Brüssel Die EU-Kommission stimmt die europäischen Regierungen auf die Rückkehr der Schuldenregeln ein. Die Ausnahmeregelung, die seit Beginn der Coronapandemie im März 2020 gilt, soll zum Jahresende auslaufen. Das kündigte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch bei der Vorstellung der haushaltspolitischen Leitlinien für 2024 an.
Im kommenden Jahr gelten dann wieder die sogenannten Maastricht-Kriterien (Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent). Im April 2024 will die Brüsseler Behörde auch wieder Defizitverfahren gegen Staaten eröffnen, deren Defizit im Vorjahr die Drei-Prozent-Marke überstiegen hat. Dies trifft aktuell auf die meisten EU-Länder zu.
Laut Kommissionsprognose werden dieses Jahr 16 der 27 Mitglieder gegen die Obergrenze verstoßen. In vier Ländern wird ein Defizit von mehr als vier Prozent erwartet (Spanien, Ungarn, Tschechien, Litauen). In sieben Ländern soll es sogar fünf Prozent übersteigen (Frankreich, Belgien, Polen, Malta, Slowakei, Slowenien und Rumänien).
Nach Eröffnung eines Defizitverfahrens kann die betroffene Regierung in einer bestimmten Frist Maßnahmen ergreifen, um einer Strafzahlung zu entgehen. In ihrer Geschichte hat die EU insgesamt 37 solcher Verfahren eröffnet. Zu Sanktionen kam es in keinem einzigen Fall.
EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis forderte die Regierungen auf, ihre Ausgaben zu drosseln und ambitionierte Pläne für den Schuldenabbau vorzulegen. Insbesondere sollten sie die teuren Energiehilfen für Privathaushalte und Unternehmen zurückfahren, da die Marktpreise stark gesunken seien. „Die Zeit für breit angelegte Unterstützung ist vorbei“, sagte er. Fortan müsse der Fokus auf der Schuldentragfähigkeit liegen.
Erste Warnung von der Kommission
Die Ankündigung von Mittwoch soll eine erste Warnung sein. Es gehe darum, die Regierungen darauf vorzubereiten, dass die Schuldenregeln bald wieder gelten, erklärt ein EU-Beamter. Im April müssen die Staaten wie jedes Jahr ihre mittelfristige Finanzplanung in Brüssel vorlegen. Danach kann die Kommission noch Nachbesserungen fordern.
Dabei will sie dieses Mal noch eine gewisse Flexibilität walten lassen. Man befinde sich in einer Übergangsphase, sagte Dombrovskis. Durch die außergewöhnlich hohen Ausgaben in der Pandemie und der Energiekrise waren die Staatsschulden überall stark angestiegen. Im EU-Schnitt liegen sie bei 93 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nun muss ein Weg gefunden werden, die Schuldenberge abzubauen, ohne die Wirtschaft durch einen übermäßigen Sparkurs abzuwürgen.
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Die EU-Finanzminister sind derzeit dabei, den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu überarbeiten. Dieser setzt den Rahmen für die Haushaltspolitik der Länder. Das erklärte Ziel ist es, die Schuldenregeln an die Realität nach der Pandemie anzupassen.
Das bedeutet vor allem, den unterschiedlichen Schuldenstand in den Ländern zu berücksichtigen und maßgeschneiderte Schuldenabbaupläne für jedes Land zu erlauben. Auch soll es stärkere Anreize für Strukturreformen und Investitionen geben.
Dabei gibt es jedoch noch große Meinungsunterschiede. Hochverschuldete Länder wie Italien drängen auf größtmögliche Flexibilität. Länder wie Deutschland und Österreich hingegen pochen auf ein Mindestmaß an verbindlichen Regeln, die für alle gelten.
EU-Finanzminister wollen „Schuldenabbaupfade“ festlegen
Am kommenden Dienstag wollen die Finanzminister ein erstes Kompromisspapier zu den neuen Schuldenregeln beschließen. Der Entwurf enthält vor allem allgemeine Prinzipien. So sollen die Maastricht-Kriterien und das Defizitverfahren erhalten bleiben.
Die wichtigste Neuerung sind die mehrjährigen Schuldenabbaupfade, die Staaten mit der Kommission vereinbaren sollen. Dabei soll die Behörde einer „gemeinsamen Methodik“ folgen, die allerdings noch genauer definiert werden muss. Darauf hatte die Bundesregierung bestanden, weil sie fürchtet, dass bilaterale Absprachen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten zu faulen Kompromissen führen könnten.
Konkreter wird es erst, wenn die Kommission ihren Gesetzesentwurf Ende März vorlegt. Dann wird der Streit über die Details der Reform erst richtig losgehen. Deshalb wird in Brüssel auch nicht mehr damit gerechnet, die Reform bis Jahresende beschließen zu können. Gentiloni äußerte nun die Hoffnung, dass man es noch vor Ende der Legislaturperiode schaffe. Das wäre dann im Frühjahr 2024.
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