Die „unkorrekte Ausführung der Arbeitszeiterfassung“ gilt als „gängigste Umgehungspraxis“ des gesetzlichen Mindestlohns.
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Berlin Die Bundesregierung will die Durchsetzung des gesetzlichen Mindestlohns durch eine verlässlichere Dokumentation der Arbeitszeit verbessern. Valide Aufzeichnungen seien für wirksame Kontrollen „von großer Bedeutung“, schreibt das Bundesfinanzministerium in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken.
Deshalb seien das Finanz- und das Arbeitsministerium mit der Prüfung beauftragt, „wie durch elektronische und manipulationssichere Arbeitszeitaufzeichnungen die Durchsetzung des Mindestlohns weiter verbessert werden kann, ohne dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen durch die Anschaffung von elektronischen Zeiterfassungssystemen beziehungsweise digitalen Zeiterfassungsanwendungen übermäßig belastet werden“.
Nach dem Mindestlohngesetz muss die Arbeitszeit von Minijobbern und Beschäftigten der im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Branchen aufgezeichnet werden. Dazu zählen beispielsweise das Bau- und das Gastgewerbe, die Logistik oder die Gebäudereinigung. Es genügt, die Zeiten handschriftlich oder maschinell zu notieren.
Wie es in dem Ende 2020 erschienenen Forschungsbericht zur Evaluation des Mindestlohns heißt, gilt aber „die unkorrekte Ausführung der Arbeitszeiterfassung als gängigste Umgehungspraxis“.
Und umgangen wird die gesetzliche Lohnuntergrenze weiter häufig. Laut der Antwort des Finanzministeriums hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) im vergangenen Jahr insgesamt 5898 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz eingeleitet.
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Um den Kontrolleuren die Arbeit zu erleichtern und sicherzustellen, dass Beschäftigte auch tatsächlich den Mindestlohn erhalten, müsse die Bundesregierung endlich die Verpflichtung zu einer tagesaktuellen, manipulationssicheren Arbeitszeiterfassung auf den Weg bringen, fordert Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl, die die Kleine Anfrage gestellt hat: „Es kann nicht länger angehen, dass die Regierung sich hinter Prüfaufträgen versteckt, Beschäftigte im Regen stehen und betrügerische Arbeitgeber gewähren lässt.“
Bundesregierung will Rechtssicherheit schaffen
Wie aus dem Arbeits- und dem Finanzministerium zu hören ist, soll es nun eine Lösung im Rahmen des geplanten Gesetzes geben, mit dem die Bundesregierung nach dem „Stechuhr-Urteil“ des Bundesarbeitsgerichts Rechtssicherheit schaffen will. Die Erfurter Richter hatten im September 2022 unter Verweis auf das Arbeitsschutzgesetz entschieden, dass auch in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist. Bisher galt das nur für Überstunden. Details der Aufzeichnungspraxis sollen nun gesetzlich geregelt werden.
Für die besonders für Schwarzarbeit anfälligen Branchen hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits mit dem Gesetz zur Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro versucht, eine elektronische Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit einzuführen. Damit war er aber am Widerstand der FDP gescheitert.
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Um eine möglichst unkomplizierte elektronische Aufzeichnung der Arbeitszeit zu ermöglichen, hatte das Bundesarbeitsministerium nach dem Start des gesetzlichen Mindestlohns 2015 die in seinem Auftrag entwickelte App „Einfach erfasst“ kostenlos zum Download angeboten. Das Angebot war aber 2019 eingestellt worden, nachdem der Bundesrechnungshof moniert hatte, dass das Ministerium den Bedarf für die App und deren Wirtschaftlichkeit nachweisen müsse.
Ferschl fordert die Pflicht zu einer manipulationssicheren Erfassung der Arbeitszeit.
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Auf Anfrage teilt das Arbeitsministerium nun mit, man prüfe momentan die Machbarkeit einer elektronischen Arbeitszeiterfassung „im Hinblick auf technische und datenschutzrechtliche Aspekte“. Dabei müsse man sicherstellen, „dass sich die Anwendung in die bestehende technische Infrastruktur der Kontrollbehörden sowie der Unternehmen einpasst“.
Für die Linken-Abgeordnete Ferschl sind das vorgeschobene Ausflüchte. Sie verweist darauf, dass es eine Vielzahl von kommerziellen Angeboten zur Zeiterfassung gebe. Eine Abfrage bei verschiedenen Anbietern habe ergeben, dass diese weder aufwendig noch teuer seien und sich mit allen Formen von Arbeitszeitsystemen im Betrieb vereinbaren ließen. Schon für drei Euro je Arbeitnehmer und Monat lasse sich die manipulationssichere Erfassung realisieren.
Neben der korrekten Erfassung der Arbeitszeit müssten aber endlich auch die Kontrollbehörden personell angemessen ausgestattet werden, fordert Ferschl. Wie das Finanzministerium auf ihre Anfrage weiter mitteilte, sind von den insgesamt 10.223 Planstellen, die im Haushalt 2022 für die operativen Einheiten in der Zollverwaltung vorgesehen sind, lediglich 8240 besetzt. Die Lücke zwischen dem personellen Soll und dem Istzustand wachse seit Jahren, kritisiert Ferschl.
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