Mar 1, 2023
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Haushalt: Bundesrechnungshof kritisiert wachsende Staatsschulden und warnt vor „Kontrollverlust“

Written by pinmin


Berlin Der Bundesrechnungshof ermahnt die Bundesregierung wegen der stark gestiegenen Schulden. „Um einen drohenden Kontrollverlust bei den Bundesfinanzen zu verhindern, muss der Bund die Dynamik der Neuverschuldung stoppen“, heißt es in einem neuen Gutachten der Rechnungsprüfer zum geplanten neuen Bundeshaushalt.

Die schweren Krisen der vergangenen drei Jahre haben tiefe Spuren in den Bundesfinanzen hinterlassen. Um sie zu bewältigen, hat der Bund die Aufnahme von fast 850 Milliarden Euro neuen Schulden vorgesehen. Der Schuldenberg würde damit binnen nur drei Jahren um 60 Prozent auf mehr als 2,1 Billionen Euro anwachsen.

„Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele neue Kredite beschlossen“, sagte Bundesrechnungshof-Präsident Kay Scheller. Diese Dynamik drohe die staatliche Handlungsfähigkeit „ernsthaft zu gefährden“, heißt es im Gutachten. Permanent in neue Schulden auszuweichen übergehe die Interessen vor allem der jungen Generation.

„Für stabile Bundesfinanzen bedarf es jetzt klarer, kluger und auch schmerzhafter Entscheidungen“, so Scheller weiter. Konkret fordert der Bundesrechnungshof die Bundesregierung dazu auf, die Belastung künftiger Generationen durch eine schnellere Tilgung der Krisenkredite zu reduzieren.

Außerdem müsse „die Entkernung des Bundeshaushalts durch die Flucht in Sondervermögen rückgängig gemacht werden“. In den Bund-Länder-Finanzbeziehungen brauche es eine Entlastung des Bundes sowie ein Reporting zu den „explosionsartig steigenden Zinsausgaben“.

Der Bundesrechnungshof kontrolliert als unabhängige Instanz, ob der Bund sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler umgeht. Aber nicht nur deshalb haben seine Worte Gewicht. Derzeit stellt die Bundesregierung den Bundeshaushalt für das kommende Jahr auf. Diese Woche führt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) persönlich mit allen Kabinettsmitgliedern Gespräche über ihre Etats für 2024.

Lindner spricht mit allen Ministerinnen und Ministern persönlich

Dass der Finanzminister alle Gespräche selbst führt, ist eher ungewöhnlich. Grund dafür ist ein handfester Haushaltskrach, den sich Lindner insbesondere mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und den Grünen liefert. Lindner und Habeck hatten sich in einem heftigen Briefwechsel gegenseitig Vorhaltungen gemacht.

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Habeck warf Lindner vor, fest verabredete Projekte der Ampel wie die Kindergrundsicherung zu blockieren. Lindner entgegnete, Habeck breche den Koalitionsvertrag, wenn er Steuererhöhungen oder das Überschreiten der in der Schuldenbremse verankerten Schuldenobergrenze fordere, um die Ampelpläne zu finanzieren.

In genau diesen Streit kommt nun der Bericht des Bundesrechnungshofs, mit dem sich die Rechnungsprüfer eindeutig auf die Seite Lindners schlagen. So fordern die Rechnungsprüfer etwa, die von Lindner für die Haushaltspolitik „angekündigte Zeitenwende umzusetzen“.

>> Lesen Sie auch: Das sind die Streitthemen der Ampel

„Die Politik ist gefragt, gut zu haushalten, also zu priorisieren“, sagte Scheller. Regierung und Parlament hätten die Verantwortung, abzuwägen, Konflikte auszutragen und Entscheidungen zu treffen, „anstatt den einfachen Weg zu gehen und diese Entscheidungen über Schulden in die Zukunft zu verlagern“.

Zu viele Ausgaben seien fest gebunden

Das Problem aus Sicht des Rechnungshofs: Immer mehr Ausgaben im Bundeshaushalt seien gebunden, insbesondere für Sozialausgaben. Hinzu kämen die vorgeschriebene Tilgung der in der Corona- und Energiekrise aufgenommenen Schulden ab dem Jahr 2028 sowie stark steigende Zinskosten für neue Schulden, die binnen drei Jahren von vier auf 40 Milliarden Euro explodiert seien.

„Die Zinslasten als Preis der Verschuldung rauben dem Bund letzte verbliebene Haushaltsspielräume“, schreiben die Rechnungsprüfer.

Christian Lindner

Der Finanzminister verhandelt mit den Ministerien aktuell über ihre Etats für 2024.



(Foto: dpa)

Beleg dafür seien immer neue Sondervermögen abseits des regulären Haushalts. „Durch die Verlagerung von Schulden in Sondervermögen wird der Bundeshaushalt entkernt und die Schuldenregel ausgehöhlt“, konstatieren die Rechnungsprüfer.

Kay Scheller

Der Präsident des Bundesrechnungshofs kritisiert die Haushaltspolitik der Bundesregierung.


(Foto: imago/IPON)

Zudem gebe es eine immer größere „Schuldenkluft“ zwischen dem Bund auf der einen sowie Ländern und Gemeinden auf der anderen Seite. Während der Bund Rekordschulden machte, haben Länder und Kommunen im Vorjahr kräftige Überschüsse erzielt. „Im Ergebnis finanziert der Bund mit seinen neuen Schulden die Konsolidierung der Länderhaushalte“, schreibt der Rechnungshof.

Dabei erodiere die Finanzierungsbasis des Bundeshaushalts durch dauerhaften Verzicht auf Steueranteile zugunsten von Ländern und Gemeinden ohnehin. „Der Bund hat seine Belastungsgrenze erreicht“, sagte Scheller.

Die Bundesregierung müsse die „Versteinerung“ des Bundeshaushalts dringend auflösen, alle Sozialversicherungszweige für die kommenden Jahrzehnte tragfähig machen und dürfe keine neuen Ausgaben ohne langfristige Finanzierung beschließen.

Ökonomen halten Schuldenstand für unproblematisch

Viele Politiker von SPD und Grünen, aber auch viele Ökonomen sehen die Schuldenlage bei Weitem nicht so dramatisch wie der Rechnungshof, eher im Gegenteil. Sie verweisen auf den verhältnismäßig geringen Schuldenstand Deutschlands. So liegen die Schulden gemessen am Bruttoinlandsprodukt trotz des starken Schuldenanstiegs bei 70 Prozent und werden laut Prognosen in den nächsten Jahren fallen. Deshalb gibt es insbesondere im linken politischen Lager Stimmen, die eher mehr Schulden fordern – und dafür auch die Schuldenbremse reformieren wollen.

Zunächst einmal will die Koalition die Schuldenregel aber einhalten. Darauf verständigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Lindner und Habeck bei einem vertraulichen Gespräch vergangene Woche. Das bedeutet aber auch: Die Koalition wird Ausgaben priorisieren müssen.

Mehr: Ampelstreit über Gas und Öl – Wie grün muss die Förderbank sein?



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