Tokio Südkoreanische Politiker und erst recht Präsidenten haben offenbar ein Berufsrisiko: Haftstrafen wegen Korruption. Fast hat es nun den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten und heutigen Anführer der oppositionellen Demokratischen Partei, Lee Jae Myung, erwischt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft des Zentraldistrikts der Hauptstadt Seoul in einem politisch brisanten Korruptionsskandal Haftbefehl gegen Lee erlassen hatte, lehnte das Parlament am Montag die Aufhebung seiner Immunität ab – aber unerwartet knapp.
Das Ergebnis war ein Schock für Lee und erschüttert die politische Landschaft Koreas. Obwohl seine Partei 169 der 299 Mandate im Parlament kontrolliert, stimmten nur 139 Parlamentarier gegen den Antrag der Staatsanwälte, 138 dafür. Daneben gab es neun Enthaltungen und elf ungültige Stimmen. Also muss es etwa 30 Abtrünnige in seinen eigenen Reihen geben, die ihn an die Justiz ausliefern wollten.
Die gute Nachricht für Lee: Vorerst bleibt er auf freiem Fuß. Er selbst beteuert seit Langem seine Unschuld in einem Immobilienskandal. Die schlechte Nachricht: Der Oppositionschef wirkt nun wie ein Auslaufmodell. Denn plötzlich verliert das Narrativ an Glaubwürdigkeit, dass er allein Opfer eines politisch motivierten Verfahrens werden sollte.
Der Verdacht, der ehemalige Staatsanwalt und heutige südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol wolle seinen Widersacher mit Mitteln des juristischen Handwerks entsorgen, ist zwar nicht aus der Welt. Aber er hat seinen Absolutheitsanspruch verloren. Die Frage ist: Wie korrupt ist Lee wirklich? Längst wuchert das Misstrauen, auch in Lees eigener Partei.
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Der Fraktionsvorsitzende der Demokraten, Park Hong Keun, schwor sein Lager noch vor der Abstimmung auf Geschlossenheit ein. „Die Demokratische Partei wird die Tyrannei des diktatorischen Regimes von Generalstaatsanwalt Yoon Suk Yeol beenden und einen Rückschritt in der Geschichte verhindern“, sagte er auf einer Parteiveranstaltung.
Politische Verfolgung oder Korruption?
Die politische Lage schien es den Demokraten leicht zu machen, Lee als Opfer einer politisch motivierten Justiz darzustellen. Präsident Yoon muss 2024 die Mehrheit der Demokraten brechen, um durchregieren zu können. Doch das ist schwer. Denn er hatte die Präsidentschaftswahl in dem politisch tief gespaltenen Land zwischen linken Demokraten und Yoons konservativer Volksmachtpartei nur knapp mit 0,7 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen.
Danach war der Präsident zudem in Stimmungsumfragen abgesackt, während ihm sein ehemaliger Gegenkandidat seither als Abgeordneter politisch das Leben schwer macht. Eine Verhaftung seines Widersachers käme ihm daher politisch gelegen.
Südkoreas politisches System ist anfällig für Korruption.
(Foto: imago images/Imaginechina-Tuchong)
Der Koreaexperte Bernhard Seliger, Leiter des Seouler Büros der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU, erläutert aber das Dilemma, das sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Politik und Justiz ergibt. „Es wäre ein schwerer Schlag für die Demokraten, wenn Lee weg wäre“, sagt Seliger. „Denn die Partei hat keinen populären Ersatz für ihren Anführer.“
Das Problem sei aber: „Auch bei den Demokraten glauben nicht alle, dass Lee unschuldig ist“, berichtet der Experte. „Das Korruptionspotenzial in Korea ist enorm.“
Zum Verhängnis könnte Lee seine Zeit als Bürgermeister der Stadt Seongnam südlich von Seoul werden. Bei einem lokalen Immobilienprojekt haben einige kleine, unbekannte Investmentgesellschaften riesige Gewinne eingestrichen. Dabei sollen Gelder an Lees Vertrauten und späteren stellvertretenden Stabschef Jeong Jin Sang geflossen sein.
Südkorea leidet an den Folgen seiner staatlich gesteuerten Entwicklungsstrategie
Der Oppositionsführer beteuert, von den Machenschaften in seinem Umfeld nichts gewusst zu haben. Doch seit Jahrzehnten verfangen sich selbst Präsidenten und Konzernchefs immer wieder in dem engen Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Wirtschaft, das während der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung des Landes entstanden ist.
Will Südkoreas Präsident seinen Widersacher mit juristischen Mitteln politisch erledigen?
(Foto: AP)
Seit den 1960er-Jahren lenkte die Regierung staatliche Gelder in ausgewählte Branchen und Unternehmen, um den bis dahin armen Bauernstaat möglichst schnell in ein Industrieland zu verwandeln. Wo die Bestechung von Politikern aufhört und die Erpressung der Unternehmen durch Politiker anfängt, sei oft schwer zu unterscheiden, sagt Seliger.
Die mächtigen Staatsanwälte finden daher immer wieder reiche Beute. Unter Yoons Vorgänger, dem Demokraten Moon Jae In, wurden der konservative Ex-Präsident Lee Myung Bak und seine Nachfolgerin Park Geun Hye inhaftiert. Im letzten Fall war der jetzige Präsident Yoon als Generalstaatsanwalt involviert. Moons Staatsanwälte verhafteten im Zuge der Aktion fast alle Minister Lees.
Auch die Wirtschaftselite ist vor Strafverfolgung nicht sicher. Kein Geringerer als Samsung-Chef Lee Jae Yong saß wegen seiner Verwicklung in den Amtsmissbrauchs- und Korruptionsskandal um Präsidentin Park mehrere Jahre im Gefängnis.
Wie es nun mit Lee Jae Myung weitergeht, ist offen. Aber die Luft wird dünn für die Opposition. Die Staatsanwälte drückten am Montag ihr Bedauern über den Parlamentsbescheid aus, kündigten aber weitere Ermittlungen an. Und mit dem knappen Wahlergebnis wächst der Anreiz, erneut einen Haftbefehl zu beantragen. Präsident Yoons Chancen hingegen steigen, an Popularität und damit politischer Stärke zu gewinnen.
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