Berlin Für Marcel Fratzscher ist die Sache klar: „Die Inflation war und ist nicht nur deutlich zu hoch, sondern sie trifft Menschen mit geringen Einkommen deutlich stärker“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Diese Personengruppe erfahre individuell häufig „eine doppelt bis dreimal höhere Inflation“ als Menschen mit hohen Einkommen. Denn sie müssten einen großen Anteil ihres monatlichen Einkommens für Dinge wie Lebensmittel ausgeben, die besonders von starken Preissteigerungen betroffen seien.
Die Entwicklung verheißt nichts Gutes für Verbraucher. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform geht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage für viele Privathaushalte in diesem Jahr erheblich verschlechtern wird – trotz der milliardenschweren staatlichen Preisbremsen, die den drastischen Anstieg der Energiekosten dämpfen sollen.
„Es ist die Kombination aus lang anhaltender Inflation, langfristigem Energieumbau und der Zins-Zäsur an den Märkten, die die finanziellen Lasten der Verbraucher mittelfristig vergrößern wird“, sagte der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch, dem Handelsblatt.
Gründe für die Verschärfung der Lage für Privathaushalte
Als Konsequenz rechnet Hantzsch damit, dass die Zahl der überschuldeten Menschen am Ende dieses Jahres erstmals seit vier Jahren wieder steigen wird. Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen in Deutschland, dürfte seiner Einschätzung nach dann über neun Prozent betragen.
Zum Vergleich: In ihrem „Schuldneratlas Deutschland 2022“ zählte Creditreform im November knapp 5,9 Millionen überschuldete Personen, rund 274.000 oder 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Dies war der niedrigste Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004. Die Überschuldungsquote sank binnen Jahresfrist von 8,86 auf 8,48 Prozent.
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Die zu erwartende Wende zum Schlechteren in diesem Jahr erklärt Hantzsch mit den veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. „Die hohen Guthaben, die während Corona auf den Konten der Verbraucher aufgebaut wurden, haben, gepaart mit einer historischen Konsumzurückhaltung, für einen Puffer gesorgt, der aber heute nahezu aufgebraucht ist“, sagte er.
Schon bei einer im November veröffentlichten Umfrage im Auftrag der Auskunftei Schufa ging gut ein Drittel der rund 1000 Befragten (35 Prozent) davon aus, dass ihr Einkommen nicht ausreichen werde, um weiterhin den Lebensstandard zu halten. Die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher (50 Prozent) gab an, in den vergangenen sechs Monaten auf Ersparnisse zurückgegriffen zu haben.
Die Lage für manche Unternehmen dürfte sich nach Einschätzung von Creditreform ebenfalls verschlechtern. Um einen Arbeitsplatzabbau zu verhindern, habe der Staat zuerst „massiv“ finanziell geholfen, so Hantzsch. Doch nun werde die Unterstützung für die Wirtschaft wieder zurückgefahren.
Ruf nach höherem Mindestlohn
„Viele Durchwurschtler treffen jetzt auf ein hochvolatiles Wettbewerbsumfeld.“ Hantzsch erwartet daher, dass die Zahl der Firmeninsolvenzen dieses Jahr deutlich zunehmen werde – mit den entsprechenden Folgen für Arbeitsplätze.
DIW-Chef Fratzscher forderte als Entlastungsmaßnahme, die Steuerbelastung für Menschen mit geringen Einkommen zu reduzieren. „Konkret sollte die Politik die Mehrwertsteuer auf gesunde und nachhaltige Lebensmittel und andere Dinge der Grundversorgung senken und im Gegenzug Steuern auf fossile Energieträger und anderen nicht nachhaltigen Konsum erhöhen“, sagte er.
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Unabhängig davon seien höhere Löhne „das effektivste Instrument“ gegen eine Überlastung von Geringverdienern. „Zudem muss die Politik erneut über eine erneute Erhöhung des Mindestlohns nachdenken, denn der deutliche Anstieg auf zwölf Euro im vergangenen Jahr wurde durch die hohe Inflation bereits neutralisiert“, sagte Fratzscher.
Die SPD-Wirtschaftspolitikerin Verena Hubertz gab zu bedenken, dass es nicht die eine Maßnahme gebe, mit der gegengesteuert werden könne, da die Gründe für eine Überschuldung häufig sehr individuell seien. Gleichwohl sieht auch sie über die bereits beschlossenen Entlastungsmaßnahmen hinaus weiteren Handlungsbedarf.
„Wenn fast jeder zehnte Haushalt in einem der reichsten Länder überschuldet ist, dann funktioniert etwas nicht bei der Verteilung“, sagte Hubertz. „Hier sind eher große Stellschrauben gefragt, gerade bei Löhnen und Steuergerechtigkeit zwischen den verschiedenen Berufen.“
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