Sie habe sich doch gewundert, sagt die 42-Jährige, was der Ausdruck „feministisch“ für ein „Triggerwort“ sei. Dabei sollte das, was mit den Leitlinien angestrebt werde, doch eine Selbstverständlichkeit im 21. Jahrhundert sein: dass alle Menschen gleiche Rechte, Freiheiten und Chancen haben – egal, welches Geschlecht sie hätten.
Die feministische Außenpolitik ist ein wichtiges Projekt von Baerbock, aber auch von ihrer Partei selbst. Schon in der Opposition hatten die Grünen es vorangetrieben. Gleichzeitig ist es eines von Baerbocks schwierigsten Projekten, die viel Erklärung erfordern.
Darum lässt sich die Ministerin auch nicht nehmen, es am Mittwoch kurz vor Abflug zum G20-Außenministertreffen in Neu-Delhi selbst vorzustellen.
Insbesondere von konservativen Stimmen kommt Gegenwind – nicht nur von CDU-Politikern. Das Ganze wirke „wie ein Etikett, das eine frauenbewegte Politikerin ihrem Ministerium anheften will“, ätzt die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Baerbock ordnet ,feministischen Reflex‘ an“, spottet sogar der liberale „Spiegel“. Feminismus polarisiert.
Auch im eigenen Haus missfällt einigen Baerbocks unbedingter Wille, den Feminismus zum „Mainstream“ im Auswärtigen Amt zu machen. Einige Männer haben Angst, dass sie nicht mehr befördert werden, weil ihre Kolleginnen den Vorzug bekommen. Die Mehrheit der Mitarbeiter aber weiß, dass es Initiativen wie die von Baerbock braucht, um die über Jahre gefestigten konservativen Strukturen wie im Auswärtigen Amt aufzubrechen.
Auswärtiges Amt noch weit von Gleichberechtigung entfernt
Doch was ist feministische Außenpolitik überhaupt? Worum geht es bei den neuen Leitlinien?
Da ist erstens der Wille, im Haus Gleichberechtigung zu fördern. Das Amt gehörte jahrelang zu den Schlusslichtern beim Anteil von Frauen in Führungspositionen unter allen Ministerien. Obwohl sich ein Wandel abzeichnet, ist es noch weit von Gleichberechtigung entfernt.
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Zweitens sollen in der Außenpolitik stärker weibliche Interessen beachtet werden. Explizit geht es nicht darum, die Gelder anderer Ressorts umzuwidmen. Im Gegenteil: Sowohl Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) als auch Baerbock betonen in ihren Strategien, dass es darum geht, die jeweiligen Mittel ihrer Ministerien so auszurichten, dass sie feministische Kriterien stärker berücksichtigen.
Frauen sollen häufiger Entscheidungsmacht bekommen, etwa bei Friedensprozessen. Denn, so Baerbock im Weltsaal, Friedensverträge seien stabiler, wenn Frauen sie mitschreiben.
Schon jetzt trifft sich Baerbock auf ihren Reisen häufig mit weiblichen Führungspersonen, fast alle ihrer Reden beginnt sie mit persönlichen Geschichten über Frauen oder Kinder. Es ist der Versuch, Politik greifbarer und Frauen sichtbarer zu machen in einer Welt, in der die männliche Sichtweise in fast allen Lebensbereichen dominiert.
Baerbock grenzt sich von ihren Vorgängern ab
Über die Einhaltung der Leitlinien und ihre Weiterentwicklung soll eine „Botschafterin für feministische Außenpolitik“ wachen. Baerbock will die feministische Außenpolitik genauso wie die Klimapolitik als Querschnittsthemen fest im Auswärtigen Amt verankern. Gelingt ihr das, könnte dieser Wandel einer sein, der ihre Zeit als Ministerin überdauert.
Baerbock hebt sich in vieler Hinsicht von ihren Vorgängern im Amt ab. Statt sich hinter komplizierten Schachtelsätzen oder diplomatischen Floskeln zu verstecken, redet sie oft frei und scheut sich auch nicht davor, Englisch zu reden – nicht ohne Risiko für die Nichtmuttersprachlerin. Zuweilen eckt sie mit ihrer direkten Art und ihrem Hang zur Umgangssprache, insbesondere wenn sie Englisch spricht, an.
In der deutschen Bevölkerung jedoch kommt sie gut an. Über Monate war sie die beliebteste Politikerin Deutschlands. Im Februar rutschte sie in der Wählergunst etwas ab, belegt aber im Politbarometer immer noch den vierten Platz.
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Im Auswärtigen Amt ist man unterschiedlicher Meinung, was ihre bisherige Performance angeht. Nach der anfänglichen Euphorie, mit Baerbock nach ihrem Vorgänger Heiko Maas (SPD) endlich wieder jemanden an der Spitze zu haben, die dem Amt politisches Gewicht verleiht, kommt zuweilen auch Skepsis auf. Weniger Show, mehr Ergebnisse – das wünschen sich manche im Amt. Und doch: „Baerbock hat vieles in Bewegung gebracht“, heißt es anerkennend.
Bei ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen ist sie beliebt, US-Außenminister Antony Blinken nennt sie eine „Freundin“. Dass bei der UN-Vollversammlung vergangene Woche 141 der 193 UN-Mitgliedstaaten in einer Resolution einen sofortigen russischen Truppenabzug forderten, war auch ihr Verdienst. Baerbock hatte in zahlreichen Telefongesprächen und Treffen etwa am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz persönlich bei den Ländern um deren Stimme geworben.
Auch an der Klimapolitik muss sie sich messen lassen
Am Ende wird sie sich daran messen lassen müssen, was aus ihren wichtigsten Projekten wird, darunter auch die Klimapolitik. Mit Beginn der neuen Bundesregierung hatte das Auswärtige Amt die Steuerung und Koordination der internationalen Klimapolitik – einschließlich der internationalen Klimaverhandlungen – übernommen.
Seitdem wurden Abteilungen inhaltlich neu aufgestellt, Mitarbeiter eingestellt, viel Wert auf die Koordinierung mit anderen Ressorts gelegt. Auf der Klimakonferenz im November im ägyptischen Scharm el-Scheich traten die vier mit Klimaschutz befassten Schlüsselministerien – neben dem Auswärtigen Amt sind es das Wirtschafts-, das Umwelt- und das Entwicklungshilfeministerium – als „Team Deutschland“ auf.
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Ein Fokus liegt auch auf den 226 Auslandsvertretungen. Bis heute wurden 37 sogenannte Klimaschwerpunkt-Vertretungen geschaffen, darunter in den von der Klimakrise besonders betroffenen Staaten. Anspruch ist, dass schrittweise alle Botschaften einen Fokus auf Klimathemen richten.
Es läuft noch nicht alles rund, heißt es bei Beobachtern. Aber die Mannschaft im Auswärtigen Amt mit nun knapp 70 Mitarbeitern sei „sehr aktiv“ und auf einem guten Weg. Der erste Aufschlag zur lang erwarteten Klimaaußenpolitik-Strategie wird bereits für Ende März erwartet. Das Bundeskabinett soll die Strategie im ersten Halbjahr verabschieden.
Doch der Zeitplan könnte ins Wanken geraten, genau wie bei der Nationalen Sicherheitsstrategie und der China-Strategie. Bei allen Themen ist Baerbock auf die Zusammenarbeit mit dem Kanzleramt angewiesen. Doch Baerbock und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind nicht immer einer Meinung, was die finale Abstimmung der Papiere verzögert.
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