Berlin Eine Allianz aus Industrie, Handwerk und Mobilitätswirtschaft erhöht den Druck auf Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) mit ihren 12.000 Mitarbeitern zu reformieren. „Um die Leistungsfähigkeit des Systems Wasserstraße zu gewährleisten, müssen kurzfristig Investitionen priorisiert, Prozesse gestrafft sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden“, heißt es in einem „Impulspapier“ der „Initiative System Wasserstraße“. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor.
Die Verwaltung müsse „dreimal mehr Schleusen und Brücken und rund zwanzigmal mehr Wehre bauen als in den vergangenen Jahren“, heißt es weiter. Nur so lasse sich der Sanierungsstau auflösen. Aktuell schafft die WSV laut Initiative 0,8 Schleusen und fünf Brücken sowie 0,15 Wehre im Jahr.
Die Forderungen haben maßgeblich der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie gemeinsam mit dem Bundesverband öffentlicher Binnenhäfen (BÖB) entwickelt.
Auch die chemische Industrie (VCI) gehört dem Bündnis an, das viele Güter über den Rhein und das Kanalnetz transportiert. Die Branche klagt, dass die Flüsse weder für Niedrigwasserphasen optimiert noch Schleusen in ausreichendem Maße saniert werden.
Insgesamt haben das Dokument 21 Verbände unterzeichnet, darunter auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag. Sie halten es für überlegenswert, die Bereiche der Verwaltung, die für den Bau und Betrieb der Infrastruktur zuständig sind, in eine privatrechtliche Gesellschaft zu überführen. Allerdings stehe dies nicht im Zentrum der Überlegungen. „Wichtig ist, dass Geld über das klassische Haushaltsjahr hinaus zur Verfügung steht, dass die Investitionen priorisiert werden und die WSV agil ihre Mittel und ihr Personal bewirtschaftet“, sagte BÖB-Geschäftsführer Marcel Lohbeck.
Parlamentarier beraten die Vorschläge der Wirtschaftsverbände
Am kommenden Montag wollen die Koalitionspolitiker über das Papier der Verbände beraten. Dazu hat der Parlamentskreis Binnenschifffahrt zu einem „Fachgespräch“ eingeladen.
Drei Stunden wollen die Experten unter Moderation der Berichterstatter Mathias Stein (SPD), Lukas Benner (Grüne) und Bernd Reuther (FDP) über „moderne Führung“ und „effiziente Aufgabenwahrnehmung“ reden und darüber, wie die WSV ein „attraktiver Arbeitgeber“ werden kann, wie es in der Einladung heißt. Auch der Chef der Via Donau, Hans-Peter Hasenbichler, wird sprechen. Österreich hat bereits 2005 die Verwaltung der Donau in eine privatrechtliche Gesellschaft überführt.
Bundesverkehrsminister Wissing dürfte all dies nicht gefallen. Er lehnt eine große WSV-Reform ab, erst recht eine Privatisierungsdebatte. Stattdessen hat er eine „Aufgabenkritik“ mit externen Beratern von Roland Berger in Auftrag gegeben. Ziel sei es, die internen Prozesse der Verwaltung zu optimieren, wie es im Ministerium hieß. Bis Ende Juni sollen Ergebnisse vorliegen.
Politikern der Koalition geht das nicht schnell genug. Seit einem Jahr sei bekannt, dass der Präsident der WSV im Januar in Pension gehen und Mitte des Jahres der zuständige Abteilungsleiter folgen werde, hieß es.
Die Parlamentarier sehen darin die Chance für Neuerungen, etwa ein „breit aufgestelltes Management“ der WSV. Es könnte wie bei der Autobahn GmbH des Bundes aus einem Geschäftsführer für den Bau und die Sanierung der Infrastruktur, einem für die Finanzen und einem für das Personal bestehen.
Minister Wissing indes will zunächst das Ziel und die Strategie für die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung vor einer Personalentscheidung für die Leitung des Hauses klar formulieren, wie er kürzlich in internen Runden erklärt hat.
„Das Ziel muss sein, die Wasserstraßen weiterzuentwickeln und in Ordnung zu halten“, sagte SPD-Politiker Stein. Er regte – wie das Bündnis – an, dass die 17 WSV-Ämter vor Ort wieder mehr entscheiden dürfen und nicht mehr die Zentrale. „Wir müssen vor Ort pragmatischer entscheiden und das Potenzial der Revierämter nutzen.“ Stein war selbst als gelernter Wasserbauer in der Verwaltung aktiv.
Schleusen und Wehre sind mehr als 100 Jahre alt
In den vergangenen Jahren habe trotz ausreichender Mittel für Investitionen und Personal der Modernisierungsstau zugenommen, berichtete Stein. Dies zeige, dass der Ruf nach mehr Geld allein nicht ausreiche, ebenso wenig eine Art Wasserstraßen GmbH. „Wir brauchen eine agile Verwaltung – ohne Privatisierung.“ Dazu gehöre, etwa den Schleusenbetrieb zu digitalisieren. Davon sei die Verwaltung weit entfernt. „Es muss ein Ruck durch die WSV gehen“, forderte Stein.
Das Wirtschaftsbündnis verweist auf den klimafreundlichen Transport mit dem Binnenschiff. Die Regierung habe sich das Ziel gesetzt, den Marktanteil des Schiffs im Güterverkehr bis 2030 von 6,9 auf zwölf Prozent nahezu zu verdoppeln. Dazu nötig sei eine „zuverlässigere, leistungsfähigere“ Infrastruktur im Binnenland und an den Küsten.
Die Verwaltung könne in der jetzigen Struktur nicht langfristig planen, steuern und priorisieren. Daher fordern die Verbände wie bei der Bahn entweder langfristige Finanzierungsvereinbarungen oder einen Fonds. Jährlich sollen „mindestens zwei Milliarden Euro“ bereitstehen.
So viel Geld fordert auch der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie verwiesen kürzlich darauf, dass die WSV bereits in den vergangenen Jahren reformiert worden sei und das Problem die veraltete Infrastruktur sei.
Jedes zehnte Wehr und jede fünfte Schleuse sei vor 1900 entstanden. Etwa die Hälfte der Wehre und 60 Prozent der Schleusen seien vor 1950 errichtet worden. „Es droht tagtäglich der Zusammenbruch einer für das System relevanten Schleuse oder Wehranlage und damit die Sperrung einer kompletten Wasserstraße“, warnen der BDB und Verdi.
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