Berlin Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat angesichts der ausgebliebenen Hilfszusagen an die Kommunen auf dem Flüchtlingsgipfel vor den Folgen für die Migrations- und Zuwanderungspolitik der Bundesregierung gewarnt.
„Wenn die Kommunen nicht sehr schnell deutlich besser ausgestattet werden, dann wird der Widerstand mancher in der Bevölkerung zunehmen und politisch der AfD wieder starken Zulauf bringen“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. „Das Resultat wäre eine gescheiterte Integration und eine noch stärkere Zunahme der sozialen Polarisierung in unserem Land.“
Der Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen am Donnerstag in Berlin war ohne eine Einigung über die Streitpunkte Finanzen und Unterbringung zu Ende gegangen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilte nach dem Treffen mit, es werde zunächst keine zusätzlichen Gelder vom Bund geben. Über die Finanzierung werde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Frühling mit den Ministerpräsidenten verhandeln.
Man habe sich aber darauf geeinigt, vier neue Arbeitsgruppen zu gründen. Bis Ostern solle es erste Ergebnisse geben, kündigte Faeser an. In den Gruppen gehe es um die Bereiche Unterbringung und Finanzen, Entlastung der Behörden, bessere Integration sowie die Begrenzung irregulärer Migration.
Fratzscher mahnte, die Politik müsse nun „dringend handeln und die Kommunen sowohl logistisch stärker unterstützen als auch finanziell besser ausstatten“. Er sehe in erster Linie die Länder in der Pflicht. „Der Bund hat immer wieder die größte Last geschultert“, sagte der DIW-Chef. „Nun müssen die Länder ihre Blockadehaltung aufgeben und sich finanziell stärker beteiligen, zumal viele finanziell gut dastehen und einige im letzten Jahr gar Überschüsse gemacht haben.“
Sorge wegen steigender Zahlen der Asylsuchenden aus der Türkei, aus Syrien oder Afghanistan
Mit diesem Hinweis hatte auch schon Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Erwartungen aus den Bundesländern und Kommunen an höhere Bundeszuschüsse für die Flüchtlingskosten gedämpft. „Die Länder haben inzwischen eine wesentlich bessere Einnahmenentwicklung als der Bund und sind im föderalen Finanzgefüge der starke Partner“, sagte Lindner dem Handelsblatt.
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Die Kommunen können solchen Aussagen nicht viel abgewinnen. Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistages und selbst CDU-Landrat in Schleswig-Holstein, machte seinem Ärger bei der Presskonferenz nach den Beratungen mit Faeser Luft. In der Finanzfrage sei die Runde „zu meiner großen Enttäuschung nicht weitergekommen“, sagte er.
Bei der Entlastung der Kommunen geht es um eine doppelte Herausforderung: Neben den ukrainischen Kriegsflüchtlingen müssen Schutzsuchende aus anderen Ländern versorgt werden. Vielerorts fehlen dafür bezahlbarer Wohnraum, Kitaplätze und Lehrkräfte für Deutschkurse.
Landkreistag-Präsident enttäuscht von Spitzentreffen zur Flüchtlingspolitik
Sorge bereiten der Politik die steigenden Zahlen der Asylsuchenden etwa aus der Türkei, aus Syrien oder Afghanistan – und der Umstand, dass Deutschland in Europa als Hauptzielland vieler asylsuchender Menschen gilt. Im vergangenen Jahr haben hierzulande so viele Menschen Asyl beantragt wie seit 2016 nicht mehr. Das geht aus der Jahresstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für 2022 hervor.
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) verlangte von der Bundesregierung, die illegale Migration nach Deutschland und ins übrige Europa stärker zu begrenzen. Die Stimmung im Land drohe bereits zu kippen, warnte er.
Der Chef der Bundespolizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, fürchtet ebenfalls einen Stimmungsumschwung gegen Flüchtlinge. Er erinnerte an die jüngsten Proteste gegen den Bau eines Containerdorfs für bis zu 400 Flüchtlinge in dem Dorf Upahl in Mecklenburg-Vorpommern. Hier gingen die Bürger bereits auf die Straße.
Bundespolizeigewerkschaft fürchtet „Unruhen in der Bevölkerung“
„Auch andernorts wird es demnächst Unruhen in der Bevölkerung geben“, sagte Teggatz dem Handelsblatt. „Spätestens, wenn Sporthallen und Bürgerhäuser für die Unterbringung von Migranten genutzt werden müssen und dadurch das Vereinsleben in den Kommunen beeinträchtigt ist, werden meine Kolleginnen und Kollegen eine Menge zu tun bekommen.“
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Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht es ähnlich, warnt aber vor „Alarmismus“. „Es gibt Regionen in Deutschland, in denen bereits früher ein schlechtes politisches Klima gegenüber Schutzsuchenden aufgebaut und kultiviert wurde“, sagte der GdP-Bundesvize Sven Hüber dem Handelsblatt. Es habe dort auch Angriffe auf Unterkünfte, Bewohner und politische Entscheidungsträger gegeben. Hier sei „mit einer weiteren Anheizung der Stimmung in Teilen der Bevölkerung zu rechnen“.
Andererseits gab Hüber zu bedenken, dass die „Stimmung im Land“ auch ein Ergebnis von Kommunikation oder Nichtkommunikation sei. „So richtig es ist, über Fehlentwicklungen einzelner im Kontext Migration zu berichten, so falsch ist es, über die friedliche und erfolgreiche Entwicklung der Hunderttausenden nicht zu informieren“, sagte er.
Bei den Fehlentwicklungen sieht der Polizeigewerkschafter die Bundesländer in der Pflicht. Sie sollten ihre Anstrengungen zur schnellen Abschiebung von Mehrfach- und Intensivstraftätern unter den Schutzsuchenden verstärken. „Denn gerade aus solchen kriminellen Vorfällen verstärken sich Ressentiments und Ablehnung in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge und Einwanderer“, sagte Hüber.
Aktuell stuft noch eine Mehrheit der Deutschen die aktuellen Flüchtlingszahlen als „verkraftbar“ ein. Das geht aus dem aktuellen Politbarometer des ZDF hervor. Demnach stimmen 57 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Deutschland die Zahl der Flüchtlinge, die aktuell ins Land komme, „verkraften kann“.
Unzufrieden sind dagegen viele mit der Unterstützung des Bundes für die Kommunen bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Zwei Drittel der Befragten finden, der Bund tue nicht genug. Nur 22 Prozent halten die Unterstützung für ausreichend.
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