Mar 26, 2023
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Koalitionsausschuss: Die Stillstandskoalition: Wie der Dauerstreit die Ampel lähmt

Written by Heike Anger

Berlin Vor dem Treffen der Koalitionspartner am Sonntagabend ist Robert Habeck (Grüne) bemüht, die Stimmung etwas aufzuhellen. „Wir arbeiten gut miteinander, wir kommen menschlich fein miteinander klar“, sagt der Vizekanzler. Dabei hatte Habeck kurz zuvor noch ordentlich ausgeteilt – und sich prompt wütende Reaktionen von SPD und FDP eingefangen.

Der Koalitionsausschuss am Sonntag soll nun eine Stimmungswende bringen. Immerhin bahnen sich bei einigen Streitthemen wie dem Verbot von Gas- und Ölheizungen oder dem Aus für Benziner und Diesel ab 2035 Kompromisse an.

Und bei der Reform der Fachkräfteeinwanderung und beim Weiterbildungsgesetz, über die lange in der Regierung gestritten wurde, gab es nun sogar eine Einigung. Die Gesetzentwürfe zu beiden Vorhaben sollen nun in die Ressortabstimmung.

Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass sie auch schnell beschlossen werden. Die selbst ernannte Fortschrittskoalition präsentiert sich derzeit häufig als Blockadebündnis. Ein Ministerium bremst das Vorhaben des anderen Ressorts aus. Und da die Konflikte häufig verquickt werden, ist alles blockiert.

Der Regierungsmotor ist jedenfalls ins Stottern geraten. Im Bundeskabinett wurden in diesem Jahr bisher 15 Vorhaben beschlossen, wie ein Regierungssprecher auf Anfrage mitteilt. Im ersten Quartal des vergangenen Jahres, als die Ampel frisch an den Start ging, waren es 20 gewesen. Im gesamten Jahr 2022 kam das Kabinett sogar auf 101 Beschlüsse.

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Derzeit geht es aber bei vielen Projekten nicht voran. Nach einer Umfrage des Handelsblatts unter allen Bundesministerien stecken derzeit mindestens 37 Vorhaben in der Ressortabstimmung. Das Gesundheits- und das Verkehrsministerium machten keine Angaben.

Einige der Gesetzesentwürfe nehmen ihren gewöhnlichen Weg durch die Ressortabstimmung. Viele werden aber auch aufgehalten durch ein Veto eines anderen Ministeriums. Bei mindestens elf Gesetzen in der Ressortabstimmung gibt es Vorbehalte von anderen Häusern, ergab die Umfrage. Die Zahl dürfte noch höher sein, denn etliche Ministerien wollten unter Verweis auf interne Abstimmungsprozesse in der Regierung dazu keine Angaben machen.

Bei vielen der blockierten Gesetze geht es seit Wochen nicht voran. Und das sind längst nicht alle Streitthemen. Andere Projekte haben es noch gar nicht in die Ressortabstimmung geschafft, weil schon bei der sogenannten Frühkoordinierung von anderen Ministerien Vorbehalte angemeldet wurden. Das Handelsblatt beleuchtet die größten Konflikte.

Das Gebäudeenergiegesetz und mutmaßliche Durchstechereien

Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) gehört zu den besonders umkämpften Vorhaben und hat es deshalb bisher noch nicht einmal in die Ressortabstimmung geschafft. Der Gesetzentwurf wurde vom Wirtschaftsministerium und vom Bauministerium erarbeitet. Nachdem er an wenige andere Ressorts zur Frühkoordinierung verschickt wurde, landete das Papier in der Öffentlichkeit.

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Wirtschaftsminister Habeck hat seinen Koalitionspartnern vorgeworfen, den Entwurf absichtlich durchgestochen zu haben, um ihm zu schaden. Tatsächlich bekommt der Wirtschaftsminister viel Kritik zu hören, seit der Gesetzentwurf öffentlich wurde.

Das GEG hat das Ziel, die Wärmewende in Gebäuden voranzutreiben: Ab 2024 sollen nur noch Heizungen eingebaut werden dürfen, die mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. De facto läuft das auf ein Verbot reiner Öl- und Gasheizungen hinaus. Mittel der Wahl ist insbesondere aus Sicht Habecks die elektrische Wärmepumpe.

SPD, Grüne und FDP hatten sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag auf das 65-Prozent-Ziel verständigt. Es sollte zwar erst ab 2025 gelten; angesichts der Energieversorgungskrise des vergangenen Jahres verständigten sich die Koalitionspartner jedoch darauf, das Ziel um ein Jahr vorzuziehen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schneller zu reduzieren.

>> Lesen Sie hier: Grüne und SPD planen Verbot neuer reiner Öl- und Gasheizungen ab 2024

Doch insbesondere den Liberalen geht nun der GEG-Entwurf zu weit. Sie fürchten eine Überforderung von Hauseigentümern und halten die starke Fixierung auf die Wärmepumpe für falsch.

Aber auch seitens der SPD kommt Kritik. Habeck hatte in den vergangenen Tagen versucht, die Wogen zu glätten, indem er zusätzliche Fördermittel in Aussicht stellte. Er sagte zu, dass der Umstieg auf eine Wärmepumpe für Hauseigentümer mit kleineren und mittleren Einkommen ab 2024 nicht teurer werde als eine neue Gasheizung.

Allerdings ist fraglich, woher die Fördermilliarden kommen sollen angesichts der angespannten Haushaltslage. Möglich wäre es den sogenannten Klima- und Transformationsfonds (KTF) zu nutzen. Das Geld müsste dort umgeschichtet werden.

Über all die Details wird derzeit noch zwischen Kanzleramt, Bau-, Wirtschafts- und Finanzministerium beraten. Ob das Thema auch im Koalitionsausschuss eine Rolle spielen und dort möglicherweise schon gelöst wird, blieb bis zuletzt unklar.

Der verschobene Haushalt und teure Wunschlisten

Viele der Streitereien in der Ampel drehen sich ums Geld. Die Wunschlisten in den Ministerien sind deutlich kostspieliger, als es die Haushaltsmittel hergeben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sah sich deshalb vor zwei Wochen zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst: Er verschob die Vorlage der Eckwerte für den Etat 2024 auf unbestimmte Zeit.

Die Ministerien hatten rund 70 Milliarden Euro zusätzlichen Bedarf angemeldet – Geld, das es im Haushalt nicht gibt, wenn wie von Lindner geplant die Schuldenbremse eingehalten werden soll. Nun laufen seit zwei Wochen Gespräche auf verschiedenen Ebenen.

Bundesfinanzminister Lindner

Wunschliste, die 70 Milliarden Euro kosten würde.


(Foto: dpa)

Doch bisher ist keine Einigung in Sicht. Derzeit ergebe sich für „den Haushalt 2024 eine Deckungslücke zur zulässigen Nettokreditaufnahme von 14 bis 18 Milliarden Euro“, heißt es in einem internen Papier des Finanzministeriums aus dieser Woche.

>> Lesen Sie hier: Bundesregierung bereitet Sparpaket vor – internes Papier nennt Deckungslücke

Mittlerweile wird in der Ampelkoalition auch über Einsparmöglichkeiten diskutiert, dazu zählt vor allem die Streichung von umweltschädlichen Subventionen. Ein solches Sparpaket wird aber voraussichtlich nur eine einstellige Milliardensumme bringen.

Letztlich werden die Ministerien deshalb auf Ausgabenwünsche verzichten müssen. Denn die Schuldenbremse soll auf jeden Fall eingehalten werden, das hat auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) deutlich gemacht.
Im Koalitionsausschuss wird der Haushaltsstreit vermutlich nicht gelöst. Wann und in welcher Form eine Einigung gelingen soll, ist offen.

Verhängnisvolle Verquickung: Mietrecht und Vorratsdatenspeicherung

Dass derzeit weder die Reform des Mietrechts noch die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung vom Fleck kommen, dafür machen sich SPD und FDP gegenseitig verantwortlich. Das Skurrile: Beide Vorhaben verbindet rein gar nichts miteinander. Trotzdem scheinen sie verhängnisvoll verflochten.

Wer in der SPD nachfragt, der bekommt zu hören, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verweigere seit Monaten ein Fortkommen im Mietrecht wie etwa die Verlängerung der Mietpreisbremse bis zum Jahr 2029. Dabei müsste da nur eine Zahl getauscht werden.

Das Gesetzesvorhaben diene dem Minister als Druckmittel, um seine „Quick Freeze“ genannte Version einer anlassbezogenen Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen. Also Mieterschutz nur bei Verzicht auf jegliche anlasslose Datenspeicherung. Hochgehalten würden Bürgerrechte, Leidtragende seien die Mieter bei weiterhin stark steigenden Mieten.

>> Lesen Sie hier: Mieterbund warnt „Haushalte mit geringen Rücklagen existenziell bedroht“

Wer sich bei den Liberalen umhört, erfährt, dass der Koalitionsvertrag bei der Vorratsdatenspeicherung als Maßnahme zur Kriminalitätsbekämpfung eindeutig sei. Wenn Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun allzeit Internetadressen speichern wolle, kämen die Dinge eben nicht voran.

Für das Mietrecht sei kein fester Termin vereinbart worden, aber Buschmann lasse natürlich eifrig an der Reform arbeiten. Im Koalitionsausschuss soll das Ganze nicht besprochen werden. Noch setzt der Kanzler darauf, dass Ministerin und Minister ihre Themen selbst entflechten.

Planungsbeschleunigung geht nur langsam voran

Beim Ziel ist sich die Ampel einig: Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen in Zukunft nur noch halb so viel Zeit in Anspruch nehmen wie heute. Doch seit Monaten streiten Grüne und FDP über eine Frage: Soll das generell in Deutschland gelten – und damit auch für Autobahnen – oder nur für grüne Infrastrukturvorhaben?

Autobahn, ICE-Neubaustrecke am Flughafen Stuttgart

Wie schnell darf gebaut werden?

(Foto: imago images/Horst Rudel)

Den Grünen stößt vor allem auf, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bislang wenig unternommen hat, um die Vorgaben aus dem Klimaschutzgesetz einzuhalten. Auch lehnen es die Grünen ab, grundlegend alle Straßenprojekte schneller umzusetzen.

>> Lesen Sie mehr: Länder drängen auf schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren

Wissing hatte auf Wunsch des Kanzleramtes schon vor Wochen einen Kompromiss eingebracht. Er sah vor, zunächst die 4000 maroden Brücken auf Autobahnen schneller zu sanieren und zu erweitern sowie Engpässe im Autobahnnetz zu beseitigen. Womöglich hätte es auch den einen oder anderen „Lückenschluss“ gegeben, was die Grünen indes anders definieren als die FDP.

Dem Kanzler, der ein neues „Deutschland-Tempo“ beschwört, ist an einer Einigung gelegen. In der Ampel gilt es als nicht ausgeschlossen, dass die Planungsbeschleunigung zu den Themen zählt, bei denen SPD, Grüne und FDP nach dem Koalitionsausschuss ein Ergebnis verkünden können.

Eine ewige Verzögerung ausgerechnet beim Thema Planungsbeschleunigung lasse sich kaum mehr vermitteln, heißt es in der Koalition.

Mehr: Das verborgene Machtgetriebe der Ampel: Drei hohe Staatsbeamte halten die Koalition am Laufen



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