Mar 14, 2023
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Stabilitätspakt-Reform: Deutschland fürchtet Lex Italia

Written by Carsten Volkery


Brüssel, Rom Die neuen europäischen Schuldenregeln nehmen Gestalt an. Die 27 EU-Finanzminister wollen am Dienstag einen ersten Kompromiss beschließen. Dem Entwurf zufolge sollen die Staaten künftig mehrjährige Schuldenabbaupläne mit der EU-Kommission vereinbaren, die die unterschiedlichen Schuldenstände in der Euro-Zone berücksichtigen.

Die Maastricht-Kriterien (maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts Neuverschuldung, maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung) sollen zwar weiter gelten, zugleich sollen die Staaten aber beim Schuldenabbau mehr Flexibilität erhalten.

In der Ministerrunde besteht breiter Konsens, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt reformiert werden muss. Die Schulden sind in der Coronapandemie so stark gestiegen, dass die alten Regeln obsolet wirken. Seit Beginn der Pandemie ist der Stabilitätspakt ausgesetzt, zum Jahresende soll er in neuer Form wieder in Kraft treten.

Von einer Einigung sind die Minister jedoch weit entfernt. So will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) den Entwurf zwar mittragen, um konstruktiv zu erscheinen. In der Sache hat er aber noch erhebliche Vorbehalte – wie auch mehrere seiner Kollegen. Es seien „noch viele Fragen offen“, sagte Lindner am Montag bei der Euro-Gruppe. Das Papier sei nur „ein Schritt nach vorn“, es gebe aber noch viel zu besprechen. 

Verärgert zeigte er sich darüber, dass die EU-Kommission bei ihrer Beurteilung der nationalen Haushalte für 2024 bereits die neuen Regeln anwenden will, obwohl diese noch gar nicht beschlossen sind. „Wir haben klare Regeln, die anzuwenden sind“, sagte er.

„Auch die Europäische Kommission arbeitet nicht im rechtsfreien Raum.“ Das Recht richte sich nicht danach, wie die Staaten wirtschafteten. Vielmehr müssten die Staaten so wirtschaften, wie es das Recht erlaube.

Die Bundesregierung fürchtet eine Lex Italia, denn die treibende Kraft hinter der Aufweichung der Regeln ist Italien. Die Maastricht-Schuldengrenze sieht die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni als unverbindliches Fernziel an. Auch will sie erreichen, dass Investitionen in die Digitalisierung oder den grünen Umbau der Wirtschaft von den Regeln ausgenommen werden.

Das ist kein Wunder, denn nach Griechenland ist Italien das am höchsten verschuldete Land in der Euro-Zone. Zwar verkündete Meloni gerade erst in einem Interview: „Momentan ist die finanzielle Situation Italiens unter Kontrolle“. Aber bei einer Schuldenquote von fast 150 Prozent sind die Zweifel an den Märkten nie ganz weg.

Zwei Risiken für Schuldentragfähigkeit

Rom ist auch ein ganz anderes Kaliber als Dublin oder Athen, trägt es mit einer Staatsverschuldung von rund 2,8 Billionen Euro gut ein Viertel der gesamten Schuldenlast im Euro-Raum. Wenn ein Land den Euro in Gefahr bringen kann, dann die drittgrößte Volkswirtschaft des Währungsraums.

Zuletzt gab es immerhin gute Nachrichten: Die Schuldenquote Italiens sank in den vergangenen beiden Jahren stärker als erwartet – vom Pandemiehoch bei 155 Prozent auf 145 Prozent laut den neuesten Zahlen aus Rom. Das lag am Wirtschaftswachstum, aber auch an der hohen Inflation. „Für die Regierung ist es in einem inflationären Umfeld viel einfacher, die öffentlichen Ausgaben real zu senken“, sagt der Ökonom Lorenzo Codogno.

Für die langfristige Schuldentragfähigkeit sehen die Ökonomen aber zwei Risiken. Erstens treiben die Zinssteigerungen der Europäischen Zentralbank (EZB) die Kosten des Schuldendiensts in die Höhe. Schon in diesem Jahr werden sie auf 4,3 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen – nach 3,5 Prozent in den beiden Vorjahren. Summa summarum sind das 20 Milliarden Euro an Mehrausgaben.

Zweitens wird die Schuldentragfähigkeit auch vom künftigen Wirtschaftswachstum beeinflusst. Dieses wiederum hängt entscheidend davon ab, wie effektiv Italien seine Milliarden aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds einsetzt.

Italien hinkt beim Ausgeben der Coronahilfen hinterher

Insgesamt soll das Land 192 der 724 Milliarden Euro aus dem EU-Fonds bekommen – die mit Abstand größte Summe aller Mitgliedstaaten. Michele Napolitano von der Ratingagentur Fitch meint, die italienischen Wachstumszahlen könnten in den kommenden Jahren positiv überraschen, weil die EU-Gelder die Nachfrage stimulierten, ohne den Staatshaushalt zu belasten. Das könnte den nötigen Spielraum zum Schuldenabbau schaffen.

>>> Lesen Sie hier: Reform der EU-Schuldenregeln droht zu scheitern – „So nicht zustimmungsfähig“

Die Regierung in Rom hat laut einer Studie der Ratingagentur Scope bislang alle Reformauflagen erfüllt, um planmäßig die ersten 67 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds zu erhalten. Doch beim Ausgeben hinkt die Regierung hinterher – ein Problem, das sich laut Scope noch verschärfen dürfte.

Denn in Italiens Verwaltung mangele es an technischer Expertise und dem nötigen Tempo. Besonders ausgeprägt seien die Probleme auf der lokalen Ebene, die mehr als die Hälfte der Mittel investieren soll. Die Verspätungen seien eine „wachsende Gefahr für die Wachstumsaussichten, die entscheidend sind, um die hohe Schuldenlast zu finanzieren und das BBB+-Rating zu behalten“, schreiben die Analysten.

Italiens Finanzminister warnt EZB vor Zinserhöhungen

Die DZ Bank warnte jüngst vor einem „Teufelskreis aus steigenden Refinanzierungskosten und schwindender Schuldentragfähigkeit“, der ab einem bestimmten „Kipppunkt“ zu befürchten sei. Und selbst Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti warnte jüngst vor weiteren starken Zinserhöhungen der EZB, weil diese zu „ernsten Problemen für Länder mit hochverschuldeten Haushalten wie Italien“ führen würden.

Die Bundesregierung will bei der Stabilitätspakt-Reform daher verhindern, dass der Druck zum Schuldenabbau genommen wird. Die zentrale Befürchtung in Berlin: Wenn man den Regierungen erlaube, ihre Fiskalpläne bilateral mit der EU-Kommission auszuhandeln, seien die Maastricht-Kriterien nichts mehr wert.

>>Lesen Sie hier: EU-Kommission droht wieder mit blauen Briefen

Lindner trug seine Bedenken vergangene Woche beim Besuch in Rom vor. Einen Seitenhieb konnte er sich dabei nicht verkneifen. In Italien bestehe offenbar noch fiskalischer Spielraum, sagte er nach seinem Gespräch mit Giorgetti. „Bestimmte steuerliche Förderprogramme für die Erneuerung des Gebäudebestands haben ja enorme Größenordnungen mit großzügigem Charakter erreicht, um das als Gast des Landes höflich zu formulieren.“

Der FDP-Politiker meinte damit den „Superbonus 110“. Durch die Regelung, vor Jahren von der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung initiiert, bekamen Hausbesitzer bei energetischen Sanierungen 110 Prozent der Kosten erstattet – eine Maßnahme, die den Staat bislang 110 Milliarden Euro gekostet hat.

Zu einer gestiegenen Produktivität haben die zusätzlichen Staatsausgaben indes nicht geführt. Laut dem parlamentarischen Haushaltsbüro ist das Wirtschaftswachstum zuletzt für jede 100 Euro an Staatsausgaben nur um 30 Cent gewachsen.

Mehr: Warum die Schuldenlast in Südeuropa rasant sinkt



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