzuspielen. Von einem Bruch in der Koalition könne keine Rede sein. 

Verärgert ist man vielmehr darüber, dass der Briefwechsel öffentlich wurde. „Die FDP ist nach dem Ausscheiden aus dem Berliner Senat so nervös, dass sie zu schmutzigen Mitteln greifen muss“, heißt es. Das lasse nichts Gutes über die Kompromissbereitschaft des Koalitionspartners in den Haushaltsverhandlungen ahnen.

Grüne fürchten Erpressung Lindners

Lindner, so die Befürchtung der Grünen, könnte die Wahlniederlage der FDP in Berlin als Druckmittel nutzen, um mehr „FDP pur“ in der Ampel durchzusetzen.  

Lindner müsse sich aber gut überlegen, wofür er Gelder jetzt verplanen wolle, um am Ende nicht selbst als Bremser dazustehen, heißt es von Habecks Vertrauten. Genannt wird etwa die geplante Ansiedlung des Chipkonzerns Intel in Magdeburg.

Der Konzern verlangt höhere Subventionen und verhandelt derzeit mit dem Wirtschaftsministerium darüber. Wenn Intel am Ende nicht nach Deutschland komme, müsse Lindner sich das anheften, heißt es von Habecks Vertrauten.

Denn man werde es nicht einsehen, Intels Wünschen nur nachkommen zu können, wenn man dafür auf Vorhaben für den grünen Umbau der Wirtschaft verzichten müsse.

Die SPD hält sich aus dem Streit der beiden Koalitionspartner raus – was bei den Koalitionspartnern auch nicht nur gut ankommt. Dort hält man die Zurückhaltung inzwischen für Strategie.

Ich verstehe nicht, warum zwei Minister, die voneinander eine Handynummer haben, nicht miteinander sprechen und stattdessen zum Briefwechsel greifen. SPD-Fraktionsvizin Verena Hubertz

Selbst wenn die SPD bei bestimmten Themen klar auf Linie mit der FDP liege, mache sie das nicht mehr deutlich, klagt ein FDP-Spitzenvertreter. Offenbar sei die Taktik der SPD, FDP und Grüne gegeneinanderlaufen zu lassen, statt gemeinsam gut zu regieren.

Auch bei den Grünen wird das so gesehen. „So zu tun, als wäre das nur ein Streit zwischen FDP und Grünen, ist wirklich albern“, sagte die Chefin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, dem Handelsblatt. „Hat die SPD etwa kein Interesse daran, dass für die sozialen Projekte das Geld wirklich da ist?“

SPD-Linke gibt Habeck Rückendeckung

In der SPD wiegelt man ab. Wenn die Bundesregierung ein zerstrittenes Bild abgebe, werde dafür die gesamte Koalition in Haftung genommen, also auch die SPD. „Ich verstehe nicht, warum zwei Minister, die voneinander eine Handynummer haben, nicht miteinander sprechen und stattdessen zum Briefwechsel greifen“, sagte SPD-Fraktionsvizin Verena Hubertz. „Uns als Ampel würde es guttun, unterschiedliche Vorstellungen konstruktiv und vertraulich miteinander zu beraten.“

Doch die in der Koalition angelegten inneren Konflikte könnten sich im Streit über den Bundeshaushalt nun voll Bahn brechen. Führende Politiker der SPD-Linken geben jedenfalls Habeck volle Rückendeckung.

>> Lesen Sie auch: FDP fordert Steuersenkungen als Antwort auf amerikanische Subventionen

„Inhaltlich stimme ich Robert Habeck zu: Einen Krisenhaushalt 2024 unter den Bedingungen der Schuldenbremse und ohne zusätzliche Einnahmen aufzustellen wäre fahrlässig“, sagte die Bundesvorsitzende der Jusos, Jessica Rosenthal, dem Handelsblatt.

So seien Mehreinnahmen durch eine einmalige Vermögensabgabe, die Abschaffung klimaschädlicher Subventionen oder eine angemessene Besteuerung von Erbschaften möglich, so Rosenthal, die auch im Bundestag sitzt.

Ähnlich äußerte sich der Co-Chef der SPD-Linken, Sebastian Roloff. „Auch aus unserer Sicht müssen die Koalitionsvorhaben, insbesondere die sozialpolitischen Themen, wie verabredet umgesetzt werden“, sagte der Bundestagsabgeordnete.

Und mit Blick auf Lindner fügte Roloff hinzu: „Herr Lindner darf gerne an der Einnahmenseite schrauben, wenn er feststellt, dass er Projekte nicht finanziert bekommt – sich nur dagegenzustellen ist keine zukunftssichernde Politik.“ Das sieht Lindner anders.

Mehr: Wie Christian Lindner die europäischen Schuldenregeln retten will



<< Den vollständigen Artikel: Habeck vs. Lindner: Weitet sich der Koalitionskrach aus? >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.