Feb 22, 2023
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Tarifrunde öffentlicher Dienst: Warum sich die Kommunen nicht auf 500 Euro „soziale Komponente“ einlassen werden

Written by Frank Specht


Verhandlungsführer Frank Werneke (Verdi), Nancy Faeser (Bund) und Karin Welge (Kommunen, v.l.)

Bei den Gesprächen geht es auch um die „soziale Komponente“.



(Foto: dpa)

Berlin Wenn sich die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes am Mittwoch und Donnerstag zur zweiten Verhandlungsrunde treffen, dann wird es auch um die sogenannte „soziale Komponente“ gehen. 10,5 Prozent mehr Geld fordern Verdi und Beamtenbund für die 2,5 Millionen Tarifbeschäftigten von Bund und Kommunen – mindestens aber 500 Euro. Der Mindestbetrag bewirkt, dass untere Entgeltgruppen prozentual stärker angehoben werden als höhere.

„Verdi und Beamtenbund treten als Anwalt der Schwachen auf“, erklärt Hagen Lesch, Tarifexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die dahinterstehende Strategie. „Sie wollen nicht nur den Abstand zum Mindestlohn wahren, sondern auch in unteren Einkommensgruppen Altersarmut vermeiden.“

Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung weist darauf hin, dass in den untersten Entgeltgruppen im öffentlichen Dienst aktuell nur noch der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werde. „Das ist natürlich mit dem Selbstverständnis eines Staatsdieners nur noch schwer vereinbar.“

In Zeiten exorbitant hoher Preissteigerungen soll die „soziale Komponente“ aber auch dazu dienen, gezielt Geringverdiener zu entlasten. Weil sie einen großen Teil ihres Einkommens zur Deckung des Lebensunterhalts aufwenden müssen, leiden sie besonders unter der Inflation.

Mindestbeträge spielen deshalb auch in anderen laufenden oder anstehenden Tarifrunden eine Rolle, etwa in der Textilindustrie oder bei der Bahn. Bei der Post hat Verdi die rekordhohe Tarifforderung von 15 Prozent gestellt, aber auf einen Mindestbetrag verzichtet. Denn hier verteilen sich fast 90 Prozent der Tarifbeschäftigten auf die untersten drei Entgeltgruppen, sodass die angestrebte Aufwertung eher niedriger Einkommen auch mit der Prozentforderung funktioniert.

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Beim 500-Euro-Sockel im öffentlichen Dienst fällt es allerdings schwer, noch von einer „sozialen Komponente“ zu reden. Denn der Betrag würde nicht nur Beschäftigten mit niedrigen Löhnen und Gehältern überproportionale Einkommensverbesserungen bescheren, sondern weit in das Tarifgefüge eingreifen.

In den untersten Entgeltgruppen stiegen die Verdienste um bis zu rund 25 Prozent, rechnet die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) vor. Aber selbst in der zweithöchsten Entgeltgruppe E 14 führt der Mindestbetrag von 500 Euro noch zu einem prozentualen Einkommensplus von mehr als 10,5 Prozent. So erhielten beispielsweise in der Verwaltung beschäftigte Ärztinnen und Ärzte, die in der niedrigsten Erfahrungsstufe aktuell knapp 4543 Euro im Monat verdienen, elf Prozent mehr Geld.

>> Lesen Sie hier: Angst vor der Lohn-Preis-Spirale: Trotz sinkender Inflationsraten steigen die Lohnforderungen

Die für den öffentlichen Dienst zuständige stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle begründet die hohe „soziale Komponente“ damit, dass die Inflation Beschäftigte bis weit hinein in die Mittelschicht belaste. Doch die VKA will da nicht mitgehen. Nach ihren Angaben würde allein der Mindestbetrag in den Kommunen zu Mehrkosten von 14,7 Milliarden Euro führen – ohne die Erhöhung der Ausbildungsvergütungen. Durch die 10,5-Prozent-Forderung erhöhten sich die Kosten dann nur noch leicht um rund 400 Millionen Euro.

Aus Sicht der Arbeitgeber ist der hohe Mindestbetrag aber auch „das völlig falsche Signal in einer Zeit, in der die Kommunen händeringend nach Führungskräften und Verantwortungsträgern suchen“, wie eine VKA-Sprecherin sagte. Das sieht IW-Tarifexperte Lesch ähnlich: Schon in der Tarifrunde 2018 hätten die Gewerkschaften dafür gesorgt, dass die Tarifverdienste von Berufseinsteigern und unteren Entgeltgruppen überproportional angehoben worden seien. „Irgendwann müssen sie doch mit dem Tarifgitter auch mal zufrieden sein.“

Warnstreik von Erzieherinnen und Erziehern in Schwerin

Die Gewerkschaften wollen vor allem Beschäftigte mit niedrigen Einkommen besserstellen, die besonders unter der Inflation leiden.



(Foto: dpa)

Schulten, der beim WSI das Tarifarchiv leitet, verweist darauf, dass der sehr differenzierte Abschluss 2018 unteren Entgeltgruppen überproportionale Zuwächse beschert habe, aber eben auch besonders gefragten Fachkräften wie IT-Spezialisten oder Ingenieuren. „Doch im Augenblick dominiert das Inflationsthema.“ Außerdem gebe es nicht nur einen Fachkräfte-, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel, sagt Schulten. Deshalb müsse es auch für untere Entgeltgruppen Verbesserungen geben.

IW-Experte Lesch schlägt vor, den Inflationsausgleich für untere Einkommensgruppen über Einmalzahlungen zu organisieren, die der Staat bis zur Höhe von 3000 Euro steuer- und abgabenfrei stellt. Verdi-Chef Frank Werneke hat allerdings deutlich gemacht, dass die in der „konzertierten Aktion“ ersonnenen Einmalzahlungen zwar willkommen seien, aber keine nachhaltigen Tarifsteigerungen ersetzen könnten.

Vor der zweiten Verhandlungsrunde haben Verdi und Beamtenbund mit Warnstreiks den Druck auf die Arbeitgeber erhöht und unter anderem ganztägig große deutsche Flughäfen weitgehend lahmgelegt. Werneke und Beamtenbund-Chef Ulrich Silberbach haben schon angedroht, den Konflikt weiter zu eskalieren, sollten sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser und die VKA nicht bewegen. Eine dritte und vorerst letzte Verhandlungsrunde ist für den 27. bis 29. März angesetzt.

Mehr: Beamtenbund-Chef zur 15-Prozent-Tarifforderung: „Die Lebenshaltungskosten sind dramatisch gestiegen“



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