Kapstadt Lange Warte- und Autoschlangen gehören in Nigeria zur Routine. Doch vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl am Samstag leidet der westafrikanische Ölstaat nicht nur unter einem immer wieder aufkommenden Benzinmangel, sondern zusätzlich an akuter Bargeldknappheit – ausgelöst durch eine Bargeldreform der Regierung und der Zentralbank.
Die Geldkrise ist ein weiteres Problem für das Land, dessen Wirtschaft primär auf Bargeld ausgerichtet ist. Dazu kommt die bereits stark angespannte Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes, in denen Islamisten, Separatisten und kriminelle Banden einen ordnungsgemäßen Ablauf der Wahlen erschweren. Fraglich ist zudem, ob Stimmzettel und Personal am Wochenende – auch angesichts des akuten Benzinmangels – pünktlich in die Wahllokale gelangen.
Dies und die immer größere Unzufriedenheit mit Nigerias regierender Partei All Progressives Congress (APC) dürfte den Urnengang am Wochenende zur am härtesten umkämpften Wahl seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 machen – und womöglich auch zu einer sehr viel höheren Wahlbeteiligung als zuletzt führen, wie die in Lagos ansässige Consultingfirma SBM Intelligence prophezeit. 2019 lag sie lediglich bei 35 Prozent.
Der Bargeldmangel hat bereits eine Spaltung innerhalb der regierenden APC offenbart. Ihr Kandidat, der 70-jährige Multimilliardär Bola Ahmed Tinubu, glaubt, dass die Währungsreform von parteiinternen Gegnern angezettelt worden sei, um seine Wahlkampagne zu sabotieren.
Einige seiner Anhänger behaupten sogar, der scheidende Präsident Muhammadu Buhari, 80, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, unterstütze insgeheim Atiku Abubakar, den Kandidaten der Hauptoppositionspartei People’s Democratic Party (PDP).
Beide entstammen dem Hirtenvolk der Fulani und kommen aus dem bitterarmen Norden des Landes, wohingegen Tinubu, ein Angehöriger der Volksgruppe der Yoruba, aus dem wirtschaftlich erfolgreicheren Süden stammt. Allerdings hat Buhari eine solche Allianz mit dem Oppositionskandidaten vehement dementiert.
Außenseiter liegt in Umfragen vorn
Umso größer ist die Frage, ob die weitverbreitete Wut und Ratlosigkeit womöglich dem Außenseiter Peter Obi in die Karten spielt und ihm einen Sensationssieg beschert. Zwar ist auch der 61-Jährige als früherer Gouverneur des Bundesstaates Anambra und ehemaliges Mitglied der PDP seit Langem Teil des Establishments. Allerdings stellt seine kleine Labour Party bislang keinen einzigen Gouverneur in Nigerias Bundesstaaten.
Prognosen sind schwierig, da die Bevölkerung ihre Stimmen bislang oft nach ethnischer oder religiöser Präferenz abgegeben hat. Dennoch liegt Obi in vielen Umfragen seit Beginn des offiziellen Wahlkampfs im Oktober fast durchweg vor den Kandidaten der beiden großen Parteien, die Nigeria seit dem Ende der langen Militärherrschaft im Jahr 1999 regiert haben.
Beobachter geben oft zu bedenken, dass es keinerlei Garantien dafür gebe, dass Obi die nigerianische Kleptokratie zu Fall bringt. Allerdings ist er der erste und bislang einzige Politiker seit Jahrzehnten, der in Nigeria einen neuen Politikstil durchsetzen könnte – bescheidener, leiser, transparenter.
Bislang tauschen die Politiker nach Wahlen stets die von ihnen in ihrer jeweiligen ethnischen oder religiösen Gruppe gewonnenen Stimmen gegen Posten und Einfluss. Sollte es Obi gelingen, die vielen jungen und urbanen Wähler jenseits von Religion, Geografie und Ethnizität zu mobilisieren, wäre vielleicht wirklich die von einigen Beobachtern und Umfragen prophezeite Wahlsensation möglich.
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Seine Gegner verspotten Obi dabei gerne als einen „Kandidaten der sozialen Medien“. Seine enorme Popularität speist sich aus jungen Nigerianern, die die alte und oft hochkorrupte Politikergarde ablösen wollen.
Nigeria stagniert wirtschaftlich
Mehr als zwei Drittel der nigerianischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt. Offenbar hat sich diese Gruppe anders als früher diesmal auch deutlich häufiger als bei vorherigen Wahlen registrieren lassen. Daneben führen seine Gegner ins Feld, dass Obi als Christ aus dem Südosten weder im bevölkerungsstarken muslimischen Norden noch in den Hochburgen des Gegenkandidaten Tinubu im Südwesten einschließlich der Millionenstadt Lagos ausreichend Stimmen bekommen werde.
Um die Wahl zu gewinnen, brauchen die Kandidaten zudem nicht nur die meisten Stimmen, sondern zusätzlich noch mindestens 25 Prozent aller Stimmen in zwei Dritteln der 36 Gliedstaaten. Sollte dies kein Kandidat schaffen, würde es erstmals in der nigerianischen Geschichte im März zu einer Stichwahl kommen.
Neben der verheerenden Sicherheitslage liegt der Hauptgrund für die allgemeine Politikverdrossenheit im Land darin, dass Nigeria seit Jahren nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich stagniert: Zwischen 2015 und 2020 fiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf Jahr für Jahr. Die Weltbank rechnet inzwischen damit, dass das Realeinkommen pro Person auf das Niveau der 1980er-Jahre absacken dürfte, weil das Bevölkerungswachstum seit Langem über dem Wirtschaftswachstum liegt.
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Die Coronapandemie und eine Inflation von 22 Prozent haben diese Abwärtsspirale zwar nicht ausgelöst, aber beschleunigt. Eine im November von der Regierung veröffentliche Studie zeigt, dass 133 Millionen Nigerianer und somit fast zwei Drittel der Bevölkerung in einem Index, der neben dem Einkommen auch Gesundheit, Unterkunft und Bildung misst, in gleich mehrfacher Hinsicht arm sind. Dabei war die Armut im muslimischen Norden deutlich höher als im christlichen Süden.
Auch die aktuelle Länderstudie der Weltbank mit dem Titel „Nigeria’s choice“ lässt keinen Zweifel daran, wie dramatisch die Lage in Afrikas größter Volkswirtschaft nach jahrzehntelanger Misswirtschaft mittlerweile ist. Hier wird eine Verschärfung der wirtschaftlichen Misere erwartet. Noch dramatischer sieht es Kayode Fayemi, der frühere Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Ekiti und heutige Präsident des Forum of Regions of Africa: „Wenn wir jetzt nicht endlich entschlossen handeln, riskieren wir womöglich den Auseinanderfall des Landes.“
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