Tokio Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Japan als strategischen Partner im Ringen um wirtschaftliche Sicherheit definiert – etwa bei der Absicherung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen. Am kommenden Samstag reist er nun voraussichtlich mit sechs Ministern zu den ersten bilateralen Regierungskonsultationen nach Tokio. Mit dabei sind unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD).
Japan und Deutschland haben ähnliche Herausforderungen wie Umweltschutz, Energiewende und demografischer Wandel. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist im Ukrainekrieg ein enger Partner und hat die Diversifizierung weg von China schon früher als Deutschland vollzogen. Eine Umfrage der deutschen Auslandshandelskammer (AHK) in Japan und der Unternehmensberatung KPMG zeigt nun, dass das Land auch für deutsche Unternehmen als Partner an Bedeutung gewinnt.
20 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, Japan als Ausweichstandort zu China zu prüfen. „Dabei geht es um die Verlagerung von regionalen Headquarters oder die Teilverlagerung von Vertrieb, Forschung oder Produktion“, sagt Kammerchef Marcus Schürmann dem Handelsblatt. Auch sei der Diversifizierungsbedarf offensichtlich so groß, dass mehr Unternehmen Japan als weiteren Beschaffungsstandort ins Auge fassen, erklärt Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business von KPMG in Deutschland.
Gefragt nach den wichtigsten Gründen für ihr Engagement in Japan, gaben 51 Prozent der befragten Unternehmen den Zugang zu innovativen und hochspezialisierten Zulieferern an. Das sind neun Prozentpunkte mehr als bei der letzten Umfrage vor einem Jahr. Es sei bemerkenswert, wie schnell die Unternehmen das von der Politik propagierte Konzept des Friendshoring umsetzten, urteilt KMPG-Manager Glunz.
Unter dem Begriff versteht man die Verlegung von Lieferketten auf befreundete Länder. Japan zählt aus deutscher Sicht dazu. Bisher sei der Begriff der „Wertepartnerschaft“ mit Japan eher eine Worthülse gewesen, meint Kammerchef Schürmann. „Durch die Umfrage können wir erstmals nachweisen, dass er Japan ganz oben auf der Agenda der Konzernzentralen positioniert hat.“
Japan als Sprungbrett nach Asien
Martin Schulz, Chefvolkswirt des japanischen Technikkonzerns Fujitsu und Mitglied in einem Beratungsausschuss von Regierungschef Fumio Kishida, meint sogar, dass Japan „deutlich an Attraktivität gewonnen“ habe, auch durch den schwachen japanischen Yen.
„In einigen Bereichen können Unternehmen bereits billiger in Japan als in China produzieren“, sagt er. Selbst Fachkräfte sind daher dort derzeit in Dollar oder Euro gerechnet oft preiswerter als in Europa oder den USA.
Auch beim Thema Lieferketten ist Japan für ihn interessant. „Die Lieferketten müssen nun nicht mehr nur preiswert, sondern auch sicher sein“, sagt er. „Und bei der Resilienz von Lieferketten ist Japan führend.“ Gleichzeitig sei China durch die geopolitischen Verwerfungen deutlich unattraktiver geworden. Sein Fazit: „Wenn Unternehmen Asien als Zukunftsmarkt sehen, ist Japan interessanter geworden.“
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Es gibt bereits erste Belege für die These. Der deutsche Chemiekonzern Evonik kündigte Ende Februar an, seine erste asiatische Fabrik für Aluminiumoxid speziell für Autobatterien an einem japanischen Standort zu errichten. Das Unternehmen betonte die Liefersicherheit der japanischen Produktion. Damit sichere Evonik die regionale Versorgung aller Kunden in den schnell wachsenden Batteriemärkten in China, Japan und Korea, sagte Susanne Reinhart, Leiterin des Geschäftsgebiets Silica in der asiatisch-pazifischen Region.
Auch die deutsche Automobilbranche, die viel in China einkauft, schaut nun wegen der Halbleiterlieferprobleme zunehmend gleichfalls nach Japan. Das Land ist nicht nur ein wichtiger Chiphersteller, vor allem für Auto- und Maschinenbauer. Es verfügt auch über gute Kontakte nach Taiwan und Südostasien, die in der Chip-Lieferkette eine wichtige Rolle spielen. Taiwans Chipriese TSMC baut momentan Forschungszentren und eine Fabrik in Japan.
Laut der AHK-Umfrage nutzen 66 Prozent der deutschen Unternehmen in Japan ihre Niederlassung dort, um mit japanischen Firmen in anderen Ländern ins Geschäft zu kommen. Drittmarktstrategie nennt sich das. Einige expandieren mit japanischen Firmen sogar in andere Märkte, auch außerhalb Asiens.
Ein Beispiel ist der Stromkonzern RWE, der mit dem japanischen Handelshaus Mitsubishi und dem japanisch-koreanischen Konzern Lotte den Bau eines Ammoniakwerks in den USA prüft. Mitsubishi investiert weltweit in die Produktion von Rohstoffen und erneuerbaren Energien.
Japans Wirtschaftsleistung mit hohem Gewinnpotenzial
Allerdings stößt die Partnerschaft zwischen den beiden Exportnationen auf Grenzen: Zum einen stehen viele deutsche und japanische Unternehmen in direktem Wettbewerb. In Japans Außenwirtschaftsbüro heißt es, dass es nicht leicht sei, Bereiche für eine weitreichende Zusammenarbeit zu finden.
Zum anderen kann Japan China als Markt nicht ersetzen. China und Hongkong waren 2022 mit 117 Milliarden Euro der größte deutsche Exportmarkt in Asien. An zweiter Stelle folgte Südkorea mit 21 Milliarden Euro, erst dann das bevölkerungsreichere Japan mit 20 Milliarden Euro.
Ein Grund für das niedrige Exportvolumen ist, dass die stärksten Konkurrenten der deutschen Automobil- und Maschinenbauer in Japan sitzen. Hinzu kommt, dass es in Japan traditionell lange dauert, bis japanische Unternehmen neue Lieferanten in ihre Lieferketten integrieren. Japan ist zudem mit seiner schrumpfenden Bevölkerung kein Wachstumsmarkt und leidet mitunter unter langsamer Politik.
Das japanische Bruttoinlandsprodukt liege noch immer unter dem Niveau von vor Ausbruch der Coronakrise, sagt Nicholas Smith, Stratege beim Aktienhaus CLSA in Japan. Wegen Japans später Öffnung der Grenzen konnte der starke Einbruch im ersten Halbjahr 2020 noch nicht kompensiert werden, sagt Smith. Erst seit Herbst 2022 sind Einreisen wieder ohne größere Hürden möglich.
Die gute Nachricht: Das schmälert nicht die Erfolge der bereits ansässigen Unternehmen. „Die Betriebsgewinne der börsennotierten Unternehmen haben den bisherigen Rekord bereits weit übertroffen“, merkt Smith an. Auch die deutsche Wirtschaft profitiert davon. „Die Profitabilität war wie in den Vorjahren außerordentlich hoch“, sagt Kammerchef Schürmann.
Nur sieben Prozent der Umfrageteilnehmer machten 2022 einen Verlust, elf Prozentpunkte weniger als 2021. 23 Prozent der Umfrageteilnehmer erzielten eine Gewinnmarge von mehr als zehn Prozent, weitere 35 Prozent zwischen fünf und zehn Prozent. Der Wert beider Gruppen liegt damit bereits höher als 2019, dem Jahr vor der Coronapandemie.
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