Mar 20, 2023
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Klimaschutz: IG Metall vermisst Beschäftigungsaspekt in Habecks Windkraftstrategie

Written by Frank Specht

Berlin Vor dem „Windkraftgipfel“ bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermisst die IG Metall eine klare Strategie für die Branche. „Mehr Flächen und schnellere Genehmigungsverfahren sind nicht genug, um die Ausbauziele an Land und auf See zu erreichen“, sagte der Leiter des IG-Metall-Bezirks Küste, Daniel Friedrich, am Montag bei der Präsentation einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Politik müsse vielmehr auch die Fachkräftegewinnung in den Blick nehmen und dafür eintreten, mehr Windkraft-Wertschöpfung in Deutschland zu halten.

Habeck hat für kommenden Mittwoch Branchenvertreter zu Gesprächen darüber eingeladen, wie sich die ehrgeizigen Ausbauziele erreichen lassen. So soll der Bau von Windkraftanlagen an Land auf zehn Gigawatt jährlich gesteigert werden, sodass im Jahr 2030 insgesamt 115 Gigawatt installiert sind. 2021 waren es rund 56 Gigawatt.

Was das bedeutet, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang März bei der Kabinettsklausur in Meseberg deutlich gemacht: Von nun an müssten in Deutschland jeden Tag vier bis fünf Windräder fertiggestellt werden, sagte er.

Auf See sollen sich bis 2030 Windräder mit einer Gesamtleistung von 40 Gigawatt und bis 2045 von 70 Gigawatt drehen. Ende 2021 waren aber erst Offshore-Anlagen mit einer Leistung von knapp acht Gigawatt am Netz. Und deren Installation hat sich über zwölf Jahre hingezogen.

Thorsten Ludwig von der Bremer Agentur für Struktur- und Personalentwicklung, der zusammen mit anderen Autoren die Windkraftstudie für die Böckler-Stiftung erstellt hat, nennt die Ausbauziele der Regierung denn auch „äußert ambitioniert“. Wenn die Hälfte erreicht werde, sei das schon gut.

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Zwar hat die Bundesregierung mit der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und der Zusage, zwei Prozent der Landesfläche für die Windkraftnutzung auszuweisen, Akzente gesetzt. Doch beklagen die Studienautoren wie auch die IG Metall, dass mit Ausnahme des prosperierenden Servicegeschäfts Wertschöpfung der Windkraftbranche fast nur noch im Ausland stattfindet.

Mit der Schließung des Nordex-Rotorenwerks in Rostock im vergangenen Jahr habe sich Deutschland aus der Massenproduktion von Flügeln für Windkraftanlagen verabschiedet. Auch andere zentrale Komponenten würden nicht mehr im eigenen Land gefertigt.

In der Branche herrsche ein enormer Kostendruck, der zu Verlagerungen ins Ausland geführt habe. Um ihre ehrgeizigen Klimaziele einhalten zu können, sei es der Bundesregierung aber offenbar egal, wo eine Windkraftanlage herkomme und unter welchen Arbeits- und Umweltbedingungen sie hergestellt worden sei, kritisierte Friedrich.

Durch einen politischen Zickzack-Kurs – erst wird die Windkraftförderung massiv ausgebaut, dann beschnitten – herrsche ein großes Misstrauen in der Branche, das sich auch auf dem Arbeitsmarkt zeige. So haben noch in Deutschland aktive Windkraftfirmen zunehmend Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Und das, obwohl die Ausbildungsquote ohnehin schon geringer liegt als im Maschinenbau insgesamt.

„Insgesamt fehlt eine Arbeitsmarktstrategie zur Flankierung der Klimawende und der Klimaziele“, kritisierte Ludwig. Die auf möglichst niedrige Preise ausgerichtete Ausschreibungspolitik oder strenge Abstandsregelungen in verschiedenen Bundesländern hätten zu einem Kahlschlag in der Branche geführt. Von 2017 bis 2019 gingen mehr als 40.000 Arbeitsplätze verloren.

Viele Geschäftschancen für deutsche Unternehmen

Dabei sehen Forscher und Gewerkschaft durchaus Potenzial, Wertschöpfung und Arbeitsplätze nach Deutschland zurückzuholen. So sei die auf Kreuzfahrtschiffe spezialisierte italienische Werft Fincantieri in den Bau von Spezialschiffen für Offshore-Windkraftanlagen eingestiegen. Auch deutsche Werften könnten sich hier stärker engagieren, Schiffbau und Windkraft sollten stärker verzahnt werden.

Deutsche Unternehmen könnten aber auch daran arbeiten, die Ökobilanz der Windkraft zu verbessern, und nach Wegen suchen, die aus schwer zu trennenden Verbundmaterialien gefertigten Rotorblätter zu recyceln. Auch an der Schnittstelle zwischen Wind und Wasserstoff gebe es noch Potenzial, etwa bei der Entwicklung von Anlagen, die produzierten Strom direkt in Wasserstoff umwandeln.

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Er habe allerdings nicht den Eindruck, dass beschäftigungspolitische Aspekte in der Windkraftstrategie des Wirtschaftsministers eine besondere Rolle spielten, sagte IG-Metall-Bezirksleiter Friedrich. Sonst könnten ja beispielsweise Vergabeverfahren so ausgestaltet werden, dass nicht nur der niedrigste Preis zähle, sondern auch andere Faktoren wie ein bestimmter Anteil der Wertschöpfung im Inland oder eine Bezahlung der Beschäftigten nach Tarif.

Die Gewerkschaft steht mit ihrer Kritik nicht allein. Jüngst hat auch der Chef des Windkraftanlagen-Herstellers Siemens Gamesa, Jochen Eickholt, gefordert, bei der Vergabe von Windkraftprojekten den Preis niedriger zu gewichten.

Darüber hinaus sollte beispielsweise berücksichtigt werden, ob ein im Ausland gefertigtes Rotorblatt um den halben Globus transportiert werden muss, sagte Eickholt im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Oder ob die Rotorblätter wiederverwertbar seien. „Auch die Arbeitsbedingungen könnten ein Faktor sein“, betonte der Manager. „Und wir sollten überlegen, einen europäischen Produktionsanteil vorzuschreiben.“

Andere Länder sehen in Ausschreibungen „Local Content“-Bestimmungen vor. So subventionieren beispielsweise die USA im Rahmen ihres „Inflation Reduction Act“ den Kauf klimaschonender Produkte mit Milliardensubventionen – aber nur wenn zumindest ein Teil der Wertschöpfung in den Vereinigten Staaten stattfindet.

Daran, so Gewerkschafter Friedrich, sollten sich Deutschland und Europa ein Beispiel nehmen. Denn die Akzeptanz der Windkraft hänge immer auch mit davon ab, ob sie den Menschen hierzulande Arbeitsplätze und Wohlstand bringe.

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