London/Paris Als die frühere britische Premierministerin Liz Truss im vergangenen Jahr gefragt wurde, ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron „eher Freund oder Feind“ sei, ließ sie die Antwort offen.
Ihr Nachfolger Rishi Sunak reist am Freitag nach Paris, um die seit Jahren angespannten Beziehungen zwischen den verbündeten Rivalen zu reparieren. Der wichtigste Grund: London braucht dringend Hilfe aus Paris, um die illegale Einwanderung von Geflüchteten über den Ärmelkanal zu stoppen.
„Das ist der Beginn einer wundervollen, erneuerten Freundschaft“, signalisierte der Élysée-Palast bereits vor dem Eintreffen des Gastes aus Großbritannien. Es ist das erste Gipfeltreffen seit fünf Jahren, nachdem das Verhältnis zwischen London und Paris durch den EU-Austritt der Briten merklich abgekühlt war und die britische Regierung im Streit über Fischereirechte sogar ihre Royal Navy zu Hilfe rief.
Verschärft wurde die traditionelle Rivalität auch dadurch, dass sich der britische Ex-Premier Boris Johnson als „Mr. Brexit“ profilierte, während Macron sich mit dem Selbstbildnis des „Mr. Europa“ zeigte.
Inzwischen ist nicht nur der Streit über Fisch beigelegt. Sunak hat auch den Konflikt mit der EU über Nordirland beendet und damit, so hofft der Brite, den Weg für bessere Beziehungen mit Paris freigeräumt. Das Windsor-Abkommen „vereinfacht die Diskussionen auf allen Ebenen“, heißt es unisono im Élysée.
Neues Kapitel der Zusammenarbeit
Die Hoffnung in Paris ist, mit Sunak ein neues Kapitel aufzuschlagen. „Die Priorität des Gipfels ist, sich neu zu verbinden“, sagte eine Beraterin von Macron, „es war hilfreich, dass Herr Sunak Frankreich als befreundetes Land, als Verbündeten und als Partner bezeichnet hat.“
Das von der Regierung in London geplante Vorhaben, illegal über den Ärmelkanal einreisende Flüchtlinge festzunehmen und abzuschieben, stößt auch in Frankreich auf Widerstand.
(Foto: AP)
Hilfreich könnte auch sein, dass beide Regierungschefs eine Reihe von Gemeinsamkeiten teilen: Sunak und Macron kommen beide aus der Wirtschaft, beide vereint großer politischer Ehrgeiz und beide kämpfen im Moment mit Massenstreiks im eigenen Land.
Der wichtigste Unterschied aber ist, dass Sunak die Hilfe von Macron im Moment mehr braucht als umgekehrt. „Wenn der Premierminister die Flüchtlingsboote stoppen will, braucht er mehr Unterstützung aus Paris“, sagt Hans Kundnani, außenpolitischer Experte bei der Denkfabrik Chatham House in London.
Sunak hat Anfang der Woche ein neues Gesetz gegen illegale Migration vorgestellt, das die stark gewachsene Zahl von Bootsflüchtlingen über dem englischen Kanal begrenzen soll. Allein im vergangenen Jahr kamen auf diesem Wege mehr als 45.000 Migranten nach Großbritannien – viele von ihnen starten ihre gefährliche Überfahrt von französischen Stränden aus.
Sunak will Macron am Freitag drängen, die Grenzkontrollen an der Küste zu verschärfen. Der Franzose wird sich das vermutlich teuer bezahlen lassen. Großbritannien überweist bereits jetzt jährlich umgerechnet rund 70 Millionen Euro nach Paris, damit französische Grenzschützer die Geflüchteten gar nicht erst aufs Wasser lassen.
Der britische Tory-Parlamentarier Tim Loughton kritisierte: „Der britische Steuerzahler subventioniert die französische Polizei nun schon seit mehreren Jahren großzügig, und in dieser Zeit haben wir einen erheblichen Anstieg der Flüchtlingszahl erlebt.“
In Paris sieht man dagegen das Vorhaben der Briten kritisch, illegale Einwanderer festzunehmen und ohne Prüfung abzuschieben. „Es dürfte niemandem entgangen sein, dass die Vereinten Nationen die Vereinbarkeit des Gesetzes mit den internationalen Verpflichtungen Großbritanniens bezweifelt haben“, hieß es von französischer Seite.
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Die Hoffnung Londons, die Geflüchteten nach Frankreich zurückzuschicken, wird sich wohl nicht erfüllen. Seit dem Brexit gibt es keine Vereinbarung zwischen Paris und London mehr, Migranten zurückzunehmen. Auch künftig werde es das nicht geben, hieß es im Élysée. Beide Länder wollten jedoch die „operationelle Zusammenarbeit“ beim Umgang mit Migranten und der Überwachung der Seegrenze verstärken.
London und Paris setzen beide auf den Ausbau der Kernenergie
Macron will auch sicherheitspolitisch enger mit London kooperieren. Seit 2010 gibt es ein Verteidigungsabkommen, zu dem auch gemeinsame Rüstungsprogramme wie etwa die Entwicklung eines neuen Marschflugkörpers für Seegefechte zählen.
Eine „strategische Partnerschaft“ wollen Paris und London in der Energiepolitik vereinbaren, wo beide Länder auf einen stärkeren Einsatz von Kernkraft setzen.
Überschattet wurde der Sicherheitspakt zwischenzeitlich von dem Militärbündnis Aukus, bei dem sich die Briten mit den USA und Australien zusammengetan haben. Frankreich fühlte sich übergangen – nicht nur, weil das Land eigene geopolitische Interessen im pazifischen Raum hat. Außerdem verlor die französische Rüstungsindustrie dadurch einen lukrativen U-Boot-Auftrag der australischen Streitkräfte.
Paris will die Streitigkeiten jedoch auf sich beruhen lassen. „Wir haben ja einen Krieg in Europa“, sagte ein Berater von Macron. Chatham-House-Experte Kundnani sieht das ähnlich: „Durch den Krieg in der Ukraine haben die alten Streitigkeiten an Bedeutung verloren.“ Vielen Europäern werde erst jetzt klar, dass Großbritannien ein wichtiger Faktor für die Sicherheit in Europa sei.
Eine „strategische Partnerschaft“ wollen Paris und London in der Energiepolitik vereinbaren, wo beide Länder auf einen stärkeren Einsatz von Kernkraft setzen. Der französische Stromkonzern EDF baut im britischen Hinkley Point derzeit einen neuen Atomreaktor und hat den Auftrag für einen weiteren Reaktor in Sizewell.
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