Mar 22, 2023
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Frankreich: Präsident Macron verteidigt umstrittene Rentenreform

Written by Gregor Waschinski

Paris Emmanuel Macron wählte einen ungewöhnlichen Rahmen für seine ersten öffentlichen Äußerungen zur umstrittenen Entscheidung, seine Rentenreform trotz massiver Proteste und ohne Votum des Parlaments durchzudrücken. Statt der üblichen Ansprache an die Nation zur besten Sendezeit am Abend erklärte sich Frankreichs Präsident in einem Fernsehinterview zur Mittagsstunde. Dort machte Macron am Mittwoch deutlich, dass er an dem Gesetz festhalten werde – und auch ohne klare Mehrheit seinen Reformkurs für das Land fortsetzen wolle.

„Glauben Sie, es macht mir Spaß, diese Reform zu machen?“, fragte der Präsident die Moderatoren der beiden großen Sender TF1 und France 2. „Nein!“ Die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre sei aber „notwendig“, damit die Rentenversicherung in einer alternden Gesellschaft finanzierbar bleibe.

Mit diesem Argument wirbt Macron seit Monaten für die Reform, die als das wichtigste innenpolitische Vorhaben seiner zweiten Amtszeit gilt. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte der Präsident einen Reformversuch bei der Rente unternommen, diesen aber nach Protesten und vor dem Hintergrund der beginnenden Coronakrise im Frühjahr 2020 abgebrochen. Nun ließ er keinen Zweifel: Das Gesetz werde „bis Jahresende“ in Kraft treten.

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„Zwischen den kurzfristigen Umfragen und dem allgemeinen Interesse des Landes entscheide ich mich für das allgemeine Interesse“, sagte Macron. Sein Auftreten erinnerte ein bisschen an die trotzige Entschlossenheit der Basta-Politik, mit der SPD-Kanzler Gerhard Schröder einst die Sozialreformen der Agenda 2010 trotz Protesten und Widerstands auch in der eigenen Partei durchgesetzt hatte.

Macron: „Non, je ne regrette rien“

Macron sagte in dem Interview, er bereue nichts – vielleicht nur, dass es ihm nicht gelungen sei, die Notwendigkeit dieser Reform deutlich zu machen. Seine Vorgänger hätten das heikle Thema vor sich hergeschoben.

„Und je länger wir warten, desto schlimmer wird es.“ Die Alternativen wären, die Renten zu senken, die Sozialbeiträge zu erhöhen oder die ohnehin schon hohe Staatsverschuldung zu vergrößern.

Die Franzosen lehnen die Erhöhung des Renteneintrittsalters Umfragen zufolge mit deutlicher Mehrheit ab. Im Politiker-Barometer des Meinungsforschungsinstituts Ifop sackte Macrons Beliebtheit auf 28 Prozent ab – der niedrigste Wert seit den Gelbwesten-Protesten vor vier Jahren. Seit Januar legen Streiks das Land lahm, Millionen Menschen gingen bei nationalen Protesttagen auf die Straße.

In der Nationalversammlung, wo Macrons Mitte-Bündnis seit den Parlamentswahlen vom Juni 2022 keine eigene Mehrheit mehr hat, hatte das Gesetz zu scheitern gedroht. Also entschied sich Macron, die umstrittene Reform ohne ein Votum der Abgeordneten durchzuboxen.

Seine Premierministerin Élisabeth Borne berief sich dazu am vergangenen Donnerstag auf eine im Verfassungsartikel 49.3 verankerte Sondervollmacht. Die Opposition strengte daraufhin ein Misstrauensvotum gegen die Regierung an, das am Montagabend aber knapp scheiterte. Seitdem ist das Gesetz formal angenommen – auch wenn der französische Verfassungsrat noch abschließend die Rechtmäßigkeit prüfen muss.

Hunderte Festnahmen bei Protesten

In den vergangenen Tagen verschärften sich die Proteste. In mehreren Städten brannten Mülltonnen und Barrikaden, die Polizei setzte Tränengas ein. Hunderte Menschen wurden festgenommen.

Proteste in Marseille

Hafenarbeiter stehen vor einer brennenden Barrikade am Hafen von Marseille. In Frankreich haben erneut Tausende gegen die Rentenreform der Regierung protestiert.



(Foto: dpa)

Macron sagte in dem Interview, dass Demonstrationen gegen die Reform legitim seien. Der Präsident kritisierte aber die „extreme Gewalt“, die gerade auch Vertretern des Staates und Parlamentariern entgegenschlage. Zuletzt waren Wahlkreisbüros von Abgeordneten attackiert worden, in Lyon wurde ein Rathaus gestürmt.

Am Dienstagabend hatte der Präsident französischen Medienberichten zufolge bei einem Treffen mit Abgeordneten seines Mitte-Bündnisses gesagt, dass die „Menge“ auf den Straßen keine „demokratische Legitimation“ habe. Die Äußerung, die seine Gegner als weiteren Beweis für die Abgehobenheit des Staatschefs anführten, erklärte Macron am Mittwoch so: Das Rentengesetz gehe seinen von der Verfassung vorgeschriebenen Gang durch die Institutionen – und das gescheiterte Misstrauensvotum habe gezeigt, dass es keine alternative Mehrheit im Parlament gebe.

>> Lesen Sie hier: Macrons Regierung übersteht Misstrauensvotum – doch die Proteste gegen die Rentenreform halten an

Die Gewerkschaften haben für Donnerstag zu einem weiteren landesweiten Protesttag aufgerufen. Die Gegner der Rentenreform besänftigte das Interview nicht – im Gegenteil. Macron habe „noch mehr Öl ins Feuer gegossen“, sagte etwa der Parteichef der Sozialisten, Olivier Faure.

Macron will weiter Reformpräsident sein

Macron bot den Gewerkschaften einen Dialog an, wie ältere Arbeitnehmer unterstützt werden könnten – beispielsweise durch Umschulungen für Menschen in körperlich anstrengenden Berufen. Außerdem brachte er eine Regelung ins Spiel, um hochprofitable Unternehmen zu verpflichten, ihre Belegschaft stärker an den Gewinnen zu beteiligen, anstatt nur Aktien zurückzukaufen.

„Es gibt ein Gefühl der Ungerechtigkeit, und das höre ich“, sagte Macron. Der Präsident erklärte, dass er in den verbleibenden vier Jahren keinen Stillstand wünsche und weiter reformieren wolle – bei den Schulen, beim Gesundheitssystem, bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Den Gesetzentwurf für eine Reform des Einwanderungsrechts, der eigentlich in der kommenden Woche debattiert werden sollte, hat die Regierung angesichts der aufgeheizten Stimmung im Parlament aber erst einmal verschoben.

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