Belo Horizonte Kaum waren Wirtschaftsminister Robert Habeck und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir am frühen Sonntagmorgen mit ihrer 70-köpfigen Delegation in Belo Horizonte gelandet, da absolvierten sie nonstop ein Arbeitsprogramm, das bis fast Mitternacht anhielt.
Wie ein Mantra erklärten die Grünen-Politiker dabei, dass sie Brasilien als Wunschpartner sehen: beim Treffen mit deutschen Unternehmensvertretern, bei der Eröffnung der 39. Deutsch-brasilianischen Wirtschaftstage, beim Unterzeichnen von Absichtserklärungen zu intensiver Zusammenarbeit bei Energie oder Ausbildung von Fachkräften.
Sie setzen auf das Handelsabkommen mit Südamerika (Mercosur) und der EU. Dies war bereits ausverhandelt, aber wird wegen Brasiliens Umweltpolitik seit 2019 pausiert. Beide Minister halten das Abkommen für notwendig, um Chinas Vormarsch in Südamerika etwas entgegenzusetzen.
Denn Brasilien sei heute unter dem aktuellen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva wieder der ideale Partner, um das Abkommen voranzutreiben. Habeck und Özdemir ignorieren in ihrer Begeisterung über die Absichtserklärungen der Lula-Regierung bei Umwelt- und Amazonasschutz, dass sich nur zweieinhalb Monate nach deren Start einige Entscheide des Präsidenten als wenig nachhaltig erweisen.
Bei den Verhandlungen würden die Fehler der Vergangenheit allerdings korrigiert, meint Habeck: Man würde jetzt nicht mehr ein Handelsabkommen abschließen, um danach die sozialen und ökologischen Folgen auszugleichen. „Es wäre großartig, wenn Themen wie Klima- und Regenwaldschutz und Nachhaltigkeit integraler Bestandteil des Abkommens werden.“
Korruption, Investitionen in Ölförderung, Ämterpatronage
Bei den kritischen Entwicklungen in der Regierung handelt es sich um Korruption, Ämterpatronage, Investitionen in Ölförderung. Dies lässt daran zweifeln, dass Lulas Regierungstätigkeit den erweiterten ESG-Kriterien standhalten wird. ESG steht für die Aspekte Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance).
So wird kritisiert, dass Lula wohl korrupte Minister in seinem 37-köpfigen Kabinett hält, um sich damit Stimmen im Kongress zu sichern. Staatskonzerne sollen wieder mit Politikern statt erwiesenen Experten besetzt werden können.
Der Ölkonzern Petrobras wird massiv in Ölförderung und Raffinerien investieren – und erst im zweiten Schritt über eine Reduzierung der Emissionen nachdenken. Lula steht zudem in der Kritik, die Autonomie der Zentralbank zu schwächen. Pensionsfonds mit gewaltigen Investitionsbudgets hat er mit Gewerkschaftern besetzt, die der Arbeiterpartei nahestehen.
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien waren in den vergangenen Jahren aufgrund verschiedener politischer Probleme zum Erliegen gekommen. So gab es ein politisch fragwürdiges Impeachment im Jahr 2016 gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff. Außerdem belasteten die Wahl des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro 2018 sowie seine umstrittene Umweltpolitik das Verhältnis zu westlichen Regierungschefs.
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Seit dem 1. Januar regiert mit Lula ein Politiker Brasilien, der bei Menschenrechten, Umwelt, Armutsbekämpfung vermeintlich alles wieder zurückdrehen will, was sein rechtspopulistischer Vorgänger zerstört hat. Doch auch Lula ist nicht unumstritten.
80 Prozent der Energie nachhaltig gewonnen
Trotzdem loben Habeck und Özdemir den Gastgeber Brasilien wegen seiner Energiepolitik, durch die mehr als 80 Prozent der Energie nachhaltig gewonnen werden. Landwirtschaftsminister Özdemir würdigt auch die hohe Produktivität des Agrobusiness Brasiliens, bei dem bis zu drei Ernten im Jahr möglich seien.
Habeck besuchte etwa das Werk des deutschen Familienunternehmers Neuman & Esser in der Peripherie von Belo Horizonte. Das 1830 gegründete Familienunternehmen investiert in Brasilien, um dort als Zulieferer von Kompressoren und Technologie bei der Produktion von grünem Wasserstoff von Anfang an dabei zu sein.
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„Sonne, Wind und Wasserkraft gibt es hier in Hülle und Fülle“, erklärt Alexander Peters, der Geschäftsführer. Minister Habeck ist begeistert, wie ein deutscher Mittelständler das Potenzial Brasiliens so klar erkennt und selbst massiv in Brasilien investiert.
Habeck macht keinen Hehl daraus, wie froh er darüber ist, Brasilien wieder auf der Seite der weltweiten Klima- und Umweltschützer zu sehen. „Man kann sich nur bedanken dafür, dass es eine Regierung gibt, die den Regenwald wieder schützen will“, sagt er und fügt hinzu: „Ich kann die Tränen in die Augen bekommen, wenn ich sehe, wie diese Regierung das Ruder herumreißt.“
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