Berlin, Brüssel Was die Europäer von der „Friedensreise“ des chinesischen Präsidenten Xi Jinping nach Moskau halten, machte schon die Themensetzung beim gemeinsamen Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister in Brüssel klar: Ein europäischer Munitionspakt stand auf der Agenda, der den Nachschub für die von Russland angegriffene Ukraine sichern soll. Als Friedensstifter wird Xi in der EU nicht wahrgenommen, sondern als Partner des russischen Aggressors Wladimir Putin.
Schon der Zwölf-Punkte-Plan zur Beendigung des Ukrainekriegs, den die chinesische Führung Ende Februar präsentiert hatte, traf in Brüssel auf Skepsis, da China die russische Invasion bis heute nicht verurteilt hat. Die EU setzt, genau wie die Nato, weiter darauf, die Ukraine mit Waffenhilfen in eine möglich gute Verhandlungsposition zu bringen. „Die Ukraine braucht weiter unsere Unterstützung, damit die Ukraine den Frieden gewinnen kann“, erläuterte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ergänzte: Europa müsse „schnell handeln“. Noch in diesem Jahr müsse „eine nennenswerte Zahl von entsprechender Munition in die Ukraine geliefert“ werden. Dazu müsse Europa seine Marktmacht bündeln.
Deutschland sei dabei, seine nationalen Rahmenverträge mit der Rüstungsindustrie deshalb für Partner zu öffnen. Dänemark und die Niederlande hätten schon Interesse bekundet, so Pistorius.
Andere Staaten wollen für gemeinsame Munitionsbestellungen die Europäische Verteidigungsagentur einspannen – um die eigenen Depots wieder aufzufüllen, aber auch, um die Ukraine mit Nachschub zu versorgen. Die Regierungen folgen damit einem Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
Wenig Spielraum für Diplomatie
Der Spanier hatte zu Monatsbeginn ein dreistufiges Konzept erarbeitet. Die EU-Länder sollen demnach „umgehend“ Artilleriegranaten mit dem Nato-Standard-Kaliber 155 Millimeter in die Ukraine liefern und Aufträge an Munitionsfabriken europaweit bündeln, um bessere Konditionen zu erhalten. Mit industriepolitischen Eingriffen soll zudem die Produktionskapazität der Rüstungsindustrie vergrößert werden.
Unter Brüsseler Diplomaten kursieren Analysen, nach denen die Ukraine derzeit 110.000 Granaten pro Monat verschießt, aber 300.000 pro Monat für eine erfolgreiche Gegenoffensive bräuchte. So viel kann Europa nicht liefern.
Die EU-Staaten einigten sich jedoch auf das Versprechen, innerhalb eines Jahres „bis zu“ eine Million Artilleriegranaten zu liefern. Damit folgten sie, in leicht abgeschwächter Form, einer Initiative Estlands, über die das Handelsblatt am Freitag berichtet hatte.
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Für diplomatische Initiativen gibt es nach Einschätzung der EU derzeit wenig Spielraum. Zumal der Internationale Strafgerichtshof am Freitag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen hat. Zwar haben Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Kontakt zu Putin nie abreißen lassen. Doch aus Nord- und Osteuropa setzt sich die Ansicht durch, dass der Kremlchef vor Gericht gehört und kein Verhandlungspartner für die EU mehr sein kann.
Von China erhält Putin dagegen Unterstützung. Xi und Putin, die eine zehnjährige Freundschaft verbinde, hätten sich kurz vor Beginn des Kriegs ihre „grenzenlose Partnerschaft“ geschworen und zeitgleich eine „gemeinsame, autoritäre Sicht auf die internationale Weltordnung dargelegt, die westlich-liberale Prinzipien untergräbt“, sagt Daniela Schwarzer, Direktorin für Europa und Zentralasien der Open Society Foundations. „Selbst wenn Xi Interesse an Frieden hat – zu einem glaubwürdigen Vermittler macht ihn dies nicht.“
China steht fest an der Seite Russlands
Die chinesische Führung hat in den vergangenen Monaten versucht, die angeschlagenen Beziehungen zu Europa zu verbessern. Das Treffen zwischen Putin und Xi könnte diese Bemühungen nun gefährden. Die Visite ist ein Signal, dass Peking fest an der Seite Russlands steht.
Zwar seien Friedensbemühung willkommen, aber zum jetzigen Zeitpunkt gebe es keine Grundlage für Verhandlungen, sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Nils Schmid. Zudem sei klar: Es darf „von chinesischer Seite keine militärische Unterstützung für Russland geben“.
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Die Befürchtung in Berlin lautet, dass Peking die ukrainische Regierung unter Druck setzen könnte, einem Frieden zu Moskaus Bedingungen zuzustimmen. Wie ein solcher Frieden aussähe, hat Wladimir Putin in einem Gastbeitrag in der „Renmin Ribao“, dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, klargemacht. Kiew müsse „neue geopolitische Realitäten“ anerkennen und die russische Annexion der Krim im Jahr 2014 sowie vier ukrainischer Regionen im vergangenen Jahr akzeptieren.
Ein Sprecher von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte am Montag, dass es keinen Diktatfrieden im russischen Sinne geben könne. Es sei nicht hinnehmbar, dass sich Russland Teile der Ukraine einverleibe. China sollte bei seinen Vermittlungsbemühungen auch direkt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski reden, forderte der Sprecher.
Tatsächlich hat Xi seit Beginn des Kriegs nicht ein einziges Mal auch nur ein Telefongespräch mit Selenski geführt. In den vergangenen Tagen gab es Spekulationen, dass Xi erstmals auch Selenski anrufen könnte.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisiert: „China nutzt die Gelegenheit, sich in der Welt als Friedensmacht auszugeben, ohne dass China den ernsthaften Willen oder die Fähigkeit hierzu besitzt.“
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