Berlin / Tokio Mit seinem halben Kabinett bricht Olaf Scholz (SPD) am Freitag zu einem Wochenendtrip nach Tokio auf. Mit sechs Kabinettskollegen im Schlepptau reist der Bundeskanzler zu den ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen.
Neben dem Ukrainekrieg geht es bei dem Treffen um das Thema Wirtschaftssicherheit, Und da, findet Scholz, könne sich Deutschland einiges von Japan abschauen.
Japan verfolge in der Frage der Rohstoffsicherung „schon lange einen strategischen Ansatz“, sagte der Bundeskanzler im Handelsblatt-Interview. „Ich bin überzeugt, davon können wir einiges lernen.“ Doch das japanische System ist lange gewachsen – und somit nur schwierig zu übertragen.
In Japan wird die Energieversorgung in enger Zusammenarbeit zwischen Staat und privaten Unternehmen (Public-Private-Partnership) sichergestellt. In dem ostasiatischen Inselreich gibt es mehrere Unternehmen, staatliche Organisationen sowie staatliche und halbstaatliche Finanzinstitute, die sich auf die Finanzierung, Erforschung und Erschließung von Energie- und anderen Rohstoffquellen spezialisiert haben.
Offiziell haben die amtlichen Stellen das Sagen, sagt Seijiro Takeshita, Professor an der Universität Shizuoka. „Aber meistens sind es private Unternehmen, Japans Handelshäuser, die die eigentliche Arbeit machen.“
Ihre Bedeutung sei so groß, dass selbst das Außenministerium auf die Expertise der Handelshäuser zurückgreife, erklärt Takeshita. „Sie verstehen die Entwicklungen in vielen Ländern besser, weil sie dort auch große Projekte mit den Regierungen umsetzen.“
Japan setzt bei der Energie auf die Wasserstoffwirtschaft
Takeshita sieht Japan im Energiesektor als Paradebeispiel für die Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatwirtschaft. Das Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie reguliere den Bereich insbesondere über die Japan Oil, Gas and Metals National Corporation (Jogmec).
Diese De-facto-Behörde ist in allen wichtigen Bereichen der Energie- und Metallstrategie aktiv: Öl- und Gasförderung, Kohle, Kohlenstoffabscheidung, -speicherung und -nutzung, Wasserstoff und Ammoniak, Verwaltung von Seltenerdmetallvorräten, Windkraft und Geothermie.
Im Energiebereich setzt Japan wie Deutschland auf die Wasserstoffwirtschaft. Um deren Verbreitung voranzutreiben, will die Regierung den Wasserstoff aber zunächst vorrangig aus fossilen Brennstoffen gewinnen und das dabei entstehende Kohlendioxid aus den Abgasen abtrennen, speichern oder wiederverwenden. Auch hier versucht die japanische Regierung laut Takeshita, „viele Leute aus der Privatwirtschaft mit ins Boot zu holen“.
Ein Grund für das konzertierte nationale Vorgehen in Japan ist die fast vollständige Abhängigkeit Japans von Energieimporten. Für die Bundesregierung ist die Rohstoffsicherung nach Ausbruch des Krieges zu einer zentralen Frage geworden.
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Scholz will Lehren aus der Vergangenheit ziehen und sich nicht noch einmal wie bei den russischen Energieimporten in die Abhängigkeit eines anderen Landes begeben. Deshalb will er Deutschland bei der Rohstoffversorgung insbesondere von China unabhängiger machen.
Japan könnte bei dieser angestrebten Diversifizierung eine wichtige Rolle spielen. Schon mit seinem Antrittsbesuch in Tokio vergangenen April hatte Scholz ein Zeichen gesetzt. Bewusst war er zuerst nach Japan gereist und nicht nach China. Anders als China verurteilte Japan den russischen Angriffskrieg und schloss sich den Sanktionen gegen Russland an.
Den japanischen Ansatz bei der Rohstoffsicherheit auf Deutschland zu übertragen würde sich allerdings schwierig gestalten. Denn die Privatisierung der Rohstoffbeschaffung dort ist historisch gewachsen: Seit Beginn der industriellen Aufholjagd gegenüber dem Westen im 19. Jahrhundert trieben große Konglomerate die Entwicklung des Landes voran.
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Den Kern dieser nach dem Zweiten Weltkrieg zerschlagenen Firmenverbände bildete meist nicht nur eine Bank, sondern auch ein Handelshaus. Für den Analysten Thanh Ha Pham vom Investmenthaus Jefferies ist ein solcher Verband „wie ein Mastermind mit vielen Armen, der komplexe Projekte zusammensetzen kann“.
Etwa ein halbes Dutzend bedeutender Unternehmen hat überlebt. Am prominentesten sind die fünf Handelsgiganten Mitsubishi Corp, Sumitomo, Itochu, Mitsui, Sojitz und einige jüngere Unternehmen.
Bundesregierung will Deutschland resilient machen
Eines ist Toyota Tsusho, das Handelshaus der lose strukturierten Toyota-Gruppe. Es wickelt für Toyota etwa den Autoverkauf in Afrika ab und stellt die Lithiumversorgung für die Elektroautobatterien des weltgrößten Autoherstellers sicher.
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Neben der historischen Entwicklung nennt Pham einen weiteren Grund, warum die Regierung in Fragen der Energiesicherheit auf die Privatwirtschaft setzt. „Die Regierung geht davon aus, dass private Unternehmen die Ressourcen wahrscheinlich effizienter nutzen als ein großes Staatsunternehmen“, sagt der Experte.
Ein ähnlicher Ansatz schwebt Scholz offensichtlich vor. Im Interview mit dem Handelsblatt sagte der Bundeskanzler, Ziel der neuen Rohstoffstrategie der Bundesregierung sei es, „dass die Rohstoffgewinnung ein privatwirtschaftliches Geschäft bleibt, die Unternehmen aber gleichzeitig so klug handeln, dass unsere Volkswirtschaft ausreichend resilient ist“.
In Japan decken sich die strategischen Interessen von Staat und Unternehmen, wie Analyst Pham erklärt. Für die Unternehmen ginge es darum, die Sicherheit zu erhöhen, indem sie ihr Geschäft diversifizieren. „Dabei wägen die Handelshäuser sehr genau ab, welche Projekte wirtschaftlich sinnvoll sind und welche nicht.“ Denn die finanziellen Risiken sind hoch.
Japanisches Modell zur Rohstoffsicherheit hat auch Nachteile
Gerade Energieprojekte brauchen lange Vorlaufzeiten und viel Kapital. Deshalb haben die Handelshäuser viel Know-how in der Projektplanung und -finanzierung aufgebaut. „Sie schließen schon vor Baubeginn langfristige Lieferverträge ab und reduzieren so das Risiko“, erklärt der Finanzanalyst.
Gleichzeitig sorgen die Handelshäuser dafür, dass Japan über technisch starke Unternehmen für die Rohstoffsicherung verfügt. Ein Beispiel dafür ist das Handelshaus Mitsubishi. Es kaufte den kriselnden Maschinenbaukonzern Chiyoda, den weltweit führenden Hersteller von Anlagen zur Flüssiggasproduktion und von Terminals.
Die enge Zusammenarbeit hat allerdings auch negative Seiten – einen gewissen Klüngel und gebremsten Wettbewerb. Im Wettbewerb um Energieprojekte ist der staatlich-private Schulterschluss wiederum ein Vorteil.
Die Handelshäuser setzten ihre Expertise bei Öl, Gas, Kohle und Metallen nun bei erneuerbaren Energien ein. Reihenweise investieren sie in Wasserstoff- und Ammoniakprojekte samt Lieferketten.
Wie deutsche Unternehmen davon profitieren können, zeigt gerade der Stromkonzern RWE. Gemeinsam mit Mitsubishi und dem japanisch-koreanischen Konzern Lotte prüft das Unternehmen den Bau einer Ammoniakfabrik im US-Bundesstaat Texas.
Wie erfolgreich das japanische Public-Private-Partnership funktioniert, ist allerdings auch eine Frage der Perspektive. Schon in den Achtzigerjahren habe man sich große Sorgen gemacht, zu abhängig vom Öl aus der Golfregion zu werden, sagt Wirtschaftsprofessor Takeshita. Doch seitdem sei die Abhängigkeit noch größer geworden.
So setzte Japan lange Zeit auf Atomkraft, um die Stromversorgung zu sichern und den Kohlendioxidausstoß zu senken. Die Atomkatastrophe von Fukushima 2011 zerstörte diese Strategie.
Dass Scholz‘ Beamte sich trotz allem den japanischen Ansatz genau anschauen, liegt auch daran, dass Scholz nicht nur eine Strategie aufschreiben, sondern klare Zuständigkeiten beim Rohstoffmanagement schaffen will. Und da ist die Zusammenarbeit von Privatwirtschaft und Staat wie in Japan für ihn eine interessante Option.
Mehr: Marktreife Energietechnik – Wie Deutschland vom Wasserstoff-Pionier Japan profitieren kann
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