Habeck brachte in seinem Brief aber eine Alternative ins Spiel: höhere Einnahmen, also auch höhere Steuern. Wäre es das wert? Zwei führende Ökonomen sind sich da uneinig. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen, und Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), geraten in der Diskussion um Einkommensteuer, Wettbewerbsfähigkeit, Schuldenbremse und Erbschaftsteuer hart aneinander.
Frau Schnitzer, Robert Habeck und Christian Lindner haben sich in der Haushaltsplanung überworfen. Es gibt zu wenig Geld für zu viele Vorhaben. Wie lässt sich das lösen?
Schnitzer: Nur auf Schuldenfinanzierung zu setzen wird nicht gehen. Es gibt also zwei Lösungen. Die Regierenden müssen priorisieren, wofür sie das Geld ausgeben. Das kann die Lücke im Haushalt etwas verkleinern. Sie wird sich dadurch aber nicht schließen lassen. Die zweite Möglichkeit sind mehr Einnahmen. Die Steuereinnahmen erhöhen sich aber nicht von allein, weil Deutschland seit vier Jahren so gut wie gar nicht mehr wächst. Im Gegenteil: Die Energiekrise hat Deutschland massiv ärmer gemacht. Das muss jemand tragen.
Sie wollen also Steuern erhöhen?
Schnitzer: Wir haben uns im Sachverständigenrat für eine befristete Anhebung des Spitzensteuersatzes oder die Einführung eines befristeten Energie-Solis ausgesprochen. Mit der Begründung, dass die jetzt gestarteten Energiepreisbremsen nicht ausreichend zielgenau sind. Besserverdienende bekommen mehr staatliche Hilfe als ärmere Menschen, obwohl diese es dringender bräuchten. Ein anderer Vorschlag war, den Ausgleich der kalten Progression zu verschieben, das hätte einen ähnlichen Effekt gehabt.
Herr Hüther, was halten Sie von der Idee?
Hüther: Wir sind als Volkswirtschaft ärmer geworden, ja. Daraus aber den Bedarf Steuererhöhungen abzuleiten ist weder ökonomisch noch politisch überzeugend, sondern schlicht absurd. Jede Steuer, die Sie anheben, führt auch zu einer höheren Belastung für Unternehmen. In der Krise Steuern zu erhöhen ist grundsätzlich falsch. Auch die kalte Progression als politisches Instrument auszunutzen, wenn die Inflation hoch ist, ist nicht nur falsch, sondern ein Vertrauensbruch.
Schnitzer: Klar betrifft das immer auch Unternehmen – aber eben nur solche, die Gewinn machen. Und es gab in diesem Jahr einige Unternehmen, die hervorragende Gewinne gemacht haben.
Hüther: Unternehmen und hohe Einkommen werden ja bislang nicht nur ein bisschen hier und da besteuert. Wir haben mit 24,5 Prozent die höchste volkswirtschaftliche Steuerquote seit der Wiedervereinigung. Und unser Steuersystem ist doch längst so ausgestaltet, dass die reicheren Haushalte und Unternehmen die Hauptlast tragen. Man muss die Betroffenen nicht doch noch zu einem weiteren Wohlstandsverlust treiben, indem Sie den Standort Deutschland noch unattraktiver machen.
Schnitzer: Ich glaube nicht, dass bis 2024 befristete Steuererhöhungen gleich den ganzen Standort in den Ruin führen würden. Studien zeigen: Eine permanente Steuererhöhung um einen Euro reduziert die Investitionen um 25 Cent. Unser Vorschlag sind temporäre Erhöhungen. Ein eventueller negativer Effekt ist also überschaubar.
Hüther: Es ist doch eine Mär, dass man Steuererhöhungen politisch verlässlich befristen könnte.
Schnitzer: Die allermeisten Steuern sind wieder abgeschafft worden. Es gibt wirklich nur eine Steuer, bei der das nicht der Fall ist: die Schaumweinsteuer. Wir gleichen regelmäßig die kalte Progression aus. Das ist alle zwei Jahre eine Steuersenkung.
Hüther: Und der Soli?
Schnitzer: Der Soli? Der wurde doch zur Hälfte schon wieder abgeschafft. Außerdem: Wer geglaubt hat, die Einheit sei in ein paar Jahren erledigt, war blauäugig. Auch der Bundesfinanzhof sieht aktuell noch einen erhöhten Finanzbedarf aus der Wiedervereinigung. Und wenn man es nicht schafft, ein Gesetz zu machen, das ein klares Enddatum enthält, dann hat die Regierung ihren Job verfehlt.
Hüther: Frau Schnitzer, es ist doch ein reiner Hoffnungswert zu glauben, dass eine breite Besteuerung so leicht zurückgenommen wird. Sie kommen aus der Nummer nicht mehr raus, alles andere zu glauben, halte ich für politische Naivität.
Zurück zum Kern: Warum sollten nicht zielgenaue Energiepreisbremsen mit Steuern ausgeglichen werden, Frau Schnitzer?
Schnitzer: Leute wie Herr Hüther und ich, wir brauchen diese Energiehilfen nicht. Doch wir bekommen sie trotzdem und noch mehr als andere, weil wir größere Häuser oder Wohnungen als Menschen mit geringerem Einkommen haben. So wird mehr Geld ausgegeben als nötig, auf Kosten unserer Kinder, die die Schulden später abbezahlen müssen, was weiter die Inflation antreibt.
Hüther: Das passt doch nicht zusammen, was Sie sagen. Sie tun gerade so, als könnten Sie mit dem Millimetermaß Zielgenauigkeit herstellen. Das ist unrealistisch. Ob die Energiepreisbremsen überhaupt eine Rolle spielen werden, ist angesichts der sinkenden Marktpreise für Gas und Strom zudem nicht klar. Sie wollen also steuerpolitisch in Vorleistung gehen.
Schnitzer: Dass gerade konservative Ökonomen wie Sie, die sonst immer so auf das Geld achten, jetzt so wenig auf Sparsamkeit setzen, finde ich wirklich erstaunlich.
Hüther: Das halte ich für absurd. Vor allem, weil es im Gegenzug kein konkretes Konzept für Ihren Vorschlag gibt. Im Jahresgutachten des Sachverständigenrats sind dazu nicht mehr als ein paar allgemeine Sätze zu finden und keinerlei Analyse, wie ziel- oder eben auch ungenau die Preisbremsen wirklich sind und was genau welche Steuererhöhungen ändern würden. Das ist erschütternd, was daraus an politischer Welle inszeniert wurde.
Schnitzer: Wir haben kein Konzept mit quantifizierten Abschätzungen vorgelegt, was aber auch daran liegt, dass die Gaspreisbremse erst drei Tage vor Übergabe unseres Jahresgutachtens fertig war. Aber anscheinend haben wir, wenn ich Ihnen so zuhöre, einen wunden Punkt getroffen, sonst müssten Sie sich als Direktor eines arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstituts nicht so dagegen wehren.
Hüther: Gegen ökonomischen Unsinn muss ich mich wehren. Ihre Argumente überzeugen mich nicht. Die Empfänger müssen die Hilfen aus den Energiepreisbremsen versteuern, schon das schafft mehr Gerechtigkeit.
Schnitzer: Aber es bleibt bei den Besserverdienenden netto immer noch etwas übrig, obwohl sie es nicht brauchen, wir haben ja keinen Steuersatz von 100 Prozent.
Hüther: Was Sie hier vortragen, entspricht sicher einer in Teilen der Gesellschaft verbreiteten Haltung. Bloß ist es ein rein politischer Vortrag mit Werturteilen.
Schnitzer: Dass Sie alles, bei dem der Begriff Steuern in Kombination mit Erhöhung zusammenkommt, kategorisch ablehnen, ist doch die Reinform eines politischen Werturteils. Wir haben ökonomische Argumente vorgetragen.
Hüther: Nö, haben Sie nicht.
Schnitzer: Doch.
Hüther: Nein. Sie müssen Ihren eigenen Text mal lesen. Da steht nichts zur konkreten Ausgestaltung für spezifische Gründe drin.
Schnitzer: Wir haben geschrieben: Ein Gesamtpaket von Entlastung für alle und Belastung für Besserverdienende ermöglicht bessere Zielgenauigkeit, reduziert somit die notwendige Schuldenfinanzierung und verringert den inflationstreibenden Fiskalimpuls. Ich habe noch kein Argument von Ihnen gehört, dass diese Argumentation widerlegt.
Die eigentliche Frage neben den Energiehilfen ist doch: Wer trägt neben den Kosten der Krise die Kosten der Transformation der Wirtschaft?
Hüther: Richtig. Wir haben eine Unterfinanzierung in vielen Bereichen, vor allem in der Infrastruktur. Über den normalem Steuerhaushalt ist das nicht zu bewältigen. Aber da geht es nicht nur um die Frage, ob Arm oder Reich das finanzieren, sondern vor allem, welche Generation das tut. Es ist nicht gerecht, wenn eine Generation beides leisten muss: Die Vergangenheit aufräumen und die Transformation stemmen. Anstatt mit steuerpolitischen Debatten die Verantwortung hin und her zu schieben, brauchen wir eine klare Antwort: Investitionen in die Zukunft, und ja, das bedeutet, die nötige Transformation fokussiert über Kredite zu finanzieren.
Führt das die Schuldenbremse nicht ad absurdum?
Hüther: Es ist richtig, dass Finanzminister Lindner an der Schuldenbremse vorbei kreditfinanzierte Geldtöpfe schafft. Dafür braucht es aber systematische Kriterien, jetzt ist es Wildwuchs.
Schnitzer: Das sehe ich anders. Unsere Generation, Herr Hüther, hat in den vergangenen 30 Jahren sehr gut gelebt und wenig Steuern etwa für die Verteidigungsausgaben zahlen müssen. Diese versäumten Ausgaben über Schulden allein der nächsten Generation aufzubürden, die mehr als gefordert sein wird, unsere Renten zu finanzieren, erscheint mir nicht richtig.
Eine andere Idee aus Richtung der FDP lautete zuletzt, an der Mehrwertsteuer zu schrauben, um Entlastungen bei der Einkommensteuer zu finanzieren.
Schnitzer: Davon halte ich nichts, schon gar nicht mit Blick auf die ohnehin immer teurer werdenden Lebensmittel. Das würde die einkommensschwächeren Schichten hart treffen.
Hüther: Ein einheitlicher Satz von 16 Prozent Mehrwertsteuer als Ersatz hätte in der Tat große verteilungspolitische Auswirkungen. Wir bräuchten viel mehr eine grundlegende Steuerreform, die das System als Ganzes in den Blick nimmt.
Der Bund könnte zumindest bei den vielen Ausnahmen aufräumen, für die der verminderte Mehrwertsteuersatz gilt.
Schnitzer: Ja, ohne Zweifel, an diese Ausnahmen sollten wir ran. Dass ein Latte macchiato zum Mitnehmen mit sieben Prozent, ein schwarzer Kaffee mit 19 Prozent besteuert wird, ergibt keinen Sinn. Die Ausnahmeregelungen sind oft willkürlich und öffnen dem Lobbyismus Tür und Tor.
Hüther: Das sehe ich ähnlich, große Einnahmespielräume wird das allerdings nicht schaffen.
Die ließen sich dafür über die Einführung einer Vermögensteuer generieren, die die SPD-Vorsitzende Saskia Esken jetzt wieder fordert.
Hüther: Bitte nicht schon wieder diese Diskussion. Der Aufwand steht in keinem Verhältnis zum Ertrag. Wenn wir über die Besteuerung der Substanz sprechen wollen, dann über die Erbschaftsteuer bei Privatvermögen. Eine Debatte darüber, ob leistungsloses Einkommen sinnvoll ist oder nicht, kann man durchaus führen. Aber Vermögensteuer? Um Gottes willen nein, das würde ja nicht einmal Frau Schnitzer vorschlagen.
Schnitzer: Da liegen Sie ausnahmsweise mal richtig, Herr Hüther. Und ja, an die Erbschaftsteuer müssen wir ran – allerdings vor allem an die Frage, wie die Vererbung von Unternehmen besteuert werden sollte.
Frau Schnitzer, Herr Hüther, vielen Dank für das Gespräch.
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