Berlin, Brüssel Zur Überraschung der EU-Partner ist Deutschland doch nicht bereit, einem Verbot von Verbrennungsmotoren zuzustimmen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) verhinderte die deutsche Zustimmung. Damit konnte die Sache am Mittwoch nicht wie geplant durchgewinkt werden.
Dabei hatte die Bundesregierung bei früheren Abstimmungen zugestimmt, mit Unterstützung der FDP. Die FDP hatte den Text, den sie nun ablehnt, sogar als Erfolg gefeiert.
Allerdings wird in dem Text von der EU-Kommission ein Vorschlag zu E-Fuels gefordert, der bislang nicht vorliegt.
Die EU verpflichtet Autobauer seit Jahren dazu, den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge zu reduzieren. Geregelt wird das über die „Flottengrenzwerte“. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, diese Grenzwerte im Jahr 2035 auf null zu setzen.
Dann dürfen bis auf wenige Ausnahmen nur noch solche Autos neu zugelassen werden, die beim Fahren kein CO2 ausstoßen. Damit wäre der Verbrennungsmotor verboten. Dagegen wehren sich einige Autohersteller, Zulieferfirmen und jene Unternehmen, die E-Fuels herstellen wollen.
Lässt sich das Verbot noch stoppen?
Das Europaparlament hat dem Vorschlag Mitte Februar bereits zugestimmt. Die FDP-Abgeordneten votierten wie auch CDU und CSU dagegen. Dass die FDP auch innerhalb der Bundesregierung die Zustimmung zurückzieht, kündigte sie da noch nicht an.
Nun kommt es auf den zweiten Gesetzgeber in der EU an: den Rat der Europäischen Union, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind. Dieser kann den Gesetzesvorschlag annehmen oder mit Änderungen an das Parlament zurückschicken. Was dann aus dem Gesetz würde, wäre unklar.
So weit der offizielle Weg der Gesetzgebung. Tatsächlich haben sich Rat, Parlament und Kommission aber längst darauf geeinigt, den Vorschlag in seiner jetzigen Fassung anzunehmen. Auch Deutschland stimmte zu. Darum galten die Vorabstimmung an diesem Mittwoch und die endgültige Abstimmung am kommenden Dienstag eigentlich als Formsache.
Zwei Länder, Polen und Bulgarien, haben mit langem Vorlauf angekündigt, nicht zuzustimmen. Dass nun Deutschland und auch Italien kurzfristig ihre Zustimmung zurückziehen, ist sehr ungewöhnlich. Die Vorabstimmung ist nun auf Freitag verschoben, die Endabstimmung am Dienstag soll laut Ratsvorsitz stattfinden.
Was verlangt die FDP?
Auf Druck der Liberalen wurde in den Gesetzentwurf folgender, rechtlich nicht bindender Passus eingefügt: „Nach einer Konsultation von Stakeholdern wird die Kommission einen Vorschlag unterbreiten für die Zulassung nach 2035 von Fahrzeugen, die ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren, in Übereinstimmung mit EU-Recht, außerhalb des Geltungsbereichs der Flottengrenzwerte und im Einklang mit dem EU-Ziel der Klimaneutralität.“ (zum Originaltext)
Die Grünen verstehen darunter Spezialfahrzeuge wie Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge (weil diese außerhalb des Geltungsbereichs der Flottengrenzwerte sind). Die FDP hingegen möchte, dass die EU normale Verbrenner-Pkw ermöglicht.
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Die EU-Kommission hat bislang den verlangten Vorschlag noch nicht vorgelegt. Das kritisiert die FDP. Wie dann nachgewiesen werden soll, dass Pkw „ausschließlich mit CO2-neutralen Kraftstoffen fahren“, ist unklar. Denkbar wären besondere Einfüllstutzen, in die nur spezielle Zapfhähne passen, aus denen dann E-Fuels getankt würden.
Sind E-Fuels klimaneutral?
Theoretisch können sie das sein. E-Fuels (englisch: electrofuels) sind synthetische Kraftstoffe, die zum Betrieb eines Verbrennungsmotors genutzt werden können. Sie werden mithilfe von Strom aus Wasser und Kohlendioxid (CO2) hergestellt. Dieser Prozess wird als „Power-to-X“ bezeichnet. „Power“ steht für Strom, das „X“ wahlweise für Benzin, Diesel oder auch Kerosin.
E-Benzin, E-Diesel oder E-Kerosin könnten in den heutigen Motoren als Kraftstoff verwendet werden. Ihre Verbrennung erzeugt grundsätzlich ebenso viel umweltschädliche Abgase wie herkömmliche Kraftstoffe.
Wenn jedoch der Strom zur Herstellung vollständig aus erneuerbaren Quellen stammt und zudem das notwendige CO2 aus der Atmosphäre, Biomasse oder Industrieabgasen stammt, also ohnehin schon vorhanden ist, wäre ihre Nutzung klimaneutral.
Was haben Klimaschützer gegen E-Fuels?
Bei der Herstellung elektrobasierter Kraftstoffe müssen mehrere energiefressende Umwandlungsstufen durchlaufen werden; vor allem für die Herstellung des Wasserstoffs sind große Mengen Strom nötig. Hinzu kommt, dass die Verbrennungsmotoren nur rund ein Drittel der Energie aus den E-Fuels in Bewegung umsetzen. Das ist übrigens bei Benzinern und Dieselautos genauso. Insgesamt ist die Energiebilanz von Verbrenner-Autos darum deutlich schlechter als die von E-Autos.
Nach Angaben des Thinktanks Agora Energiewende kommen synthetische Kraftstoffe auf einen Wirkungsgrad von etwa 13 Prozent: Also lediglich 13 Prozent der bei der Herstellung eingesetzten elektrischen Energie bewegen das Fahrzeug. Bei E-Autos sind es 69 Prozent. Anders gesagt: Mit E-Fuels betankte Autos brauchen pro Kilometer fast fünfmal so viel Energie wie ein Batterie-Auto. Das wiegt auch den Nachteil der energieintensiven Produktion der E-Auto-Batterie auf.
Was spricht dagegen, Sonnen- und Windenergie in E-Fuels zu verwandeln und an Tankstellen anzubieten?
Die Planungen der EU und der Bundesregierung sehen vor, dass große Mengen E-Fuels sowohl in Europa wie auch in anderen Teilen der Welt hergestellt werden. Sie sollen verwendet werden, um unter anderem Schiffe und Flugzeuge anzutreiben, bei denen Batterien unpraktikabel sind. Ob das klappt, ist unklar. Noch gibt es dafür bei Weitem nicht genug Windräder, Solaranlagen und Power-to-X-Anlagen.
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Auch der Transport nach Europa ist nicht trivial. Wenn neben Schiffen und Flugzeugen auch noch Lkws und Autos mit E-Fuels betankt werden sollen, wird die Umsetzung der Pläne und damit das Erreichen der Klimaneutralität umso schwieriger.
Wie sollen die vorhandenen Verbrenner-Autos klimaneutral werden?
Gar nicht. Die vorhandenen Verbrenner-Pkw fahren weiter und werden vor allem mit Benzin und Diesel betrieben. Die EU hat das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Neue Pkw fahren ungefähr 15 Jahre lang auf Europas Straßen. Wenn also ab 2035 nur noch Elektroautos zugelassen werden und der Strommix bis 2050 auf erneuerbare Energien umgestellt wird, ist der Pkw-Verkehr bis 2050 praktisch klimaneutral. Sollten E-Fuels trotz aller Knappheiten deutlich günstiger werden, könnte man sie dem normalen Benzin und Diesel beimischen.
Wissing will Verbrenner-Aus nicht mittragen
Für Flugzeuge gibt es solche Regeln bereits: Laut Gesetz muss ab 2026 Flugbenzin 0,5 Prozent E-Kerosin enthalten. Der Anteil steigt bis 2030 schrittweise auf zwei Prozent. Für Pkws würde das in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU geregelt. Mit dem Gesetz zu den Flottengrenzwerten haben diese Überlegungen zur Bestandsflotte nichts zu tun.
Wie teuer sind E-Fuels?
Für normale Kunden sind synthetische Kraftstoffe bisher so gut wie nicht zugänglich. Als einziger deutscher Autobauer investiert Porsche in die E-Fuels-Produktion – vor allem in der Hoffnung, noch lange herkömmliche Sportwagen betreiben zu können.
Im windreichen Süden Chiles baut das Unternehmen für eine halbe Milliarde Euro eine Anlage, die mithilfe von Windstrom E-Fuels herstellen soll. Das Wirtschaftsministerium unterstützt das Projekt mit gut acht Millionen Euro.
Nach Angaben der Bundesregierung betragen die Kosten von strombasierten Flüssigkraftstoffen mindestens 4,50 Euro pro Liter Dieseläquivalent, also im Vergleich zu einem Liter Diesel. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Produktionskosten drei- bis sechsmal höher sind als die Marktpreise fossiler Kraftstoffe.
Da es aber bisher nur Pilotanlagen gibt, ist damit zu rechnen, dass die Produktion in Großanlagen deutlich günstiger wäre. Das Fraunhofer-Institut für Energieinfrastruktur und Geothermie geht allerdings davon aus, dass sich die Weltmarktpreise für grünen Wasserstoff, der aus Ökostrom hergestellt wird, schon bis 2030 verdreifachen könnten.
Der Import von E-Fuels aus Sonnen- oder Wind-Staaten sei also voraussichtlich „kein billiges Patentrezept“. Zwar sei die E-Fuels-Produktion etwa in Nordafrika oder im Nahen Osten wegen der vielen Sonnenstunden attraktiv.
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Zunehmende Kapital- und Transportkosten könnten diese Vorteile aber schnell schmälern oder sogar zunichtemachen. Die Bundesregierung erwartet, dass die Kosten für E-Fuels „auf absehbare Zeit bis in die 2030er-Jahre hinein auf jeden Fall deutlich über denen für fossile Kraftstoffe liegen werden“.
Mehr: Wissing blockiert EU-Kompromiss zu Verbrennungsmotoren.
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