Mar 25, 2023
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Energie: Der LNG-Boom lässt die Golfküste in den USA wieder aufleben

Written by Katharina Kort


Sabine Pass, Houston „L-N-G“ steht in großen, weißen Lettern auf dem 300 Meter langen blauen Tanker mit seinen vier dicken, weißen Behältern auf dem Deck, der langsam Richtung Horizont entschwindet. Das nächste Schiff mit Namen „Alicante“ füllt bereits seinen riesigen Tank auf, bevor es seinen Weg Richtung Europa antritt.

Täglich legen hier am Sabine Pass, der Lagune, die Texas von Louisiana trennt, zwei Tanker ab. Der größte US-Flüssiggaskonzern Cheniere betreibt hier seine LNG-Anlage.

Per Pipeline kommt das Gas aus Texas und Louisiana, aber auch aus anderen Bundesstaaten wie Oklahoma und Pennsylvania an. In der 345 Hektar großen Anlage am Golf von Mexiko wird es in Riesenbehältern auf minus 161 Grad Celsius gekühlt und damit verflüssigt. So gelangt es komprimiert als Liquefied Natural Gas (LNG) über Rohre in die Spezialtanker.

Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar vergangenen Jahres ist die Zahl der Tanker, die den Sabine Pass und andere Häfen an der US-Golfküste verlassen, deutlich gestiegen. Immer mehr von ihnen nehmen Fahrt Richtung Europa auf – zuletzt auch Richtung Deutschland, wo die schwimmende Regasifizierungsanlage in Wilhelmshaven LNG wieder in Gas umwandeln kann. Der Export von Flüssigerdgas aus den USA nach Europa hat sich dem Rohstoffdatendienst Kpler zufolge von 2021 auf 2022 verdoppelt.

In Deutschland bewahrt das amerikanische Flüssiggas die Menschen davor zu frieren und lässt die Fabriken weiterarbeiten. In den USA verschafft die starke Nachfrage aus Europa einer ganzen Region einen neuen Aufschwung. 

Port Arthur erlebt eine kleine Renaissance

Dem Städtchen Port Arthur zehn Kilometer entfernt hat der jüngste LNG-Boom schon jetzt neues Leben eingehaucht. Bauarbeiter zimmern Häuserblöcke in der fast verwaisten Innenstadt zusammen. „Die Unternehmen bauen da Büros und Wohnungen für ihre Mitarbeiter“, sagt der pensionierte Raffinerie-Arbeiter Fred Schneider. Er ist in Port Arthur aufgewachsen und arbeitet heute im „Museum der Golfküste“.

Hier erzählt Schneider den Besuchern, wie das Öl und Gas die Stadt, in der Berühmtheiten wie die Sängerin Janis Joplin oder der Künstler Robert Rauschenberg geboren wurden, einst reich gemacht hat – bis die Investitionen nachließen und die Ölbranche immer weniger Arbeiter brauchte.

Die Innenstadt von Port Arthur

Die Frackingkrise hat auch die Stadt getroffen. Jetzt wird neu gebaut.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

„Port Arthur erlebt mit dem LNG-Boom eine kleine Renaissance“, freut sich Schneider. Es gebe Pläne für neue Restaurants und Kinos. „So wie es früher war, als ich hier Kind war.“

Auch der Campingplatz „Water View RV Resort“, rund 20 Autominuten von dem Cheniere-Standort entfernt, ist komplett ausgebucht. Gepflegte Fifth-Wheeler-Camping-Anhänger stehen verlassen herum, die Besitzer sind zur Arbeit gefahren. „Die arbeiten alle in Öl und Gas“, sagt der Manager. LNG-Arbeiter verdienen laut Zip Recruiter zwischen 34 und 85 Dollar pro Stunde – und damit ausgesprochen gut.

Überall in der Region sind Bauarbeiten zu sehen. Auf den Autobahnen transportieren große Laster Planierraupen, Bagger und zusammengefaltete Kräne. Auch Cheniere will die Anlage am Sabine Pass demnächst noch weiter ausbauen und die Kapazitäten um weitere 20 Millionen Tonnen LNG auf insgesamt 50 Millionen Tonnen jährlich erhöhen.

LNG-Exporte als geopolitisches Instrument der US-Regierung

„Es ist erstaunlich zu sehen, wie die USA nach all den jahrzehntelangen Sorgen um Energieabhängigkeit heute der größte Exporteur von Flüssiggas und einer der größten Exporteure von Öl sind“, kommentiert Daniel Yergin, Energie-Historiker und Vize-Chairman von S&P Global, die Lage. „Amerika ist bei der Energie zurück in der dominantesten Position weltweit, die es seit den 50er-Jahren innehatte.“ 

In diesem Jahr wird der LNG-Export nach Schätzungen des Informationsdiensts des Energie-Ministeriums, Eia, um weitere 14 Prozent steigen und zum Großteil nach Europa gehen.

Für die Regierung in Washington ist LNG zu einem wichtigen Instrument geworden, um die Alliierten im Ukrainekrieg in ihrer Position gegen Russland zusammenzuhalten. Auch deshalb hat Präsident Joe Biden trotz seiner grünen Klimapolitik höhere Flüssiggas-Exporte und neue LNG-Terminals erlaubt. 

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Erst diese Woche wurde ein weiterer LNG-Terminal in Port Arthur genehmigt, der von Sempra Infrastructure und Conoco Phillips gebaut werden soll. „Die LNG-Expansion ist ein Muss für die amerikanische Energiesicherheit”, sagte der republikanische Gouverneur von Texas, Greg Abbott. Und sie bringe weitere „Jobs für hart arbeitende Texaner”.

Cheniere-CEO Fusco: „Unsere Freunde in Europa nicht im Stich lassen“

Jack Fusco, der CEO von Cheniere, ist stolz darauf, im vergangenen Jahr 70 Prozent der 638 Tanker mit LNG nach Europa geschifft zu haben. 2022 sei für ihn ein „einschneidendes Jahr“ gewesen. Die Energiekrise in Europa habe ihn auch persönlich sehr getroffen, erzählte er jüngst auf der größten Öl- und Gasmesse der Welt, der Ceraweek von S&P, im texanischen Houston. „Wissen Sie, meine Eltern sind aus Italien hierhergekommen. Wir haben auch eine moralische Verpflichtung gefühlt, unsere Freunde in Europa nicht im Stich zu lassen.“

Die Worte hört auch der deutsche Staatssekretär Jörg Kukies gerne, der eigens zur Ölmesse nach Houston angereist ist: „Wir brauchen das LNG“, sagt er.  

Noch im Jahr zuvor seien 60 Prozent der Exporte nach Asien gegangen und nur 40 Prozent nach Europa, sagt Fusco. Das sei jetzt anders. Fusco hält sein Handy hoch, wo eine Live-App die Cheniere-Tanker verfolgt: „Da sind nur wenige, die gerade nach Asien unterwegs sind.“  

Cheniere-Chef Fusco: “Unsere Freunde in Europa nicht im Stich lassen”

Doch Fusco weiß auch, woran das liegt. Weiß, dass Länder wie Indonesien zum Teil wieder auf Kohle umgestiegen sind, weil so viele Schiffe nach Europa umgeleitet wurden – nicht nur aus Solidarität, sondern auch, weil sie von europäischen Ländern einfach überboten wurden.

Die Nachfrage nach LNG werde auch in Asien hoch bleiben, sagt Fusco – und reagiert mit höherer Produktion: Cheniere baut nicht nur die Anlage am Sabine Pass aus, sondern auch die in der texanischen Ölstadt Corpus Christi. Und auch aus Freeport, wo im vergangenen Jahr eine riesige Explosion die Cheniere-Anlage monatelang lahmgelegt hat, legen die Schiffe heute wieder ab.

>> Lesen Sie hier: Die USA erleben einen doppelten Energieboom

Zum Ende des Jahrzehnts will Fusco jährlich mehr als 90 Millionen Tonnen LNG produzieren und exportieren. „Und jedes Schiff von uns kommt mit allen Informationen zu seinem offiziellen CO2-Fußabdruck“, versichert er. Um die Position als Gas-Macht zu erhalten, arbeitet das US-Energieministerium mit der Branche an Umweltstandards für zertifiziertes Gas.

Aus Importanlagen werden Exportanlagen

Dabei hat die amerikanische LNG-Strategie einen erstaunlichen Wandel hinter sich. „Die Anlagen an der Golfküste waren eigentlich für den Import gedacht. Jetzt sind es Exportanlagen geworden“, erläutert Greg Ebel, CEO des Pipeline-Spezialisten Enbridge, der die Golfküste in Texas und Louisiana mit seinen Produkten versorgt.

Auch Qatar Energy and Exxon Mobil bauen einen Kilometer Luftlinie entfernt von der Cheniere-Anlage am Sabine Pass gerade den Importterminal von Golden Pass für zehn Milliarden Dollar in einen Exportterminal um.

Anfang des Jahrhunderts wollten die Amerikaner Gas vor allem ein- und nicht ausführen. Die leicht zugänglichen Gasfelder waren größtenteils an ihrem Ende. Dann kam der Frackingboom, der die USA im Jahr 2019 zum ersten Mal zum Nettoexporteur von Energie machte.  

Doch das Fracking rutschte in die Krise, weil sich die teure Technologie angesichts der niedrigen Weltmarktpreise für Öl und Gas nicht rechnete. 2020 meldeten Frackingunternehmen reihenweise Insolvenz an. Bis sich das Bild mit dem Ende der Covid-Pandemie und dem Angriff Russlands auf die Ukraine erneut änderte. Nachfrage und Weltmarktpreise stiegen rasant. Die amerikanischen Gasfelder haben im vergangenen Jahr laut US-Energieministerium mit mehr als drei Milliarden Kubikmetern pro Tag so viel wie noch nie produziert – Tendenz steigend.

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Was passiert, wenn die Nachfrage aus Europa wieder sinkt? 

„Wir sitzen auf Ressourcen für Jahrzehnte, die wir alle noch ausschöpfen können“, prophezeit Nick Dell’Osso, CEO von Chesapeake Energy, ein Unternehmen, das selbst vor weniger als drei Jahren Gläubigerschutz beantragt hat und von Private-Equity-Investoren gekauft wurde. Das gelte nicht nur für die Südstaaten der USA, wo etwa das Permian Basin unter Texas und New Mexiko liegt. Auch im Nordosten sei mit dem Marcellus-Feld in Pennsylvania noch viel Gas zu holen, betont Dell’Osso.

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Auch Corey Prologo, Handelschef des Logistikunternehmens Trafigura, ist überzeugt, dass der LNG-Boom noch lange anhält und die Rolle von LNG auch gegenüber Öl immer wichtiger wird. Auch Ölexportanlagen könne man in LNG-Exportanlagen umwandeln, sagt er. „Das passiert jetzt schon, und wir werden noch mehr davon sehen.“

Und was passiert, wenn die Nachfrage aus Europa irgendwann wieder einbricht? Schließlich setzt die EU auf alternative Energien und will eigenständiger werden. „Man muss sich schon fragen, ob sich die Milliardeninvestitionen lohnen, wenn die Europäer keine langfristigen Abnahmegarantien geben wollen“, gibt etwa Naomi Boness zu bedenken, Managing Director der „Natural Gas Initiative“ (NGI) der Stanford-Universität.

Colin Gruending, der Präsident des Pipeline-Spezialisten Enbridge, hält das Risiko für gering. „Vor allem beim Gas wird es noch lange eine hohe Nachfrage weltweit geben“, ist er überzeugt. „Und jetzt haben wir eine moralische Verantwortung, dass die Tanker weiter nach Europa fahren.“

Mehr: Die US-Ölindustrie entdeckt Wasserstoff und CO2-Speicherung



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