Berlin Die Pleite der Silicon Valley Bank und die Turbulenzen um das Schweizer Geldinstitut Credit Suisse haben in den vergangenen Tagen für heftige Kursausschläge an den internationalen Finanzmärkten gesorgt. Eine neue Finanzkrise fürchtet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trotzdem nicht: „Die Gefahr sehe ich nicht“, sagte er im Interview mit dem Handelsblatt. „Das Geldsystem ist nicht mehr so fragil wie vor der Finanzkrise“. Vergleiche mit dem Ausbruch der Lehman-Pleite von 2008 seien unpassend: „Wir leben in einer völlig anderen Zeit“, sagte Scholz.
Denn: Gesetzgeber und Bankenaufsicht hätten aus der Pleite der US-Investmentbank Lehman gelernt, die Kreditinstitute auf der ganzen Welt ins Wanken gebracht hatte. Die Regulierung für Banken sei heute strenger als vor der Finanzkrise. Zudem hätten die Verantwortlichen in den USA, Großbritannien und in der Schweiz jetzt „schnell und entschlossen gehandelt“.
Sparer müssten sich daher keine Sorgen machen. „Die Einlagen sind sicher. Nicht nur wegen der höheren Resilienz des Bankensystems und der strikteren Regulatorik, sondern auch aufgrund unserer Wirtschaftskraft“, sagte Scholz.
Forderungen nach höheren Schulden und einer Lockerung der Schuldenbremse erteilte der Bundeskanzler vor einem Treffen der Koalitionsspitzen Ende März eine Absage. „Die Herausforderung besteht nun darin, Haushalte aufzustellen, die ohne Nutzung der Ausnahmeregel vom Grundgesetz auskommen“. Er sehe „an vielen Stellen“ im Etat Einsparpotenzial.
Lesen Sie hier das ganze Interview mit Olaf Scholz:
Herr Bundeskanzler, manche Finanzexperten fühlen sich derzeit an das Jahr 2008 erinnert, an die Zeit mit Bankenpleiten und Chaos an den Märkten. Droht nach dem Kollaps der Silicon Valley Bank eine neue Finanzkrise?
Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Wir leben in einer völlig anderen Zeit. Gesetzgeber und Bankenaufsicht haben ihre Lehren aus der Lehman-Pleite 2008 gezogen. Die Regulierungsvorschriften für die Banken sind strenger als damals. Und wir sehen, dass in den USA, in Großbritannien und zuletzt in der Schweiz die Verantwortlichen schnell und entschlossen gehandelt haben.
Trotzdem ist Unsicherheit an den Finanzmärkten groß. Ist das alles nur Psychologie?
Unser Geld- und Bankensystem ist deutlich stabiler als vor der letzten Finanzkrise.
Das Geld der deutschen Sparer ist also sicher?
Die Einlagen der deutschen Sparerinnen und Sparer sind sicher. Nicht nur wegen der höheren Resilienz des Bankensystems und der strikteren Regulatorik, sondern auch aufgrund unserer Wirtschaftskraft.
Über diese Wirtschaftskraft wird derzeit wieder intensiv diskutiert. Am 14. März 2003, also fast auf den Tag genau vor 20 Jahren, hat Gerhard Schröder im Bundestag seine historische „Agenda 2010“-Rede gehalten. Damals war Deutschland der kranke Mann Europas, die Arbeitslosigkeit war hoch. Heute fürchten Ökonomen eine Deindustrialisierung, und das Land steht vor einem ähnlichen Reformstau wie damals. Braucht Deutschland einen ähnlichen wirtschaftspolitischen Umbruch wie seinerzeit? Ist es Zeit für eine neue Agenda-Rede?
Dieser Umbruch ist längst eingeleitet. Deutschland wird bis 2045 klimaneutral wirtschaften, das bedeutet eine enorme Transformation unserer Industrie, weg von der Nutzung fossiler Energien und hin zum Ausbau von Windkraft und Solarenergie. Dafür brauchen wir vor allem von privaten Investoren milliardenschwere Investitionen in Energienetze, in Windkraftanlagen, in neue Produktionstechniken und Produktionsverfahren, in die E-Mobilität, in die Dämmung und den Neubau von Häusern sowie in die Infrastruktur. Die Koalition ist gerade dabei, das bestehende Planungsrecht weniger bürokratisch zu gestalten, damit wir schneller vorankommen.
Die Ziele sind das eine, doch die Umsetzung läuft in vielen Bereichen schleppend. Können wir uns ein Weiter-so wirklich leisten, oder braucht es am Ende nicht doch ein großes Reformpaket – von einer konkreten Steuerreform bis hin zu einer Innovationsoffensive –, um die Ziele wirklich zu erreichen?
Na, ich möchte Ihren Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien lenken – da haben wir in kurzer Zeit die Voraussetzungen für lukrative Investitionen schon verbessert.
Das stimmt. Der Ausbau läuft trotzdem viel zu langsam. Wir fragen uns, ob es wirklich reicht, einfach so weiterzumachen.
Nun ja, von einem Einfach-so-Weitermachen kann doch gar keine Rede sein. Meine Regierung hat klare Ziele, die wir konsequent verfolgen. Eine Aufgabe ist es jetzt, das Dickicht an Vorschriften zu lichten, das in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist und im Land noch vieles bremst.
Also ist die neue „Deutschland-Geschwindigkeit“, von der Sie gerne sprechen, derzeit mehr Wunsch als Wirklichkeit?
Die neue Deutschland-Geschwindigkeit ist unser Anspruch, nachdem es beim Bau der LNG-Terminals gut geklappt hat. Nicht selten stehen ihr noch rechtliche Vorgaben entgegen, genau da setzen wir jetzt an und planen grundlegende Änderungen. Schon in den nächsten Monaten werden da weitere Schritte gemacht sein. Und dann werden wir nicht stehen bleiben, sondern mit dem Projekt Deutschland-Geschwindigkeit weitermachen.
Sie haben jüngst von möglichen Wirtschaftswunderjahren gesprochen. Wir wollen Ihre Euphorie nicht bremsen, aber woher nehmen Sie Ihre Zuversicht? Zuletzt war Deutschland Wachstumsschlusslicht in Europa, und Ökonomen rechnen auch in den nächsten Jahren nur mit einem Miniwachstum.
Die enormen Investitionen in die Transformation unserer Industrie habe ich ja bereits ausführlicher angesprochen. Thyssen-Krupp Steel beispielsweise investiert Milliarden in eine neue Anlage. Wir stehen vor enormen Entwicklungen.
Das ist ein großes, aber auch nur ein Beispiel.
Halbleiterfabriken in Deutschland werden ein zweites Beispiel, neue Batteriefabriken ein drittes. Auch die Automobilbranche investiert jetzt viele Milliarden. Deutschland wird gerade wieder attraktiver für private Investoren. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos habe ich das vor wenigen Wochen der internationalen Wirtschaftselite gesagt: Schaut nach Deutschland, da tut sich viel.
Einen wirtschaftspolitisch großen Wurf suchen wir aber vergeblich.
Noch mal: Deutschland wird in 22 Jahren komplett klimaneutral wirtschaften, das kann einen echten Boom auslösen.
Machen denn Industrie, Vorstände und Aufsichtsräte auf diesem Weg mit?
Viele haben sich längst auf den Weg der Transformation gemacht. Uns könnte eine große Wachstums- und Investitionsphase bevorstehen, wie wir sie aus den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts kennen. Der Bundestag wird die nötigen Gesetze auf den Weg bringen; wichtig ist, dass die Unternehmen die Wachstumschancen erkennen.
Die Familienunternehmen wollen schon an ein neues Wirtschaftswunder glauben, sie können aber nicht so einfach wie die großen Konzerne im Ausland ihr Geld erwirtschaften.
Die Familienunternehmen sind für mich ein perfektes Beispiel, wie dieser Aufschwung gelingen wird. Schauen Sie sich an, wie die mittelständischen Heizungsfirmen zum Beispiel in die Produktion von Wärmepumpen investieren. Da setzen Unternehmen mit einer langen Tradition auf eine moderne Zukunft. Das zeugt von viel unternehmerischem Mut.
Wie sehen Sie Entscheidungen deutscher Konzerne, die trotz aller Mahnungen vor einer allzu großen Abhängigkeit von China dort weiter Milliarden investieren?
Deutschland hat enorm von der Globalisierung profitiert, und ich bin gegen ein Decoupling. Als Lehre aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen Auswirkungen auf Politik und Wirtschaft sollte jedem klar geworden sein, dass es nicht klug ist, sich nur auf ein oder zwei Länder zu konzentrieren. Die Welt ändert sich ohnehin und wird künftig multipolar sein.
Wenn der Chemieriese BASF zehn Milliarden Euro in China investiert, ist das also keine kluge Entscheidung?
Eine Besonderheit dieser Investition ist vielleicht, dass die Finanzierung auch aus China heraus erfolgt. Wichtig aber bleibt, dass wir die ganze Welt und nicht nur einzelne Regionen in den Blick nehmen und viele Partnerschaften schließen.
Für all das braucht es Reformen. Doch zuletzt sind wegen interner Ampelstreitereien viele dieser Reformen nicht umgesetzt worden: Vor allem bei den viel diskutierten schnelleren Planungsverfahren geht es kaum voran. Ihre Koalitionspartner wundern sich, dass Sie als Kanzler so viel Streit zulassen. Sie vermuten sogar, Sie wollen, dass FDP und Grüne gegeneinanderlaufen, um präsidial über den Niederungen der Streitigkeiten zu thronen.
Na, das halte ich für eine sehr eigenwillige These. Diese Regierung hat innerhalb von 15 Monaten mehr Reformstau aufgelöst als Regierungen in den 16 Jahren zuvor. Und wir machen damit weiter. Die Beschleunigung der Planungsprozesse wird uns in dieser Wahlperiode und darüber hinaus weiter beschäftigen.
Die FDP hat seit dem Start der Ampelkoalition eine Niederlagenserie hingelegt. Wie kriegen Sie einen Partner stabilisiert, der so angeschlagen ist?
FDP, Grüne und SPD wollen Fortschritt für Deutschland erreichen, deshalb passen diese drei Parteien auch zusammen. Dass es für alle drei Koalitionspartner immer mal wieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten herausfordernd wird, war absehbar. Wichtig ist, dass man zusammenarbeitet, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Und den Eindruck habe ich.
Bundesfinanzminister Christian Lindner gibt nun den Verfechter solider Staatsfinanzen und sagt, Deutschland habe ein Ausgabenproblem. Stimmen Sie zu?
Es war richtig und gut, dass wir große Pakete geschnürt haben. Wir haben Deutschland mit Hunderten Milliarden Euro durch gleich zwei große Krisen geführt, zuerst durch die Coronapandemie, jetzt durch den Ukrainekrieg. Alle Untergangspropheten haben sich geirrt, auch dank unserer Politik. Klar ist aber auch: So wird es nicht auf Dauer weitergehen können. Nun besteht die Herausforderung darin, Haushalte aufzustellen, die ohne Nutzung der Ausnahmeregel vom Grundgesetz auskommen.
Während Angela Merkel als Bundeskanzlerin stets eine volle Kasse hatte, werden Sie eher wieder ein Kanzler knapper Kassen sein, wie der aktuelle Streit um den Haushalt zeigt, der sogar verschoben werden musste. Wie wollen Sie den Mentalitätswandel hinbekommen?
Nach Jahren, in denen wir wie geschildert große Finanzmittel eingesetzt haben, um Krisen abzuwettern, ist es wenig verwunderlich, dass es nun für viele eine Umstellung ist, mit weniger Geld auszukommen, und es Gesprächsbedarf gibt. Gleichzeitig hat diese Koalition bereits eine Menge Reformen auf den Weg gebracht. Als Beispiel möchte ich nur erwähnen, dass wir mit der Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro, der Reform bei der Sozialversicherung und beim Wohngeld die Einkommen insbesondere von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit geringem Einkommen so stark verbessert haben wie wohl keine Bundesregierung zuvor.
Die Einnahmen steigen aber nicht im gleichen Tempo wie die Ausgabenwünsche. Sagen Sie doch mal: Wo sehen Sie Sparpotenzial?
An vielen Stellen.
Dann werden wir eben konkreter. Wie wäre es mit einem Abbau klimaschädlicher Subventionen? Sie könnten doch die Kerosinsteuer erhöhen oder das Dienstwagenprivileg streichen. Alles, was die Umwelt belastet.
Sie plädieren dafür, das sogenannte Dienstwagenprivileg zu streichen? Führe ich wirklich ein Interview mit dem Handelsblatt? Spaß beiseite: Ich kann Ihnen versichern, wir werden einen gut tarierten Haushalt aufstellen.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck will mehr Geld, unter anderem für die soziale Abfederung seines geplanten Verbots von neuen Gas- und Ölheizungen ab 2024. Können Sie Menschen verstehen, die sagen: Da gehe ich nicht mehr mit?
Nun, das sind Überlegungen, die nicht einmal beschlossen worden sind, das macht es etwas schwierig, im Einzelnen Stellung zu nehmen. Vielleicht so viel: Unser Ziel ist eine lebensnahe Regelung, die niemanden überfordert und gleichzeitig den Weg in Richtung Klimaneutralität weist.
Hinter der Heizungsdebatte steckt ja auch die Grundsatzfrage, ob die Politik mit Zeitenwende und hochambitionierter Klimapolitik die Bürger womöglich überfordert.
Wir müssen den Planeten für die nachkommenden Generationen lebenswert halten. Und die gute Nachricht dabei ist, dass das Aufhalten des menschengemachten Klimawandels eine große Wachstumschance für unser Land bietet. Ein erfolgreiches Industrieland zu bleiben, ohne dem Klima zu schaden, ist eine große Aufgabe neben der Digitalisierung.
Viele dieser Themen lassen sich nur in der EU gemeinsam lösen. Doch die EU hat den Ukrainekrieg – anders als frühere Krisen – nicht genutzt, um institutionell enger zusammenzurücken. Verpasst Europa gerade eine Chance?
Europa ist in der Unterstützung der Ukraine eng zusammengerückt. Und ja, die EU muss sich weiterentwickeln, auch institutionell. Zur Mitte dieses Jahrhunderts werden wohl zehn Milliarden Menschen auf der Welt leben, das relative Gewicht der EU mit ihren 400 Millionen Bürgerinnen und Bürgern wird also abnehmen. Gleichzeitig wollen wir technologisch und ökonomisch weiter vorn dabei sein. Damit das gelingt, müssen wir den Binnenmarkt weiterentwickeln und die Banken- und Kapitalmarktunion endlich verwirklichen.
Wer sich mit chinesischen Gesprächspartnern unterhält, bekommt häufig zu hören, Europa müsse erst mal erwachsen werden. Zeigt der Ukrainekrieg nicht, wie sehr Europa immer noch von der so viel beschworenen Souveränität entfernt ist?
Als überzeugter Transatlantiker werde ich ganz sicher nicht die Zusammenarbeit mit den USA infrage stellen. Denn das wäre ja die Übersetzung Ihres Zitats.
Man fragt sich aber schon, wie man all die großen Entscheidungen in Europa hinbekommen will, wenn schon in Deutschland die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats am Kompetenzgerangel zwischen Kanzleramt und Außenministerium scheitert.
Gerade sind wir dabei, eine Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland zu entwickeln, denn die hat es bislang gar nicht gegeben. Ob man einen Nationalen Sicherheitsrat in einem Land benötigt, das anders als die USA kein Präsidialsystem hat, kann man natürlich breit diskutieren – ich bin da bekanntlich skeptisch.
In Brüssel und in Berlin wird über einen härteren Umgang mit China diskutiert. Eine neue Idee, die nun kursiert: Konzerne sollen melden, wenn sie in China investieren, im Zweifelsfall kann die Bundesregierung die Investition sogar untersagen. Halten Sie das für sinnvoll?
Diversifizierung ist das Gebot der Stunde. Wir brauchen Investitionen in alle Regionen der Welt und eine Handelspolitik, die sicherstellt, dass Rohstoffe, die Länder wie Argentinien, Brasilien, Chile, Kongo, Indien, Indonesien oder Südafrika gewinnen, auch vor Ort verarbeitet werden können. Das ist gut für die Umwelt und für die Wachstumsperspektiven dieser Länder. Manches von dem, was wir heute aus China importieren, ist nie aus chinesischer Erde gewonnen, sondern dort nur weiterverarbeitet worden.
Also kein schärferer Kurs gegenüber China?
Der Weg lautet: mehr Resilienz durch Diversifizierung.
Sie fliegen an diesem Freitag zu Regierungskonsultationen nach Japan. Japan setzt schon lange auf eine Strategie der Rohstoffsicherung, bei der Regierung und Privatwirtschaft eng zusammenarbeiten. Wäre dieser Ansatz auch etwas für Deutschland?
Gerade entwickeln wir unsere Rohstoffstrategie weiter. Das Ziel ist es, dass die Rohstoffgewinnung ein privatwirtschaftliches Geschäft bleibt, die Unternehmen aber gleichzeitig so klug handeln, dass unsere Volkswirtschaft ausreichend resilient ist. Japan folgt da lange schon einem strategischen Ansatz. Ich bin überzeugt, davon können wir einiges lernen.
Chinas Staatschef Xi Jinping hat mit Blick auf den Westen zuletzt scharfe Worte gewählt und will angeblich nächste Woche nach Moskau fliegen. Fürchten Sie, Peking und Moskau nähern sich noch stärker an?
Wichtig ist zunächst einmal, dass China keine Waffen an Russland liefert. Denn das würde den imperialistischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine unterstützen. Wichtig ist außerdem, dass China weiterhin den Einsatz von Atomwaffen in diesem Konflikt ausschließt, so, wie es die Volksrepublik nach meiner Pekingreise und auf dem G20-Gipfel in Bali getan hat.
Und was, wenn China doch Waffen an Russland liefert?
Wichtig ist jetzt zu sagen, dass das nicht geschehen darf.
Mögliche Waffenlieferungen, der Taiwankonflikt: Können deutsche Konzerne vor diesem Hintergrund wirklich noch guten Gewissens in China investieren?
Auch wenn Sie mir diese Frage nun in einer fünften Form stellen, fällt meine Antwort nicht anders aus: Das sind Entscheidungen, die von Unternehmen zu treffen und zu verantworten sind. Ich plädiere dafür, die ganze Welt in den Blick zu nehmen und nicht nur auf wenige Länder zu schauen.
Wie lange, fürchten Sie, wird der Ukrainekrieg noch andauern?
Wir sollten uns auf einen längeren Krieg einstellen, auch wenn ein baldiges Ende wünschenswert wäre. Eine seriöse Vorhersage über den weiteren Verlauf dieses furchtbaren Kriegs ist kaum zu treffen. Deutschland wird die Ukraine unterstützen, politisch, humanitär, finanziell und mit Waffenlieferungen, solange es nötig ist. Die Ukraine verteidigt ihre Souveränität und territoriale Integrität tapfer und mutig. Russland muss einsehen, dass es sich nicht mit Gewalt große Teile des ukrainischen Territoriums einverleiben kann.
Zuletzt haben Sie der Ukraine lediglich vage Sicherheitszusagen für die Zeit nach Kriegsende gemacht. Braucht die Ukraine aber nicht konkrete Sicherheitsgarantien, um Gewissheit über den Fortbestand des eigenen Staates zu haben, ähnlich wie im Falle Israels?
Nach dem Krieg sind Sicherheitsgarantien absolut notwendig, das ist klar. Und die Diskussion über die Ausgestaltung solcher Garantien ist seit Monaten im Gang. Doch für all das braucht es erst mal ein Ende der Kampfhandlungen und einen Rückzug von russischen Truppen, alle anderen Fragen schließen sich daran an.
Sie sind mit einem großen Erfahrungsschatz ins Kanzleramt eingezogen. Gab es Momente, in denen Sie nach Ausbruch des Kriegs dachten: Darauf bin ich nicht vorbereitet?
In einer so existenziellen Frage ist entscheidend, dass man das tut, was man selbst für richtig hält, und sich nicht treiben lässt von denen, die am lautesten rufen. Ich bin überzeugt, dass diese Besonnenheit das notwendige Vertrauen schafft zwischen Bürgerinnen, Bürgern und der Regierung.
Haben Sie trotz Krieg noch Zeit, sich mit Innovationen zu beschäftigen? Haben Sie ChatGPT schon mal aus‧probiert?
Auf der Kabinettsklausur in Meseberg haben wir uns mit Künstlicher Intelligenz und Sprachmodellen beschäftigt und hatten drei spannende Fachleute eingeladen. Das war erhellend und interessant – für uns alle.
Herr Scholz, vielen Dank für das Interview.
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