Istanbul Inmitten des beginnenden Wiederaufbaus nach einer verheerenden Erdbebenserie im Südosten der Türkei senkt die Zentralbank in Ankara den Leitzins auf ein Zweijahrestief. Am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) gaben die Währungshüter bekannt, den einwöchigen Repo-Zinssatz von neun auf 8,5 Prozent abzusenken.
Die Inflation in der Türkei lag zuletzt bei 57,7 Prozent, nach einem Rekordwert von 85,5 Prozent im Oktober vergangenen Jahres. Der Realzins, der die Differenz zwischen Leitzins und Inflation beschreibt und häufig als Maß für die Bereitschaft zur Inflationsbekämpfung herangezogen wird, ist damit weiter stark negativ.
Die Türkei braucht also Geld, und geht es nach Präsident Recep Tayyip Erdogan dringend vor den geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Frühsommer dieses Jahres. Die Wut auf die Regierung wächst schon jetzt. Das hat die Dringlichkeit für die Zentralbank nur noch erhöht, eine ganze Reihe geldpolitischer Anreize zu setzen. Die niedrigen Zinsen helfen hierbei. Denn wenn die Zinsen sinken, sind Familien und Firmen eher geneigt, eigene Kredite für den Wiederaufbau ihres Hauses oder der Fabrik aufzunehmen.
Ibrahim Aksoy, Chefökonom von HSBC Asset Management in der Türkei, hatte sogar eine Zinssenkung größer als 100 Basispunkte „aufgrund der negativen Auswirkungen des Erdbebens auf die Wirtschaftstätigkeit“ erwartet, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg den Volkswirt zitiert.
„Angesichts des hohen und immer noch steigenden humanitären und wirtschaftlichen Tributs der Katastrophe sehen wir, dass die Zentralbank den Großteil der möglicherweise geplanten Zinssenkungen schon im Februar vollzieht und den Rest näher an den geplanten Wahlen im Mai ausführen dürfte“, meint die türkische Ökonomin Selva Bahar Baziki. „Die Zinssenkung wird wahrscheinlich den Druck auf die Lira erhöhen, was die erwartete Verlangsamung der Kursgewinne eindämmen wird.“
Der Wert der Lira dürfte durch die politisch gewollte Geldflut weiter verwässert werden. Im vergangenen Jahr hatte die Lira zum US-Dollar 29 Prozent an Wert verloren, in diesem Jahr bisher weitere 0,9 Prozent. Aktuell kostet ein US-Dollar rund 19 Lira, ein Euro etwas mehr als 20 Lira.
Experten des Londoner Finanzhauses Standard Chartered hatten bereits vor der Zinssenkung gewarnt, dass die türkische Währung auf 36 Lira pro US-Dollar fallen könnte, zumindest falls die ultralockere Geldpolitik auch nach den Wahlen noch fortgesetzt wird.
Bereits in den Tagen nach den heftigen Erdstößen Anfang Februar hatten Marktbeobachter Preissteigerungen beschrieben. Trotzdem sollen nun die Zinsen fallen, was die Inflation weiter antreiben dürfte. Sinn ergibt der Schritt aber trotzdem, denn die türkische Volkswirtschaft braucht jetzt dringend frisches Geld.
Die Katastrophe hat über 43.000 Menschen in der Türkei das Leben gekostet und Tausende von Gebäuden zerstört. Millionen Menschen sind obdachlos, Hunderttausende haben die Region verlassen, weil sie kein Obdach und keine Arbeit mehr haben. Der Wirtschaftskreislauf einer Region so groß wie Bayern ist beinahe komplett zusammengebrochen.
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Schon in den Tagen nach den verheerenden Erdstößen waren die Preise für Mietwohnungen in benachbarten Regionen angestiegen, nachdem die Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum für Geflüchtete gewachsen war. Auch Lebensmittel verteuerten sich.
Gleich nach dem Erdbeben versprach die Regierung von Staatschef Erdogan allen Betroffenen eine Sofortzahlung von 10.000 Lira, rund 500 Euro. Anfang dieser Woche gab er bekannt, allen Angehörigen von Verstorbenen weitere 100.000 Lira (circa 5000 Euro) zu zahlen. Außerdem erhalten Betroffene eine Art Sozialhilfe von rund 200 Euro pro Monat und einen speziellen Kündigungsschutz.
Ob das ausreicht, ist ungewiss. Die auf Naturkatastrophen spezialisierten Experten der US-Firma Verisk Analytics veranschlagen die wirtschaftlichen Schäden des Erdbebens in der Türkei und in Syrien auf mehr als 20 Milliarden Dollar. Nur ein Bruchteil davon – gut eine Milliarde Dollar – sei aber versichert.
Der private türkische Unternehmens- und Geschäftsverband Türkonfed rechnet damit, dass sich die Schäden auf bis zu 84 Milliarden US-Dollar belaufen könnten. Demnach verliere die Türkei zehn Milliarden US-Dollar an Wirtschaftskraft, was rund 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspräche. Hinzu kommen mehr als 70 Milliarden US-Dollar durch beschädigte Gebäude sowie rund drei Milliarden US-Dollar durch verlorene Arbeitsstunden. Auch die US-Großbank Goldman Sachs rechnet damit, dass die Türkei durch das Beben rund ein Prozent ihrer Wirtschaftskraft einbüßt.
Den Großteil der Schäden muss der Staat tragen
Um den Wiederaufbau voranzubringen, hat die Weltbank der Türkei bereits Unterstützung von 1,78 Milliarden US-Dollar (1,65 Milliarden Euro) zugesagt. Die Europäische Union plant eine Geberkonferenz Mitte März, um Spendengelder von Staaten und internationalen Organisationen zu sammeln.
Doch dies wird kaum ausreichen. Auch die geringe Versicherungsdichte legt nahe, dass sowohl Haushalte als auch der Staat auf vielen Schäden sitzenbleiben werden.
„Die Differenz zwischen wirtschaftlichen und versicherten Schäden – die Deckungslücke – zeigt, wie teuer Katastrophen für die Gesellschaft sind“, sagte Verisk-Manager Bill Churney. Den Großteil der nicht versicherten Schäden müsse der Staat tragen.
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