Berlin, Brüssel, Frankfurt Es war einer der zentralen Vorsätze nach der globalen Finanzkrise: Regierungen und Aufseher wollten verhindern, noch einmal angeschlagene Banken stützen zu müssen, weil diese „too big to fail“ sind – zu bedeutend, um sie pleitegehen zu lassen. Doch die jüngsten Hilfsmaßnahmen für die Silicon Valley Bank (SVB) in den USA und Credit Suisse in der Schweiz machen deutlich, dass dieses Problem noch immer nicht gelöst ist.
„Fälle wie die SVB sind ein Indiz dafür, dass man aus der Finanzkrise nicht die richtigen Konsequenzen gezogen hat“, sagt Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts. Man könne auch von einem „Komplettversagen“ sprechen. Steffen Saebisch, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, räumte bei einer Diskussionsveranstaltung ein: Die Notwendigkeit dieser Rettungsaktionen sei „ein schlechtes Signal“.
Zudem werden nur die Einlagen der Kunden garantiert, die Aktionäre und Gläubiger müssen Verluste hinnehmen. Und bei der Credit Suisse sorgt zunächst die Notenbank für Liquidität.
Trotzdem bringen die jüngsten Turbulenzen die Frage wieder auf die Tagesordnung: Hat die Politik genug gemacht, damit sie Banken nicht mehr mit Staatsgeld retten muss?
„Es wurden eine Vielzahl an Reformen seit der Finanzkrise angestoßen, um auch der Too-big-to-fail-Problematik entgegenzutreten“, sagt Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Die Banken sind widerstands- und abwicklungsfähiger geworden.“
„Nun werden Verwundbarkeiten im Finanzsystem offengelegt“
Allerdings stehen auch die europäischen Banken durch die Zinswende unter Druck. Anleihen, die viele Institute besitzen, sind deutlich weniger wert. „So werden nun Verwundbarkeiten im Finanzsystem offengelegt“, sagt Andreas Audretsch, stellvertretender Fraktionschef der Grünen. Für ihn ist klar: „Wir müssen nun umso stärker auf die Vollendung der Bankenunion drängen, bei der Maßnahmen wie maximale Verschuldungsquoten und eine gemeinsame europäische Einlagensicherung das Finanzsystem stabilisieren.“
Tatsächlich hat die Bankenregulierung in Brüssel plötzlich wieder an Dringlichkeit gewonnen. Finanzkommissarin Mairead McGuinness erklärte diese Woche im Europaparlament, dass man aus der SVB-Krise lernen müsse. Am Montag steht auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde den Parlamentariern Rede und Antwort, am Dienstag kommt der Chef der Europäischen Bankenaufsicht, Andrea Enria.
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Von McGuinness wird erwartet, dass sie nun zügig drei Gesetzesentwürfe zur Vertiefung der Bankenunion vorlegt. Die hatte sie bisher wegen Einwänden aus einigen Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, verzögert. „Ich hoffe, die Gesetzesentwürfe kommen jetzt schnell“, sagt der finanzpolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei, Markus Ferber (CSU). „Die Kommission muss sich beeilen, weil das auch ein Stabilitätssignal an die Märkte sendet.“
An diesem Montag steht die EZB-Präsidentin den Parlamentariern Rede und Antwort,
(Foto: IMAGO/Panama Pictures)
Die Reform soll die zweite und dritte Säule der Bankenunion stärken, also die Bankenabwicklung und die Einlagensicherung. Unter anderem soll das Abwicklungsregime, das bisher nur für die größten Banken gilt, auf mittelgroße Banken ausgedehnt werden. Die EU-Aufseher sollen eine stärkere Rolle bei der Abwicklung spielen. Zudem sollen die Regeln für die nationalen Einlagensicherungen vereinheitlicht werden, nachdem eine gemeinsame europäische Einlagensicherung vergangenes Jahr gescheitert war.
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Doch selbst gegen diesen relativ geringen Machtzuwachs für Brüssel wehren sich die nationalen Aufsichten. „Die Mitgliedstaaten sehen das als Frage der nationalen Souveränität“, sagt Finanzexperte Sebastian Mack vom Jacques Delors Centre. „Dann kann nicht mehr jede Regierung tricksen, wie sie will.“
Kritik an Ausnahmen bei Basel-Regeln
Obendrein laufen die Verhandlungen zwischen Europaparlament, Mitgliedstaaten und Kommission über die Umsetzung des Basel-Abkommens über international vereinbarte Eigenkapitalvorschriften für Banken.
Die Unterhändler hatten zahlreiche Ausnahmen vereinbart. So soll es lange Übergangsfristen geben, bis die neuen Regeln greifen. Auch sind kleinere Institute ausgenommen. Die Erleichterungen seien ausdrücklich für Banken mit einem einfachen Geschäftsmodell, die nicht grenzüberschreitend tätig seien, sagt Ferber. „Wir haben sie nicht befreit von Aufsichtspflichten, sondern nur von Berichtspflichten.“
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Bankenexperte Mack sieht das kritisch. „Was da in Brüssel beraten wird, ist voller neuer Ausnahmen. Wir sollten das Basel-Abkommen vollständig umsetzen“, sagt er. „Das Finanzsystem ist immer noch sehr fragil.“ Mack hofft, dass nach der SVB-Pleite die Rufe nach laxeren Regeln erst mal verstummen. „Die europäischen Banken haben in den vergangenen Jahren immer geklagt, dass sie wegen der strengen Eigenkapitalvorschriften im Nachteil gegenüber den US-Banken seien“, sagt er. „Die Argumentation wird man jetzt hoffentlich nicht mehr hören.“
Bei Sozialdemokraten und Grünen will man von Regellockerungen vorerst nichts wissen. „Wir sehen derzeit keinen Bedarf für eine breit angelegte Deregulierung des Bankensektors“, sagt SPD-Finanzexperte Schrodi. Die aktuellen Unruhen auf den Finanzmärkten zeigten, wie wichtig solide Kapitalpuffer und ein angemessenes Risikomanagement seien, um Finanzstabilität zu gewährleisten. Grünen-Politiker Audretsch stimmt zu: „Forderungen nach weniger strenger Regulierung sind derzeit fehl am Platz.“
Bankenlobbyisten stellen sich auf harte Zeiten ein
Bankenlobbyisten räumen hinter vorgehaltener Hand ein, dass es jetzt schwieriger wird, für eine Lockerung der Eigenkapitalvorschriften zu werben. Bei manchen Verbänden werden bereits Positionspapiere angepasst. Im kleinen Kreis warnen die Lobbyisten jedoch davor, den Bogen zu überspannen. SVB und Credit Suisse seien Sonderfälle. Die Schweizer Bank bekomme ihre Probleme seit Jahren nicht in den Griff, die SVB habe ein Klumpenrisiko im Tech-Sektor gehabt.
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Der Fall der Silicon Valley Bank habe zudem gezeigt, dass es erhebliche regulatorische Unterschiede zwischen den USA und Europa gibt, erklärte die Deutsche Kreditwirtschaft (DK), die die Interessen aller Bankenverbände vertritt. „Dies betrifft insbesondere die Anforderungen an Kapital und Liquidität, die in den USA für Banken dieser Größenordnungen deutlich niedriger sind.“
Um diese beiden Punkte dreht sich auch die Diskussion in den USA. Nachdem drei kleinere US-Banken innerhalb weniger Tage kollabierten, fordert die demokratische Senatorin Elizabeth Warren eine offizielle Untersuchung. Sie macht für die Krise unter anderem eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2018 verantwortlich, durch die Banken bis zu einer Bilanzsumme von 250 Milliarden Dollar von einigen nach der Finanzkrise verhängten Auflagen befreit wurden. Vorher galt eine Grenze von 50 Milliarden Dollar.
Nach Einschätzung eines US-Bankers muss die Regulierung für diese kleineren Institute jetzt dringend wieder verschärft werden. Sie spielten eine zentrale Rolle für die Kreditversorgung in den USA, deshalb müssten sie adäquat kontrolliert und kapitalisiert werden.
FDP: „Pauschaler Aufwuchs von Auflagen und Kontrollen ist falsch“
Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Markus Herbrand, erkennt die Fortschritte in Deutschland an und warnt zugleich vor regulatorischen Übertreibungen. Die Banken würden die angehobenen Eigenkapitalanforderungen erfüllen. Und für den Ernstfall sicherten die nach der Finanzkrise entwickelten Regeln für die Abwicklung von Banken schnelle Eingriffsmöglichkeiten.
„Einen pauschalen Aufwuchs von Auflagen und Kontrollen halte ich daher für falsch“, sagt Herbrand. „Wir dürfen bei allen Diskussionen nicht außer Acht lassen, dass das Vorhaben, jedwedes Risiko aus den Finanzmärkten zu entfernen und jeden denkbaren Fall der Fälle vorab zu regulieren, mit stagnierendem Wirtschaftswachstum teuer erkauft wäre.“
Viele in der deutschen Finanzbranche hoffen, dass die Krise auf die Einzelfälle beschränkt bleibt. Nach einer Schonfrist könnte sich das Blatt für sie dann zum Positiven wenden, hoffen manche Lobbyisten. Denn dann hätte sich aus ihrer Sicht gezeigt, dass die bestehenden Kapitalvorschriften ausreichen.
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