Mar 24, 2023
48 Views
Comments Off on Energiepolitik: „Von Ideologie getrieben“ – Der kompromisslose Klimaschützer
0 0

Energiepolitik: „Von Ideologie getrieben“ – Der kompromisslose Klimaschützer

Written by Klaus Stratmann

Berlin Seit Monaten gehört Patrick Graichen zu den gefragtesten Leuten im Bundeswirtschaftsministerium – intern wie extern. Denn der Wirtschaftsstaatssekretär zieht beim Umbau des Energieversorgungssystems die Fäden.

Ob es nun um die akute Krisenbekämpfung im Zuge des Ukrainekriegs geht oder um den Ausbau der Erneuerbaren – Graichen lenkt und leitet und manchmal schießt er auch übers Ziel hinaus. Derzeit muss er dafür sorgen, das Gebäudeenergiegesetz (GEG) bis zur Kabinettsreife zu bringen. Das erweist sich als eine seiner größten Herausforderungen.

Denn der GEG-Entwurf aus den Ministerien Wirtschaft und Bau, der vor ein paar Wochen durchgesickert war, sorgt innerhalb der Koalition und weit darüber hinaus für reichlich Empörung. Von Klimapolitik mit der Brechstange ist die Rede.

Graichens Chef Robert Habeck muss viel Energie darauf verwenden, die Wogen zu glätten. Der Wirtschaftsminister versucht, Probleme mit großzügigen Finanzierungszusagen kleinzureden.

Der Entwurf, über den so heftig gestritten wird, trägt Graichens Handschrift: Die elektrische Wärmepumpe wird zur allein selig machenden Option erhoben. Graichen hat gute Argumente auf seiner Seite. Aber seine Rigorosität, das geplante Aus für neue Öl- und Gasheizungen, sorgt für Verdruss.

>> Lesen Sie auch: Habecks Pläne lassen Energie-Beratungen nach oben schnellen

Als Chef des Thinktanks Agora Energiewende konnte Graichen mit schlüssigen Konzepten brillieren, die aber nie den Praxistest bestehen mussten. Heute kämpft der Staatssekretär mit harten Bandagen, um seine Ziele durchzusetzen.

Verhandlungspartner nehmen ihn als dogmatisch wahr

Einige Verhandlungspartner nehmen ihn dabei als dogmatisch, unnachgiebig und manchmal auch als wenig konziliant wahr. Und das nicht nur hinter verschlossenen Türen.

Legendär wurde Graichens Auftritt bei der Stadtwerke-Tagung des Handelsblatts im Mai vergangenen Jahres. Den Gasnetzbetreibern empfahl Graichen damals, sie sollten schon mal mit den Planungen für den „Rückbau“ ihrer Netze beginnen, denn 2045 werde „natürlich kein Gas mehr in den Netzen sein“.

Diese Bemerkung hallte noch lange nach. Ein Vertreter der Gasbranche warf ihm vor, „von Ideologie getrieben“ zu sein. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), in dem sich die Stadtwerke zusammengeschlossen haben, kritisierte Graichens Bemerkung als „nicht zielführend“. Die Gasnetz-Infrastruktur sei Hunderte Milliarden Euro wert und könne auch bei einer klimaneutralen Energieversorgung „eine wichtige Rolle spielen“, etwa durch die Lieferung von grünem Wasserstoff.

Dahinter verbirgt sich ein Grundsatzstreit, in dem Graichen schon seit Jahren eine eindeutige Rolle spielt. Er vertritt unverrückbar die Position, dass die Elektrifizierung die wichtigste Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität darstellt.

Von Übergängen und Zwischenlösungen will Graichen nichts wissen

Wo immer es geht, soll Strom aus erneuerbaren Quellen fossile Brennstoffe ersetzen, weil es viel effizienter ist. Das gilt für E-Autos wie für elektrische Wärmepumpen.

Wärmepumpe

Die elektrische Wärmepumpe wird zur allein seligmachenden Option erhoben.


(Foto: dpa)

Wasserstoff soll nur dort eingesetzt werden, wo es nach heutigem Stand der Technik absolut keine Alternative gibt, also etwa in der Grundstoffindustrie, im Flug- und Schiffsverkehr oder zum Betrieb von Reservekraftwerken, die immer dann eingesetzt werden, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.

Grundsätzlich dürften viele Graichens Position teilen – allerdings nicht annähernd so kompromisslos. Denn es gibt Übergänge und Zwischenlösungen, spezielle Bedürfnisse und Anwendungen, von denen Graichen nichts wissen will.

So weisen die Betreiber der Gasverteilnetze immer wieder darauf hin, dass sie Zehntausende Industrie- und Gewerbekunden haben, deren Probleme mit Strom nicht zu lösen sind. Diese Kunden brauchen hohe Temperaturen fürs Gießen von Metall, für das Brennen von Keramik, für die Glasproduktion oder fürs Verzinken.

Die Vorstellung, zumindest diese Kunden künftig mit Wasserstoff statt Erdgas zu versorgen und dafür das bestehende Erdgasnetz zu nutzen, ist alles andere als abwegig. Doch Graichen nimmt davon nichts an.

>> Lesen Sie auch: Drohendes Verbot sorgt für Boom bei Öl- und Gasheizungen

Dass Kompromissfähigkeit nicht zu Graichens hervorstechenden Eigenschaften zählt, bekam im vergangenen Jahr auch die deutsche Heizungsindustrie zu spüren. Die Branche war lange der Meinung, man dürfe neben der Wärmepumpe auch andere Techniken nicht von vornherein ausschließen.

Drohung mit der asiatischen Konkurrenz

Graichen drohte nach Angaben von Brancheninsidern unverhohlen damit, die Schleusen für asiatische Wärmepumpen-Hersteller zu öffnen, falls die deutschen Unternehmen nicht dazu bereit seien, sich voll und ganz auf die Produktion von Wärmepumpen festzulegen.

Tatsächlich gab es kurz darauf einen Sinneswandel: Hersteller kündigten neue Produktionskapazitäten für Wärmepumpen an. Graichen hatte sein Ziel erreicht.

Mitfühlend wirkt der Staatssekretär in solchen Situationen nicht. Im Zusammenspiel mit seinem Chef ist Graichen eindeutig der „bad guy“. Minister Habeck übernimmt dagegen den Part des Verständnisvollen – und setzt mitunter die Scherben wieder zusammen, die Graichen verursacht.

So hat sich Graichen lange dagegen gewehrt, sogenannten blauen Wasserstoff, der auf Basis von Erdgas hergestellt wird, als Alternative zu grünem Wasserstoff zu akzeptieren. Bei der Produktion von blauem Wasserstoff wird Kohlendioxid frei, das aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird.

„Graichen weiß nur theoretisch, wie es geht“

Grüner Wasserstoff wird mit Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse hergestellt. Er ist klimaneutral. Erst als Habeck Anfang des Jahres bei einem Besuch in Norwegen blauen Wasserstoff als akzeptable Alternative für den Übergang pries, drehte Graichen bei.

„Graichen weiß nur theoretisch, wie es geht, aber er weiß nicht, wie man die Dinge auch tatsächlich umsetzt“, sagt jemand, der in den vergangenen Monaten viel mit dem promovierten Ökonomen zu tun hatte.

Als Agora-Chef setzte Graichen Maßstäbe. Er skizzierte schon vor Jahren den Weg in die Klimaneutralität. Bereits 2017 legte die Lobbyorganisation die Studie „Wärmewende 2030“ vor, die zu dem Ergebnis kommt, dass bis 2030 in Deutschland sechs Millionen Wärmepumpen verbaut sein müssten, um die Klimaziele zu erreichen. Mittlerweile ist dieser Wert Ziel der Ampelregierung.

Der Übergang von der Powerpoint-Präsentation zur Praxis ist schwer

Agora Energiewende ist ein Taktgeber für die klimapolitische Debatte. Die relativ kleine Organisation mit aktuell gut 100 Mitarbeitenden hat schon unter Graichens Vorgänger Rainer Baake, der nach seiner Zeit als Agora-Chef ebenfalls Wirtschaftsstaatssekretär wurde, Konzepte und Pläne für den Umbau der gesamten Volkswirtschaft vorgelegt, die Graichen nun zur Richtschnur seines Handelns gemacht hat. Abweichungen akzeptiert er nur ungern.

Doch der Übergang von der Powerpoint-Präsentation zur Praxis ist schwer. Im Ministerium verweisen einige auf Baake, dem es viel besser gelungen sei, seine Pläne in die Tat umzusetzen. Baake hatte zu Beginn seiner Zeit als Staatssekretär einen detaillierten Projektfahrplan vorgelegt, den er über die Jahre exakt und pünktlich abarbeitete. Davon kann bei Graichen nicht die Rede sein.

Das Ministerium sei „chaotisiert“, kritisiert ein Lobbyist, der schon viele Stunden in dem Gebäude an der Scharnhorststraße in Berlin-Mitte zugebracht hat. Nun muss man Graichen zugutehalten, dass die Zeiten selten so stürmisch waren. Es gilt, eine massive Energieversorgungskrise zu bewältigen, auf die im Ministerium niemand vorbereitet war.

Allerdings kann man schon jetzt sagen, dass es bei der Bewältigung der Krise nicht immer rundlief. Und dass Graichen seinen Anteil daran hat. Von verschiedenen Seiten hört man immer wieder, er sei in seinem Ministerium der wichtigste Verfechter der Gasabgabe gewesen, die letztlich scheiterte.

Und Industrievertreter werfen ihm vor, die Rettung energieintensiver Unternehmen nur halbherzig betrieben zu haben. Im Grunde seines Herzens freue sich Graichen so sehr über jede eingesparte Tonne CO2, dass er dafür auch den Niedergang ganzer Branchen gern in Kauf nehme.

Mehr: Umstellung der Wärmeversorgung – Das kommt auf Hauseigentümer zu



<< Den vollständigen Artikel: Energiepolitik: „Von Ideologie getrieben“ – Der kompromisslose Klimaschützer >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.