Berlin Die Aufregung war groß, als Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) 2021 ein anonymes Meldeportal für Steuerbetrug ankündigte. Die Union sah „Denunziantentum“ begünstigt, die FDP sprach von einer „Blockwart-Mentalität“. Bayaz erlebte einen Shitstorm und brauchte Polizeischutz.
Das Fazit fällt differenziert aus: Über das Steuerportal bekommen die Behörden zusätzliche Hinweise auf potenziellen Steuerbetrug. Die Meldungen haben aber bislang keine höhere Qualität als die „analogen“ anonymen Hinweise, zum Beispiel per Brief. Eine Handelsblatt-Umfrage zeigt derweil, dass weitere Bundesländer bereits an eigenen Meldeportalen arbeiten – Baden-Württembergs Vorstoß findet Zuspruch.
Konkret gingen über das anonyme Portal 3068 Hinweise ein, teilte das baden-württembergische Finanzministerium dem Handelsblatt auf Anfrage mit. 579 Eingaben erfolgten auf anderem Weg.
Durch Meldungen über das Portal wurden insgesamt 89 Verfahren eingeleitet. Das betrifft Steuerstrafverfahren der Steuerfahndung wie auch der Straf- und Bußgeldstellen. Die Strafverfolgungsquote lag also bei 2,9 Prozent. Bei den übrigen Wegen betrug die Quote im selben Zeitraum hingegen 6,6 Prozent.
Baden-Württemberg sichert sich 850.000 Euro an Steuern durch Hinweise
Das Finanzministerium erklärte: „Die Qualität der Hinweise ist online nicht unbedingt besser, aber wir haben eben durchaus auch relevante Hinweise erhalten.“ Viele große Fälle von Steuerbetrug seien in der Vergangenheit durch anonyme Whistleblower aufgedeckt worden. Der Vorteil des Portals liege darin, dass auch anonymisierte Rückfragen möglich seien. Ein Vorteil, schließlich kann der Absender eines anonymen Briefs kaum ermittelt werden.
Die Qualität der Hinweise ist online nicht unbedingt besser, aber wir haben eben durchaus auch relevante Hinweise erhalten. Finanzministerium Baden-Württemberg
Insgesamt konnten in Baden-Württemberg durch alle Hinweise im Jahr 2022 knapp 850.000 Euro an Steuern mehr eingenommen werden. Das Finanzministerium schlüsselt das Mehrergebnis allerdings nicht nach Meldewegen auf, weil es das Onlineportal als „ergänzendes Element“ der bisherigen Wege sieht. Die Zahl ist noch vorläufig, da nicht alle Verfahren abgeschlossen sind.
Bundesweit werden jährlich schätzungsweise Steuern im Umfang von rund 50 Milliarden Euro hinterzogen. Bislang können Bürger Hinweise auf Steuerbetrug bei den Behörden nur persönlich abgeben, per Brief oder E-Mail senden oder telefonisch mitteilen. Das geht allerdings auch anonym.
Das Meldeportal stellt für Baden-Württemberg also eine zusätzliche Möglichkeit dar, um mutmaßliche Steuervergehen bei der Finanzverwaltung zu melden.
Trotz aller Kritik betonte Finanzminister Bayaz stets, dass das Instrument des anonymen Hinweises „grundsätzlich richtig und wichtig beim Kampf gegen Steuerbetrug“ sei. Schon ein richtiger Hinweis allein könne Hunderttausende Euro an hinterzogenen Steuern einbringen.
Weitere Portale in Planung
Tatsächlich ziehen nun auch andere Bundesländer nach. So teilte Schleswig-Holstein auf Anfrage mit, dass sich CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt haben, ein „zentrales digitales Postfach für eingehende Steuerbetrugsanzeigen“ einzurichten.
Das Finanzministerium prüfe derzeit die technische Umsetzung. Zudem werde auch im Bereich der Geldwäsche zusammen mit dem Innen- und dem Justizministerium ein Online-Hinweisgeberportal eingerichtet.
In Niedersachsen hat die Koalition von SPD und Grünen ebenfalls ein digitales Meldeportal für Steuerdelikte als Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Das zuständige Landesamt arbeite bereits an einem Konzept, hieß es beim niedersächsischen Finanzministerium, das auf „positive Erfahrungen“ aus Baden-Württemberg verwies.
Der niedersächsische Finanzminister Gerald Heere (Grüne) sagte dem Handelsblatt: „Bei der technischen Umsetzung werden wir besonders darauf achten, die Anforderungen an die Wahrung des Steuergeheimnisses und des Datenschutzes zu gewährleisten.“
Schätzungsweise
50
Milliarden Euro
Steuern sollen pro Jahr in Deutschland hinterzogen werden.
Im Bremen hat die Bürgerschaft, also das Landesparlament, gerade per Antrag den rot-grün-roten Senat aufgefordert, ebenfalls ein anonymes Hinweisgeberportal einzurichten. Hier hieß es, das Finanzministerium stehe in engem Kontakt mit Baden-Württemberg und lasse sich über die dortigen Ergebnisse informieren.
NRW und Hessen sind noch skeptisch
Auch in Hamburg analysiert die Regierung aus SPD und Grünen nach eigenen Angaben derzeit die im Südwesten gemachten Erfahrungen. Dies geschehe vor allem mit Blick auf das noch ausstehende Gesetz, mit dem Deutschland die EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz (Whistleblower-Richtlinie) umsetzen wird. Wäre darin die Einrichtung eines Meldeportals enthalten, werde sich die Hansestadt „einer solchen Vorgabe nicht verschließen“.
Die schwarz-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen sieht ein Online-Meldeportal indes skeptisch. Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) sagte: „In Nordrhein-Westfalen kann man bei jedem der 129 Finanzämter alle Hinweise geben, die man geben will – egal, ob anonym oder persönlich, ob schriftlich oder telefonisch.“ Der Bedarf für ein zusätzliches Hinweisportal sei „nicht erkennbar“.
Ähnlich äußert sich die schwarz-grüne Landesregierung von Hessen. Hier gebe es gegenwärtig keine Überlegungen, ein anonymes Hinweisgebersystem für Finanzämter zu schaffen, hieß es.
Die Landesregierung in NRW plant kein Hinweisportal für Steuerbetrug, erklärte der Finanzminister.
Der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Florian Köbler, lobte den Schritt Baden-Württembergs als „mutig“. Dass nun andere Länder nachzögen, sei als „positiver Trend“ zu bewerten.
Köbler sagte dem Handelsblatt: „Mit einem Meldeportal entsteht kein Online-Steuerpranger.“ Alle forderten die Digitalisierung der Verwaltung. Auch die Steuerverwaltung müsse also für die Bürger digital erreichbar sein. „Der analoge Weg ist dadurch ja nicht tabu“, erklärte Köbler.
Durch die digital übermittelten Daten könnten Steuerbehörden viel investigativer agieren. Künftig ließen sich Meldungen über Steuerbetrug sicherlich sogar per Künstlicher Intelligenz (KI) analysieren.
Mehr: Unions-Länder stoppen besseren Schutz von Whistleblowern.
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