Tokio Erstmals seit zwölf Jahren hat Japans Ministerpräsident Fumio Kishida an diesem Donnerstag einen südkoreanischen Staatschef zu einem Staatsempfang empfangen. An Kishidas Amtssitz schritten er und sein Gast Yoon Suk Yeol eine militärische Ehrengarde ab.
Danach folgten ein Handschlag für die Kameras – und Gespräche über eine engere Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und bei Lieferketten. „Ein neues Kapitel“ der japanisch-südkoreanischen Beziehungen solle heute beginnen, sagte Kishida. Yoon sprach von „einer neuen Ära“.
Die Wortwahl war keineswegs übertrieben. Seit 2011 trafen sich südkoreanische Präsidenten und japanische Ministerpräsidenten allenfalls am Rande multilateraler Konferenzen oder bei gemeinsamen Treffen mit US-Präsidenten zu Gesprächen. So sehr hatte die bislang gescheiterte Aufarbeitung der japanischen Annexion Koreas (1910-1945) die Länder entzweit. Inzwischen nähern sich beide einer Einigung.
Der nachbarschaftliche Zwist stört seit Jahren die Versuche der USA, in Asien ein stärkeres Bündnis gegenüber China aufzubauen. Umso größer war die Erleichterung in Washington und Tokio, als der Konservative Yoon Anfang 2022 die Wahlen gegen das linke Lager gewann. Aus Sorge vor Chinas Aufrüstung und Nordkoreas Atomwaffenprogramm versprach er eine Annäherung an Japan. Unter seinem linken Vorgänger Moon Jae-in waren die schon kühlen Beziehungen endgültig eingefroren.
Nordkoreas Protestnote zeigte, dass der japanisch-südkoreanische Gipfel bei den Nachbarn durchaus als sicherheitspolitisches Signal gesehen wird. Trotz eines Testverbots der Vereinten Nationen schoss Nordkorea am Donnerstagmorgen erneut eine Langstreckenrakete zu Testzwecken ab. Auch die Gesprächsthemen von Kishida und Yoon senden klare geopolitische Signale.
Zusammen gegen Nordkorea und China
Im Vordergrund stand eine Wiederaufnahme der sicherheitspolitischen Kooperation. Beide Länder teilten die Sorge wegen Nordkorea, Chinas Aufrüstung und der Bedrohung Taiwans sowie die Sorge um die Sicherheit der Seewege im indopazifischen Raum, erklärte Rui Matsukawa, Außenpolitikerin von Japans Regierungspartei LDP.
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Auch die Zusammenarbeit mit den USA wollen beide Staaten weiter verbessern. Yoon stellte zudem die Rückkehr zu einem Abkommen über den Austausch militärischer Informationen (GSOMIA) in Aussicht, das sein Vorgänger Moon eingestellt hatte. Das Abkommen galt in der Vergangenheit als erster Schritt zu einer engeren militärischen Zusammenarbeit.
Kishida sagte zudem: „Wir werden unsere Shuttle-Diplomatie wieder aufnehmen.“ Darunter wird ein enger diplomatischer Austausch zwischen Seoul und Tokio verstanden, der vor zehn Jahren eingestellt worden war. Außerdem wollen beide Seiten ihre seit fünf Jahren unterbrochenen militärischen Konsultationen wieder aufnehmen.
Wirtschaftlich wollen beide Länder gemeinsam die Lieferketten bei kritischen Bauteilen stärken, allen voran bei Halbleitern. Mit Taiwan und den USA sind sie Teil der Chip4-Allianz von US-Präsident Joe Biden.
Geschichtsstreit schwelt weiter
Allerdings ist beiden Seiten bewusst, dass dies tatsächlich erst der Anfang eines langwierigen Balanceakts ist. LDP-Politikerin Matsukawa gab zu bedenken: „Bisher war die Stimmung in unseren Beziehungen bei minus 100, jetzt ist sie bei null.“ Offen ist zudem, ob die Annäherung dieses Mal von Dauer ist. Denn im Hintergrund schwelt ein ungelöster Dauerstreit über die Geschichte der japanischen Annexion Koreas weiter.
Choi Eun Mi, Wissenschaftlerin des südkoreanischen Thinktanks Asan Institute for Policy Studies, erklärt, dass sich beide Länder nie auf eine gemeinsame Bewertung der Legalität der Kolonisierung geeinigt haben. „Infolgedessen wird Japans Kolonisierung der koreanischen Halbinsel in Korea als illegal und in Japan als rechtmäßig angesehen.“
Je stärker Südkorea wirtschaftlich wurde, desto offener flammte der Konflikt auf. Unter Yoons Vorgänger Moon und Japans konservativem Regierungschef Shinzo Abe, der Japans Entschuldigungen für die eigene Geschichte beenden wollte, wurde daraus eine ernsthafte Krise. Erst stellte Moon einen Fonds zur Entschädigung von koreanischen Kriegsprostituierten ein. Dann entschieden Gerichte, dass japanische Unternehmen „Zwangsarbeiter“ entschädigen müssten.
Dies wurde in Japan allerdings als Bruch des Grundlagenvertrags von 1965 gesehen, mit dem eigentlich derartige Entschädigungen abgegolten worden waren. Yoon hat nun nach seinem Amtsantritt im Mai 2022 versucht, die Lage zu entspannen – entgegen der Mehrheitsmeinung unter den Südkoreanern.
Diesen Monat schlug er vor, den Konflikt durch einen privaten Entschädigungsfonds zu lösen, den vor allem südkoreanische Unternehmen mit Geld füllen sollen. Kishida begrüßte den Vorstoß. Nur ist noch nicht klar, ob Yoon seinen Plan daheim durchsetzen kann.
Die Opposition kritisierte den Vorstoß als „schlimmste diplomatische Demütigung“ seit der Unterwerfung Koreas unter China vor mehr als 400 Jahren. Einige der Betroffenen lehnen ihn ab, genauso laut Meinungsumfragen 59 Prozent der Südkoreaner.
Zum einen verlangen sie eine Beteiligung japanischer Unternehmen, zum anderen eine erneute Entschuldigung der japanischen Regierung, was allerdings unwahrscheinlich ist. Yoon und Kishida wollen nun die bestehenden Differenzen durch einen Ausbau „zukunftsorientierter Beziehungen“ abbauen.
Mehr: Das 215-Milliarden-Projekt – Südkorea will Halbleiterimperium erschaffen.
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