London Boris Johnson ist seit fast einem Jahr nicht mehr Premierminister und doch hat der 58-Jährige Großbritannien am Mittwoch noch einmal in seinen Bann gezogen: Über vier Stunden musste sich Johnson unter Eid vor laufenden TV-Kameras dem Kreuzverhör eines Parlamentsausschusses stellen.
Die sieben Abgeordneten wollen herausfinden, ob der Tory-Politiker während seiner Amtszeit als Premier das Unterhaus bewusst oder grob fahrlässig über Verstöße gegen Coronaregeln am Regierungssitz belogen hat.
Johnson begann seine Verteidigung angriffslustig: „Hand aufs Herz. Ich habe das Parlament nicht angelogen“, sagte der sichtlich aufgebrachte Ex-Premier. Der Ausschuss „habe nichts gefunden“, was belege, dass er bewusst die Unwahrheit gesagt habe.
„Ich entschuldige mich dafür, dass ich das Unterhaus versehentlich in die Irre geführt habe“, sagte er. Johnson forderte das Gremium auf, alle Beweise zu veröffentlichen, sodass sich die Bürger ein Bild machen könnten.
Das dies noch nicht geschehen sei, bezeichnete der Politiker als „offenkundig unfair“. Er beschuldigte die Vorsitzende Harriet Harman von der Labour-Partei, voreingenommen zu sein.
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Konkret geht es um Abschieds-, Weihnachts- und Geburtstagsfeiern während der Pandemie von Mai 2020 bis April 2021, bei denen die Abstandsregeln nicht eingehalten wurden, während der Rest des Landes im strengen Lockdown verharrte.
Ich entschuldige mich dafür, dass ich das Unterhaus versehentlich in die Irre geführt habe. Boris Johnson, Ex-Premierminister von Großbritannien
Johnson hat für die Teilnahme an seiner Geburtstagsparty im Frühsommer 2022 eine Ordnungsstrafe erhalten und musste nach einer parteiinternen Rebellion über seinen Führungsstil kurz danach zurücktreten. Die Skandale wurden in einem Untersuchungsbericht der Regierungsbeamtin Susan Gray aufgedeckt.
Während seiner Anhörung wurde der ehemalige Regierungschef immer wieder mit Fotos konfrontiert, die ihn während des Lockdowns bei Feierlichkeiten am Regierungssitz 10 Downing Street zeigen und bei denen offensichtlich Abstandsregeln nicht eingehalten wurden. Johnson rechtfertigte die Zusammenkünfte als „sehr wichtig“ für die Arbeitsmoral und beteuerte, man habe sich so gut wie möglich an die Vorschriften gehalten.
Hat Johnson das Parlament bewusst belogen?
Im Dezember 2021 hatte Johnson im Unterhaus in Westminster noch versichert, dass bei den als „Partygate“ gebrandmarkten Feiern keine Coronaregeln gebrochen worden seien. Dies könnte ihm nun zum Verhängnis werden, sollte das sogenannte „Privileges Committee“ in seinem Abschlussbericht zu dem Urteil kommen, dass der Ex-Premier das Parlament bewusst belogen hat.
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In dem Fall könnte Johnson ein befristeter Ausschluss aus dem Unterhaus und eine Neuwahl in seinem Wahlkreis Uxbridge drohen. Seine politische Karriere wäre am Ende und seine klammheimliche Hoffnung, wie sein Vorbild Winston Churchill noch einmal als Premierminister zurückzukehren, müsste er begraben.
In seiner 52 Seiten umfassenden Verteidigungsschrift, mit der Johnson bereits vor der Anhörung in die Offensive ging, räumt er zwar ein, das Parlament in die Irre geführt zu haben. Zugleich beharrt er jedoch darauf, dass er seine damaligen Angaben stets „in gutem Glauben“ und „auf der Basis meiner ehrlichen Kenntnis“ gemacht habe.
Es gebe „keinerlei Beweise für die Behauptung, dass ich das Parlament absichtlich oder leichtfertig in die Irre geführt habe“. Er sei stets den Einschätzungen seiner Berater gefolgt. Sein damaliger Kabinettschef Simon Case hat jedoch zu Protokoll gegeben, dass weder er noch andere Regierungsbeamte Johnson die Zusicherung gegeben hätten, dass bei den Zusammenkünften gegen keine Regeln oder Anleitungen verstoßen wurde.
Premier Sunak hebt Fraktionszwang auf
Johnson attackierte die von Harman geleitete Untersuchung als „hochgradig parteiisch“. Sein Parteifreund, der konservative Parlamentarier Scott Benton, verurteilte die Anhörung auf Twitter als „Zirkus“. Offenbar soll damit die Untersuchung und ihr Ergebnis unterminiert werden.
Der siebenköpfige Ausschuss, in dem die regierenden Tories die Mehrheit haben, hatte in einer vorläufigen Bewertung der Vorgänge festgestellt, dass die Regelverstöße für Johnson „offensichtlich“ gewesen sein müssten.
Der Parlamentsausschuss will seinen Abschlussbericht in einigen Wochen vorlegen. Danach muss das Parlament über mögliche Konsequenzen abstimmen. Premierminister Rishi Sunak hat bereits angekündigt, dass er den Fraktionszwang für die konservativen Abgeordneten für das Votum über seinen Vorvorgänger aufheben will.
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