Brüssel Lateinamerika war lange nur ein Nebenschauplatz der deutschen Außenpolitik, das ändert sich jetzt. Im Januar machte Kanzler Olaf Scholz in Argentinien, Chile und Brasilien Station. Vor ein paar Wochen besuchten Vizekanzler Robert Habeck und Agrarminister Cem Özdemir (beide Grüne) den Amazonas-Regenwald.
Die zuvor vernachlässigte Region gilt auf einmal als Schlüsselpartner bei dem Versuch, Europa aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China zu lösen und Ersatz für Rohstoffe aus Russland zu finden.
Daher ist auch schon das nächste wichtige Datum anvisiert: Bis zum 27. Juni soll das Freihandelsabkommen stehen, das die Handelsbarrieren zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay abbauen soll.
Das zumindest ist der Plan der Kommission, die für die Handelspolitik der Union zuständig ist: Sie verhandelt mit den Mercosur-Ländern derzeit über eine Zusatzerklärung, die dem Abkommen zwar rechtlich gleichgestellt sein soll, den schon 2019 ausgehandelten Vertrag selbst aber nicht noch einmal aufschnürt. Damit sollen vor allem die Regelungen zur Nachhaltigkeit und dem Schutz der indigenen Bevölkerung verbessert werden.
Die Idee ist es, auf diese Weise Kritiker des Handelspakts zu besänftigen. „Wir haben auch viel zu gewinnen“, betont ein ranghoher EU-Beamter. Vier Milliarden Euro an Zöllen würden jährlich entfallen, besonders in den Branchen Automobil, Maschinenbau und Chemie.
Die südamerikanischen Staaten mahnen zur Eile
Auch die Südamerikaner mahnen zur Eile, vor allem Brasilien und Argentinien. In Südamerika nähmen die Sorgen vor einer wachsenden Abhängigkeit von China zu, erläutert der EU-Beamte. Der Handelsvertrag mit Europa könne ein Gegengewicht bilden.
Ein erster Entwurf der geplanten Zusatzerklärung kursiert in Brüssel und Berlin bereits, er liegt auch dem Handelsblatt vor. Besonders aussagekräftig sei das Dokument aber nicht, sagt Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses des EU-Parlaments. „Es handelt sich noch um eine sehr frühe Fassung.“ Erst im April rechnet Lange mit einer detaillierten Version, die Rückschlüsse über den Verhandlungsstand erlaubt.
Kritiker des Abkommens sehen sich allerdings schon jetzt in ihrem Verdacht bestätigt, dass die Zusatzvereinbarung „Augenwischerei“ sei. Die Erklärung enthalte „keine weiteren Durchsetzungsinstrumente, sodass das Nachhaltigkeitskapitel weiterhin als einziges Kapitel vom sanktionsbewehrten Streitbeilegungsmechanismus ausgenommen wäre“, sagt Armin Paasch, Handelsexperte vom Hilfswerk Misereor.
Tatsächlich ist die Frage, wie die Einhaltung von vereinbarten Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards überwacht werden kann, für die Akzeptanz des Abkommens in Europa entscheidend. Das weiß auch die Kommission. Auf Sanktionsregelungen will die Brüsseler Behörde dennoch nicht bestehen.
Wie können Nachhaltigkeitsregeln überwacht werden?
„Wir halten das für keinen guten Ansatz“, betont der Beamte. Auch EU-Parlamentarier Lange argumentiert, dass es darum gehen müsse, sich mit den Mercosur-Staaten auf „partnerschaftliche Überwachungsmöglichkeiten“ zu verständigen. Satelliten könnten Alarm schlagen, sollte die Abholzung des Regenwalds zunehmen. Kontrolleure könnten ausgesandt werden, um sich ein genaues Lagebild zu verschaffen. Allerdings sollten die Europäer „nicht mit erhobenem Zeigefinger“ auftreten, mahnt Lange.
Das Problem: Die deutsche Regierungskoalition hat im vergangenen Sommer beschlossen, dass Handelsverträge mit Sanktionsmöglichkeiten verbunden werden müssen. In dem Beschluss heißt es zwar, dass das nur für künftige Handelsverträge gilt. Der EU-Beamte berichtet allerdings, dass es im grün-geführten Bundeswirtschaftsministerium durchaus Stimmen gebe, die auch bei Mercosur gern ein Sanktionsinstrument sehen würden. Es seien „sehr robuste Diskussionen“ im Gang.
Aus deutschen Regierungskreisen ist inzwischen aber zu hören, dass man nicht mehr der Bremser sein wolle und sich mit der Zusatzerklärung wohl grundsätzlich zufriedengeben würde.
In anderen EU-Staaten stößt das Abkommen auf stärkere Vorbehalte. Die Niederlande fordern, den Agrarbereich auszuklammern – was für die Südamerikaner vollkommen inakzeptabel wäre. Auch aus Österreich und Frankreich kommt Widerstand.
Abschluss wäre für die EU-Kommission ein großer Erfolg
Sollte es bis zum Sommer dennoch gelingen, das Abkommen unter Dach und Fach zu bringen, wäre das für die EU-Kommission ein großer Erfolg – und würde ihren geopolitischen Gestaltungsanspruch untermauern. Die Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten haben sich insgesamt 20 Jahre lang hingezogen, es entstünde die größte Freihandelszone der Welt.
„Sowohl ökonomisch als auch geopolitisch spricht alles für die Ratifizierung“, sagt David McAllister (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments. „Das wäre ein starker Akzent für multilaterale Zusammenarbeit und gegen den Protektionismus.“
Um den Deal durchzubekommen, will die Kommission offenbar auf einen bewährten Kniff zurückgreifen: Sie plant, den Handelsteil des Abkommens vom politischen Teil abzuspalten. Das würde es erlauben, die ökonomisch wichtigen Passagen mit Zustimmung des EU-Parlaments in Kraft zu setzen. Einzelne Mitgliedstaaten könnten den Vertrag nicht aufhalten.
Mehr: Scholz in Argentinien, Chile, Brasilien: Scheitert die größte Freihandelszone der Welt an der EU?
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