Tokio Südkoreas Präsident Yoon Suk Yeol scheute sich am Tag der Unabhängigkeitsbewegung nicht, viele Wähler vor den Kopf zu stoßen. Als die Nation am Mittwoch eines Aufstands gegen die japanischen Besatzer im Jahr 1919 gedachte, bezeichnete er den ehemaligen Besatzer als „Partner“.
Japan habe sich „von einem militaristischen Aggressor der Vergangenheit in einen Partner gewandelt, der mit uns die gleichen universellen Werte teilt“, sagte Yoon in einer Gedenkrede.
Diese Worte stehen für eine mögliche Wende in den schwierigen Beziehungen der beiden Nachbarn und US-Verbündeten. Seinem Vorgänger Moon Jae In wäre diese Bezeichnung für Japan wohl kaum über die Lippen gekommen. Unter der Regierung des linken Politikers und damaligen rechten japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe waren die Beziehungen nahezu eingefroren.
Auslöser war eine Eskalation im langjährigen Streit um historische Fragen aus der Zeit der japanischen Annexion Koreas (1910–1945). Dazu gehörte das Schicksal der „Trostfrauen“ genannten Kriegsprostituierten und koreanischer Zwangsarbeiter für japanische Konzerne. Moon hob sie hervor, während Abe versuchte, die dunklen Seiten der eigenen Geschichte aus dem öffentlichen Gedächtnis zu verdrängen.
Der konservative Yoon versucht nun, diese Probleme in den Hintergrund zu drängen, damit sich die Nachbarn zusammen den gemeinsamen geopolitischen Herausforderungen stellen können – allen voran der Bedrohung durch Nordkoreas Atomwaffen und der wachsenden militärischen Macht Chinas. Seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 sucht Yoon nach einer Lösung für ein heikles juristisches Dilemma, das die Beziehungen endgültig beschädigen könnte.
Geopolitik schlägt Geschichtsstreit
Koreanische Gerichte hatten Südkoreanern, die während des Zweiten Weltkriegs für japanische Unternehmen zwangsrekrutiert worden waren, Entschädigungen zugesprochen. Allein dies wurde in Japan als Bruch des Völkerrechts angesehen. Denn die japanische Regierung pocht auf den Wortlaut des Grundlagenvertrags zwischen beiden Ländern aus dem Jahr 1965, wonach mit den damaligen Zahlungen Japans alle Entschädigungsansprüche abgegolten seien.
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Das Problem wurde endgültig zu einer tiefen diplomatischen Krise, als Gerichte die Beschlagnahmung von Vermögenswerten der betroffenen Unternehmen anordneten. Würden die Vermögenswerte versteigert, wäre aus japanischer Sicht die Grundlage der bilateralen Beziehungen zerstört. Dies versucht Yoon nun zu verhindern, indem er einen Entschädigungsfonds vorschlägt, der von den Unternehmen gespeist werden soll.
Eine endgültige Lösung gibt es noch nicht. Dennoch nimmt Yoon die Zusammenarbeit mit Japan in vielen Bereichen wieder auf. Militärisch bauen beide Seiten ihre Zusammenarbeit aus. Erst im vergangenen Monat hielten sie nach einem nordkoreanischen Raketentest gemeinsam mit den USA ein Seemanöver zur Raketenabwehr in regionalen Gewässern ab. Zuvor hatte man es vorgezogen, sich zu Übungen auf amerikanischem Territorium zu treffen.
Seoul und Tokio hoffen, durch eine engere Zusammenarbeit China von militärischen Aggressionen wie einer Invasion Taiwans abhalten zu können. Entspannung ist aber auch ein lang gehegter Wunsch der USA, die mit beiden Ländern nur bilaterale Sicherheitsbündnisse unterhalten. Eine engere Kooperation zwischen den Nachbarn würde das militärische Kräfteverhältnis mit China in Ostasien zugunsten der USA verschieben.
Südkorea, Japan und die USA führen Dreier-Gespräche
Am Dienstag haben die drei Partner nach eigenen Angaben ihre ersten trilateralen Gespräche über wirtschaftliche Sicherheit geführt. Yoon, der japanische Regierungschef Fumio Kishida und US-Präsident Joe Biden hatten diese Treffen im November 2022 beschlossen, um unter anderem bei Schlüsseltechnologien wie Quanten- und Weltraumtechnologie und Lieferketten für Halbleiter, Batterien und kritische Mineralien zusammenzuarbeiten.
Darüber hinaus wollen die drei Regierungen auch darüber beraten, wie sie Wirtschaftssanktionen begegnen können. Gemeint ist China, das in den vergangenen Jahren bereits Japan und Südkorea mit Handelssanktionen empfindlich getroffen hat, wenn diese Länder politisch etwas taten, was der chinesischen Führung missfiel.
Yoon warb mit einem Verweis auf die Geschichte um Zustimmung. „Wenn wir die sich verändernden Trends in der Weltgeschichte nicht erkennen und uns nicht angemessen auf die Zukunft vorbereiten, werden sich die Katastrophen der Vergangenheit wiederholen“, sagte er in Anspielung auf die Annexion Koreas.
Ob die politisch gespaltene Bevölkerung diesen Kurs mittragen wird, bleibt abzuwarten. Die außenpolitischen Beziehungen zum Nachbarn spielen innenpolitisch weiterhin eine wichtige Rolle im Ringen zwischen den Linksdemokraten und Yoons Partei der Volksmacht. Einige Dutzend Koreaner forderten am Mittwoch vor der japanischen Botschaft in Seoul, dass Yoons Regierung die Verhandlungen mit Japan über die Entschädigung von Zwangsarbeitern stoppt.
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