Berlin Es ist ein grauer Tag im Januar, als sich in der FDP Baden-Württemberg etwas entlädt. Die Liberalen sind zum Landesparteitag zusammengekommen, auf der Bühne steht die Generalsekretärin Judith Skudelny und ist sauer. Sie brüllt fast. Es geht um Frauen, darum, wie sie in der FDP behandelt werden.
Ausgelöst wurde Skudelnys Wutrede durch einen schlechten Witz. Rudolf Rentschler, der zum Inventar von FDP-Parteitagen gehört, fand, um das Frauenproblem der FDP zu lösen, solle jeder Mann zwei Frauen zu Parteiveranstaltungen mitbringen, eine sei dann „umsonst“. Eingeleitet hatte er seinen Beitrag mit der Anekdote, dass er für seine Erotikkalender in Zeiten der Inflation einfach mehr bezahle.
„Das Thema Frauen in der Partei, wie wir politische Mitwirkung und Gleichberechtigung erreichen, wie wir es schaffen, attraktiver zu wirken, das kann nicht damit beantwortet werden, dass jeder männliche“, Skudelny zieht die Augenbrauen hoch, „ne zweite Frau mitbringt.“
Sie ist nicht die Einzige, die Rentschlers Rede auf der Bühne kontert. Die Kommunalpolitikerin Carolin Holzmüller sagt, vielleicht hätten gerade Menschen den Livestream angeschaut, die überlegt hätten, FDP-Mitglied zu werden. Doch nach dem Redebeitrag: „Nein, danke!“, ruft Holzmüller.
Eine solche Entladung findet in der Politik, in der versucht wird, so viel wie möglich zu inszenieren, nur selten statt. Sie gewährt einen Einblick in das Innerste der FDP, in den Teil, den Funktionäre gern vor der Öffentlichkeit verbergen wollen. In die Stammtisch-FDP, in der Politik vor allem ein Männer-Geschäft ist.
FDP gilt als Männer-Partei
Für die FDP ist dieser Teil der Partei ein Problem geworden. Wie groß es ist, lässt sich an einer Zahl ablesen: Nur ein Prozent der Menschen in Deutschland finden laut einer Umfrage von Infratest dimap, dass die FDP sich für die Interessen von Frauen einsetze. 99 Prozent also glauben, dass die Liberalen die Belange der Hälfte der Bevölkerung nicht im Blick haben. Es ist eine desaströse Zahl.
Welche Auswirkungen das haben kann, zeigen die beiden letzten Landtagswahlen in Berlin und Niedersachsen. Beides Mal scheiterte die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde. In Niedersachsen haben fünf Prozent der Männer FDP gewählt, und vier Prozent der Frauen.
In Berlin waren es sechs Prozent Männer, vier Prozent Frauen. Es ist ein kleiner Unterschied. Doch er ist entscheidend. In beiden Bundesländern wären die Liberalen noch im Landtag vertreten, hätten so viele Frauen wie Männer sie gewählt.
Die FDP weiß, wie groß ihr Problem ist. Beim „Female Future Forum“ der Partei im Herbst 2022 sagte der Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, dass die FDP nur wachsen könne, wenn sie mehr Führungspositionen in der Partei mit Frauen besetzen könne. „Wenn wir diese Aufgabe nicht ernst nehmen, werden wir nicht erfolgreich sein“, sagte er.
Er wolle sich an diesem Vorhaben messen lassen, spätestens zur nächsten Bundestagswahl. Auch Parteichef Christian Lindner sagte, die Zahl der weiblichen Mitglieder und Wählerinnen sei nicht zufriedenstellend.
Dabei ist die Partei in ihren Beschlüssen durchaus progressiv. Die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen zum Beispiel sei „auch“ ein Produkt von Geschlechterstereotypen, schrieb sie 2019. Sie ging noch weiter: „Aus diesem Grund erkennen wir an, dass formale Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern allein noch nicht ausreicht.“
Das Problem der FDP mit Frauen ist also weniger ein politisch-inhaltliches als ein kulturelles. Das Wort Feminismus meiden die meisten FDP-Männer. Als Lindner im Herbst 2021 gefragt wurde, ob er Feminist sei, antwortete er, er wehre sich gegen „festgefügte Rollenbilder“.
Als er seine damalige Generalsekretärin Linda Teuteberg verabschiedete, sagte er, er denke „gerne daran“, dass sie in den vorangegangenen 15 Monaten „ungefähr 300-mal den Tag zusammen begonnen haben“. Lindner legte eine Kunstpause ein, es dauerte, bis die ersten im Saal anfingen zu lachen.
Lindner rollte mit den Augen. „Ich spreche über unser tägliches, morgendliches Telefonat zur Lage. Nicht, was ihr jetzt denkt.“ Teuteberg senkte den Blick, ein unangenehmer Moment. Erinnert man Frauen in der FDP daran, verziehen sie oft das Gesicht.
Die frühere FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin hat im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht, in dem sie die Kultur beschrieb, die ihr in der Partei begegnete, als ihre politische Karriere Anfang der Nullerjahre begann. Sie habe Sprüche gehört wie: „Ich habe nichts gegen Frauenbewegungen. Hauptsache, sie sind rhythmisch.“ Von ihr sei dann erwartet worden, nichts zu sagen, auszuhalten.
Derbe Stammtischkultur
Das ist lange her. Aber dass es in der FDP immer noch eine derbe Stammtischkultur gibt, bestreitet niemand. Vor allem in ländlichen Regionen sei sie ausgeprägt, erzählen manche. Die Kreisverbände sind für Interessierte oft die erste Anlaufstelle. Erleben sie hier eine Kultur, die für sie unangenehm ist, kommen sie nicht wieder.
Zurück auf dem Landesparteitag der FDP Baden-Württemberg. Die Kommunalpolitikerin Holzmüller steht auf der Bühne und erzählt, in ihrem Heimatort habe die FDP bei der Weihnachtsanzeige zwei Mal vergessen, ihre Funktion anzugeben. Dabei war sie Fraktionsvorsitzende.
Für die Bürgerinnen und Bürger im Ort sei das ein Zeichen, dass Frauen in der FDP „nicht wertgeschätzt“ würden. Sie habe Angebote anderer Parteien bekommen. „Weil die den Umgang mit Frauen in meiner Partei mitbekommen haben und fragen, will die nicht zu uns? Bei uns wird sie wertgeschätzt“.
Ein wichtiger Grund für den sinkenden Frauenanteil ist laut Baden-Württembergs FDP-Generalsekretärin Skudelny die Mitgliederentwicklung. Die Partei ist in den vergangenen Jahren gewachsen. „Aber Christian Lindner zieht mehr Männer“, sagt sie.
In der Partei gibt es einen Spitznamen für sie, „Mini-Lindners“. Junge, ehrgeizige Männer, immer gut angezogen, eher stolz auf ihre Ellenbogen.
Die FDP-Frauen organisieren sich
Die Frauen in der FDP organisieren sich inzwischen besser. Die Frauengruppe der Fraktion trifft sich regelmäßig, sie organisieren Veranstaltungen nur für Frauen, sie haben ein Konzept des „liberalen Feminismus“ entwickelt.
Seit 2019 gibt es mit den Landesverbänden Zielvereinbarungen, die eine Mindestzahl von Frauen in führenden Positionen vorschreiben. An der Umsetzung aber hapert es, eine feste Quote ist es nicht. Besteht vor Ort wenig Interesse an der Frauenförderung, gibt es keine Sanktionsmöglichkeit, wenn die Vereinbarung nicht eingehalten wird.
Nicole Bauer ist frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Sie habe in ihrem niederbayerischen Landkreis im Bezirksvorstand einen Frauenanteil von über 30 Prozent erreicht, weil sie sich darum gekümmert habe. „Zielvereinbarungen müssen verbindlicher werden“, fordert sie.
Bauer glaubt, es brauche vor allem vier Dinge, um mehr Frauen in die Partei zu holen: erstens eine Aufbereitung von Informationen, die Frauen anspricht. Zweitens eine Themensetzung, die die Belange von Frauen mitdenkt. Drittens müssten weibliche Neumitglieder gezielt angesprochen werden. Und viertens brauche es mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Partei.
Eine der bekanntesten liberalen Frauen zurzeit ist die Bundestagsabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Sie ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, sie hat sich schon früh für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine eingesetzt und ist in den Talkshows des Landes seit dem russischen Überfall Stammgast.
Neulich hielt sie eine Rede beim Orden wider den tierischen Ernst in Aachen. Sie war verkleidet als böse Stiefmutter von Schneewittchen, und ihre Büttenrede bohrte so tief, dass man darüber das Lachen vergessen konnte.
„Ich komme heut als Königin, weil ich derzeit die Böse bin. Böse auf die Zwergenschar, die toxisch Männlichkeit gebar. Ihr kennt die Zwerge, die ich meine, mit ihrem Ego nah der Beine“, reimte sie.
CDU-Chef Friedrich Merz war der „Flugzwerg aus dem Mittelstand“, der russische Präsident Wladimir Putin der „Vodka-Zwerg“, und es bleibt Spekulation, wen sie mit „Porsche-Zwerg“ meinte. FDP-Chef Lindner macht aus seiner Liebe zum Porsche jedenfalls kein Geheimnis.
Gerade sie müsste also Frauen in die Partei ziehen können. Anruf bei ihr. Warum, glaubt sie, tut die FDP sich mit Frauen so schwer? Sie sieht einen praktischen Grund: „Meiner jahrzehntelangen Beobachtung nach hat die CDU traditionell viele Frauen, die zumindest Hausfrauen sind oder waren. Die SPD rekrutiert Frauen auch aus dem gewerkschaftlichen Umfeld und die Grünen aus Verbänden.
Bei den Freien Demokraten sind viele Frauen selbstständig oder in akademischen Berufen, die es ihnen schwer machen, sich darüber hinaus ehrenamtlich zu engagieren. Sie werden so gut wie nie für ihr politisches Engagement freigestellt und dabei noch weiterbezahlt“, erklärt sie.
Strack-Zimmermann: „Frauen haben keinen Nerv, sich neben Familie und Job in der Partei aufzureiben“
Sie erzählt, wie schwierig es sei, Frauen für die politische Arbeit zu gewinnen. „Ich unterstütze Frauen immer und aus voller Überzeugung, aber sie müssen auch wollen. Je erfolgreicher sie in der Partei werden, desto robuster wird die Konkurrenz“, sagt sie, „ich erlebe häufig, dass Frauen wenig Lust haben, sich dieser zu stellen. Sie haben keinen Nerv darauf, neben Familie und Job sich dort aufzureiben.“
Anruf beim Generalsekretär Djir-Sarai. Was versucht die Parteispitze daran zu ändern? Er verweist auf die Erfolge. „Wir haben einen Frauenanteil von 44 Prozent im Bundesvorstand“, sagt er, „in der Breite der Partei wird sich das Problem nicht von heute auf morgen ändern, aber wir arbeiten dran.“ Was er denn machen könne? „Sensibilisieren, sensibilisieren, sensibilisieren“, sagt er.
Bislang scheinen die Bemühungen wenig zu bringen. In bundesweiten Umfragen liegt die FDP bei fünf bis sechs Prozent. Die Existenzangst ist begründet. Und trotzdem scheint es manchmal, als habe Lindner ein eher taktisches Verhältnis zur Frauenförderung.
Im Januar wird bekannt, dass er sich von vier Abteilungsleitern in seinem Ministerium trennt, zwei sind Frauen. Ersetzt hat er sie durch drei Männer.
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