Mar 30, 2023
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Ukraine-Krieg: Kritik an UN: Im April stellt Russland den Präsidenten des Sicherheitsrats

Written by Mareike Müller

Riga Mehr als ein Jahr ist es her, dass am 24. Februar 2022 russische Panzer über die Grenze in die Ukraine rollten – während zeitgleich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN), das höchste sicherheitspolitische Gremium der Welt, in New York unter russischem Vorsitz tagte. An diesem Samstag nun übernimmt die Russische Föderation erneut für einen Monat die Präsidentschaft.

Laut Charta der Vereinten Nationen trägt der Sicherheitsrat die „Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“. Doch Russland wird die turnusgemäße einmonatige Präsidentschaft stattdessen als Gelegenheit nutzen, die eigenen nationalen Interessen voranzutreiben, fürchten Experten.

Seit jeher wird die UN dafür kritisiert, dass die fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat – China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA – durch ihre Vetomacht Beschlüsse blockieren können, die den eigenen Interessen im Wege stehen.

Dass mit Russland nun ein Staat den Vorsitz hat, gegen dessen Präsidenten mittlerweile ein internationaler Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vorliegt, sehen viele Kritiker als neue Stufe der Absurdität.

So schrieb der Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld von der US-Eliteuni Yale jüngst, es solle dem russischen Präsidenten Wladimir Putin schlichtweg nicht erlaubt sein, „sich über die internationale Diplomatie lustig zu machen, indem er zum Gesicht des Weltfriedens wird, während er seine ungerechte Invasion in der Ukraine täglich mit neuen Angriffen eskaliert“. Der potenzielle Schaden sei kaum zu überschätzen.

„Russland wird die Präsidentschaft nicht ungenutzt lassen“

Normalerweise sei der Vorsitz „eher eine formale Sache“, sagt Manuela Scheuermann, Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Die Präsidentschaft beinhaltet beispielsweise die Leitung der Sitzungen, Entscheidungen über deren Beginn und Ende sowie die Hoheit über die Tagesordnung und darüber, welche Entwürfe diskutiert werden.

>> Lesen Sie hier: Ohnmacht in der Schaltzentrale – Wie viel Sinn hat ein Weltsicherheitsrat noch?

„Aber Russland wird die Präsidentschaft nicht ungenutzt lassen“, ist Scheuermann überzeugt. Sebastian Hoppe, Russlandexperte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, weist darauf hin, dass Russland in diesem Zeitraum mehr Möglichkeiten habe, bestimmte Themen auf die Tagesordnung zu setzen – „und damit auch in Teilen mitzubestimmen, was medial diskutiert wird“.

Scheuermann sieht die Präsidentschaft daher in erster Linie als eine Bühne für den Kreml, seinem Narrativ des Krieges Gehör zu verschaffen. Russland könne beispielsweise vermehrt Rednerinnen und Redner einladen, die die eigene Sichtweise untermauern.

UN-Sicherheitsrat

Der Vorsitz im Sicherheitsrat wechselt jeden Monat, alphabetisch nach der Reihenfolge der Mitglied- und Beobachterstaaten.


(Foto: dpa)

Außerdem könne der von dem Ratsmitglied eingesetzte Präsident bei unliebsamen Themen schlichtweg die Sitzung beenden. Scheuermann hält es zudem nicht für ausgeschlossen, dass Russland eine eigene Resolution zum Krieg in der Ukraine einbringt, um die Ukraine fälschlicherweise als Aggressor darzustellen.

>> Lesen Sie hier: Bund reserviert Milliarden für die Ukraine

Der Vorsitz im Sicherheitsrat wechselt jeden Monat, nach der Reihenfolge der Mitglieds- und Beobachterstaaten im Alphabet. Dabei wird die englische Bezeichnung der Länder verwendet. Zu den fünf ständigen kommen zehn nicht ständige Mitglieder, darunter derzeit unter anderem Albanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ecuador. Bis einschließlich Freitag hat den Vorsitz noch Mosambik. Im Gegensatz zu den ständigen Mitgliedern haben die nicht ständigen Mitgliedstaaten kein Vetorecht.

Eine wichtige Rolle fällt dabei dem Präsidenten zu. Dieses Amt bekleidet im April der russische Diplomat Wassili Nebensja. Der 61-Jährige ist Absolvent von Russlands Diplomatenakademie MGIMO. Von 2013 bis 2016 war er stellvertretender Außenminister Russlands, seit 2017 ist er Botschafter bei den Vereinten Nationen. Nebensja gilt als Hardliner, bekannt für verbale Attacken.

Reform des Rats scheint verfrüht

Russlandexperte Hoppe erinnert an Russlands letzten Vorsitz im Februar 2022. „Im Vorfeld des Angriffs nutzte Russland den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat ganz gezielt, um Stimmung gegen die Ukraine zu machen“, erklärt der Wissenschaftler. Hoppe geht davon aus, dass Russland den Vorsitz im April unter anderem dazu nutzen wird, um sich „in irgendeiner Form gegen die Sanktionen auszusprechen“.

Für ihn wirft die Situation auch ein Schlaglicht auf ein grundlegendes Problem der Vereinten Nationen. „Die Situation ist natürlich absurd: Während die UN-Vollversammlung den russischen Angriff mit großer Mehrheit verurteilt, hat der Aggressorstaat den Vorsitz im Sicherheitsrat“, sagt Hoppe.

Kämpfe um Bachmut

Ein Großteil der UN verurteilt den russischen Angriffskrieg.


(Foto: dpa)

Eine Reform des Rats zum jetzigen Zeitpunkt hält er aber nicht für vielversprechend. Langfristig solle über eine Neugestaltung nachgedacht werden, aber „jetzt ist nicht der richtige Moment“, sagt Hoppe. Würde Russland jetzt ausgeschlossen, könnte die Regierung das nutzen, um Stimmung gegen den Westen zu machen, meint er.

Doch auch so bleibt der Rat ein wichtiges Instrument für Moskau. Russland schaue „ganz genau, welche Machtoptionen es auf internationaler Ebene noch hat“, erklärt der Forscher. „Die Hebel schwinden, aber der Sitz und nun der Vorsitz im Sicherheitsrat ist einer davon.“

Um Russland diesen Hebel zu nehmen, ruft die NGO Atlas derzeit zur Aktion „UN Boycott Russia“ auf. Das Ziel: Russland soll keinerlei Handlungsspielraum während der Präsidentschaft haben. Dafür müssten mindestens sieben der 15 Mitglieder den Sicherheitsrat den ganzen April über boykottieren, wodurch Entscheidungen in vielen Fragen unmöglich wären.

UN-Expertin Scheuermann sieht in der Initiative eine Möglichkeit, Russland die Bühne zu nehmen, „und genau darum geht es dem Land ja“. Ob sich genug Staaten anschließen, sei aber fragwürdig.

Der Sicherheitsrat wird im Ukrainekrieg immer wieder zum Nebenschauplatz. Erst am Montag war Russland mit seiner Resolution für eine Untersuchung der Explosionen an den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 gescheitert, weil sich zu viele Staaten enthalten hatten.

Der Beschluss hätte UN-Generalsekretär António Guterres aufgefordert, eine unabhängige internationale Untersuchung zu dem mutmaßlichen Sabotageakt einzuleiten. Viele Staaten hielten den Antrag für politisch motiviert. Am Sonntag hatte Kiew dann als Reaktion auf Putins Ankündigung, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren, eine außerordentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrats gefordert.

Mehr: Wie die ukrainische Gegenoffensive ablaufen könnte



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