Brüssel Die Reform der europäischen Schuldenregeln wird sich voraussichtlich noch einmal verzögern. Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte in letzter Minute Nachbesserungen an den Schlussfolgerungen, die die 27 EU-Finanzminister am Dienstag beschließen wollten.
Der Entwurf sieht einige wichtige Neuerungen beim Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Das Regelwerk ist seit Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt, soll aber 2024 in reformierter Form wieder in Kraft treten.
Dem Text zufolge sollen die Staaten künftig mehrjährige Schuldenabbaupläne mit der EU-Kommission vereinbaren, die die unterschiedlichen Schuldenstände in der Euro-Zone berücksichtigen. So wollen die Minister den in der Pandemie stark gestiegenen Schulden Rechnung tragen.
Die Maastricht-Kriterien (maximal drei Prozent Neuverschuldung des Bruttoinlandsprodukts, maximal 60 Prozent Gesamtverschuldung) sollen zwar weiter gelten. Beim Schuldenabbau sollen die Staaten aber mehr Flexibilität erhalten.
FDP-Chef will Entwurf wieder aufschnüren
Der Entwurf war bereits im Kreise der EU-Botschafter abgestimmt, auch Deutschland hatte zugestimmt. Das bedeutet normalerweise, dass die Minister den Text nur noch abnicken. Doch hat sich der FDP-Chef vergangene Woche dermaßen über die EU-Kommission geärgert, dass er nun noch Klärungsbedarf sieht.
Bei einem Mittagessen mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Italien, Spanien und den Niederlanden legte Lindner am Montag seine Bedenken dar. Er will die Kommission in den Schlussfolgerungen dazu verpflichten, die Einwände einiger Mitgliedstaaten noch einmal anzuhören, bevor sie ihren Gesetzesvorschlag zur Reform des Stabilitätspakts vorlegt. Viele Fragen seien noch offen, betonte er.
Der Grund für Lindners Vorsicht: EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hatte vergangene Woche bei der Vorstellung der haushaltspolitischen Empfehlungen für 2024 erklärt, dass die Kommission die Fiskalpläne der Mitgliedstaaten bereits anhand der neuen Schuldenregeln bewerten wolle.
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Das eigenmächtige Handeln der Kommission hatte Lindner sogleich als „inakzeptabel“ bezeichnet, schließlich sind die neuen Regeln noch nicht einmal im Grundsatz beschlossen. Am Montag legte er nach: Die Brüsseler Behörde arbeite „nicht in einem rechtsfreien Raum“. Solange man sich nicht auf neue Regeln einige, gälten die alten Regeln weiter.
Parallelen zur Debatte um das Verbrenner-Aus
Offenbar weckte Gentilonis Vorpreschen bei Lindner Erinnerungen an die Debatte um das Verbrenner-Aus. Auch hier fühlte sich die FDP von der Kommission getäuscht – oder zumindest ignoriert. Nach eigener Darstellung hatten Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing stets darauf beharrt, dass E-Fuels auch nach 2035 erlaubt sein müssen.
Nachdem die EU-Kommission jedoch keine Anstalten machte, die deutsche Forderung umzusetzen, stellten sich die Liberalen zuletzt quer und blockierten das EU-Klimagesetz. Inzwischen haben sich mehrere EU-Staaten der deutschen Position zum Verbrenner-Aus angeschlossen.
Auch in der Euro-Gruppe am Montag sprangen andere Kollegen Lindner bei und kritisierten den Alleingang der Kommission bei den Schuldenregeln. Gentiloni sah sich gezwungen zu beschwichtigen: Es habe sich um ein Missverständnis gehandelt.
Sollte Lindner sich mit seinen Änderungswünschen am Text durchsetzen, dürfte sich die Stabipaktreform allerdings noch einmal verschieben. Eigentlich wollte die Kommission ihren Gesetzesentwurf Ende März vorlegen. Nun müsste sie im besten Fall noch die Mitgliedstaaten nach weiteren Wünschen und Vorschlägen befragen. Das kann einige Wochen dauern. Sollten sich die Minister hingegen nicht auf einen Kompromisstext einigen, könnte sich die Debatte sogar noch länger hinziehen.
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