Berlin Wer den beiden Bundesvorsitzenden der SPD, Saskia Esken und Lars Klingbeil, in den vergangenen Tagen zuhörte, könnte glauben, die beiden seien Mitglieder unterschiedlicher Parteien. Klingbeil machte sich am Samstag für höhere Verteidigungsausgaben stark und unterstützte damit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Der fordert in den Haushaltsverhandlungen eine Anhebung des Wehretats von 50 auf 60 Milliarden Euro. „Meine Unterstützung hat das“, sagte Klingbeil.
Nur einen Tag später machte Esken dagegen deutlich, dass sie höhere Ausgaben für die Bundeswehr kritisch sieht. „Zehn Milliarden Euro sind eine Menge Geld“, erklärte Esken in einem „FAZ“-Interview. „Es ist jetzt wichtig, dass das Beschaffungswesen im Verteidigungsministerium dazu befähigt wird, dieses Geld zielgerichtet einzusetzen. Dann sprechen wir weiter.“ Eskens Unterstützung hat Pistorius folglich eher nicht.
Nun sind Klingbeil und Esken nicht nur Mitglieder derselben Partei, sondern auch noch gemeinsam Co-Vorsitzende der SPD – und die stellt mit Olaf Scholz den Kanzler. Doch insbesondere Esken schert immer wieder vom sicherheitspolitischen Kurs aus, den Klingbeil versucht vorzugeben. Wie geht das alles zusammen?
Zwei Antworten sind denkbar. Entweder schadet die Vielstimmigkeit der SPD-Spitze der Partei, weil Esken mit ihren Äußerungen Zweifel daran sät, wie ernst es die SPD mit der Zeitenwende meint. Oder aber die Aufgabenverteilung zwischen den beiden Parteichefs im Zusammenspiel mit Fraktionschef Rolf Mützenich ist schlicht notwendig, um die SPD hinter der Zeitenwende-Politik ihres sozialdemokratischen Bundeskanzlers zu versammeln.
Beobachter glauben an die zweite Variante: Das Ringen der Partei mit sich selbst mache es vielen leichter, Schritte zu gehen, die sie bis vor Kurzem niemals gegangen wären. Etwa dem Einsatz bewaffneter Drohnen zuzustimmen.
Klingbeil sieht Deutschland als „Führungsmacht“
Dass Esken und Klingbeil in der Außen- und Verteidigungspolitik in unterschiedliche Richtungen rudern, ist schon seit längerer Zeit unübersehbar. Klingbeil gibt seit Kriegsausbruch den nüchternen Realpolitiker. Offen hat er Fehler der SPD in der Russlandpolitik eingeräumt und bemüht sich, diese zu korrigieren.
Statt „mit Russland“ will die SPD nun eine europäische Friedensordnung „vor Russland“ organisieren, heißt es in einem neuen Papier der Parteispitze. Klingbeil sieht Deutschland international sogar als „Führungsmacht“.
Auf dem linken Flügel, dem Esken sowie Fraktionschef Mützenich angehören, räumt man zwar auch Fehler in der Russlandpolitik ein. Mit neuen Tönen wie „Führungsmacht“ kann man dort aber eher wenig anfangen. „Mit Begriffen wie Führungsmacht sollten wir mit Blick auf unsere Geschichte vielleicht etwas vorsichtig sein“, sagt ein führendes SPD-Mitglied vom linken Parteiflügel.
Ein Dilemma Klingbeils bislang: Während er die SPD-Außenpolitik neu ausrichtet und auch SPD-Außenpolitiker wie Nils Schmid oder Michael Roth einen sehr nüchternen Blick auf Russland haben, werden öffentlich vor allem Äußerungen von Vertretern des linken SPD-Flügels wahrgenommen.
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So forderten etwa Fraktionschef Mützenich oder Ralf Stegner just in dem Moment, wieder stärker auf Diplomatie im Ukrainekrieg zu setzen, als Klingbeils Papier zur außenpolitischen Wende fertiggestellt war. Teilweise wirke es deshalb, als „ob die SPD immer noch in der Zeit vor der Zeitenwende feststeckt“, räumt ein Parteimitglied ein. „Obwohl es überhaupt nicht so ist.“
Wenig hält man auf dem linken Parteiflügel auch davon, den Verteidigungsetat dauerhaft auf zwei Prozent der Jahreswirtschaftsleistung zu erhöhen. Kanzler Scholz hatte dieses Ziel in seiner Zeitenwende-Rede vor einem Jahr ausgegeben und kürzlich in einer Bundestagsrede wiederholt. Eigentlich hatte Deutschland dieses Versprechen bereits zu Zeiten der Großen Koalition seinen Bündnispartnern gegeben. Nur wurde es nie eingehalten.
Auch weil der linke SPD-Flügel unter Führung Mützenichs lautstark gegen die Erfüllung dieses Versprechens trommelte. Daran hat sich seit Ausbruch des Ukrainekriegs nur bedingt etwas geändert. Auch das machte Esken in dem Interview mit der „FAZ“ klar. Sie habe immer infrage gestellt, dass diese Kopplung der Verteidigungsausgaben an die Wirtschaftskraft „der richtige Weg ist“. Es sei wichtig zu klären, was zu den zwei Prozent zähle. So brauche man auch höhere Investitionen in Zivil- und Katastrophenschutz. Auch die Entwicklungszusammenarbeit sieht Esken als Teil der Sicherheitspolitik.
Parteimitglieder sollen sich nicht „verloren und einsam vorkommen“
Auch in den Haushaltsverhandlungen hat es wegen des Themas SPD-intern schon geknirscht. So sollen führende SPD-Vertreter nach Handelsblatt-Informationen deutlich gemacht haben, nicht die Notwendigkeit zu sehen, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent zu erhöhen, und hintertrieben damit im Prinzip die Forderung ihres eigenen, frisch gekürten Verteidigungsministers.
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Nach außen macht die SPD so einen wenig geschlossenen Eindruck. Allerdings sehen auch die Pragmatiker in der SPD, dass Esken und Mützenich mit ihrer Zurückhaltung etwa beim Thema Verteidigungsausgaben eine wichtige Funktion erfüllen: nämlich die, die ganze Partei mitzunehmen.
„Würden plötzlich alle den Scholz-und-Klingbeil-Kurs fahren, wäre das auch ein Problem“, sagt ein SPD-Politiker vom wirtschaftsfreundlichen Flügel. Dann würden sich etliche Parteifreunde „verloren und einsam vorkommen“. Das gelte auch für die Debatte um den Einsatz bewaffneter Drohnen.
Hier fällt insbesondere Fraktionschef Mützenich, der seine politischen Wurzeln in der Friedensbewegung hat, eine wichtige Rolle zu. Seine Aufgabe sei es, die Sorgen ausdrücken, die viele Partei- und Fraktionsmitglieder umtreiben. Dass er dies tue, so heißt es in der Fraktion, sei ein maßgeblicher Grund, warum die Fraktion bislang alle Schritte seit Ausbruch des Ukrainekriegs mitgetragen habe.
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