Mar 29, 2023
63 Views
Comments Off on Bundesregierung: Niederlage für die Grünen, Triumph für die Liberalen? Wie der Koalitionsausschuss die Ampel entzweit
0 0

Bundesregierung: Niederlage für die Grünen, Triumph für die Liberalen? Wie der Koalitionsausschuss die Ampel entzweit

Written by pinmin

Berlin Am Tag nach dem Koalitionsausschuss bemüht sich die Grünen-Spitze mit allen Kräften, die Unzufriedenheit in der Partei über die Beschlüsse wieder einzufangen. „Lasst euch nicht verunsichern“, twitterte Parteichef Omid Nouripour noch in der Nacht zu Mittwoch. Auch wenn manches Ergebnis nicht gut sei, man komme beim Klimaschutz voran. „Entgegen mancher Enten haben wir weder die Sektorziele abgeschafft, noch werden wir neue Autobahnen bauen“, schrieb er.

Das sehen nicht alle in der Partei so, im Gegenteil. Von einer Niederlage ist die Rede – der Vorwurf lautet, gemeinsam mit SPD und FDP den Klimaschutz aufgeweicht zu haben. Und die Frage steht im Raum, warum die Grünen nicht mehr erreichen konnten.

Tatsächlich machen die Vorgänge im Koalitionsausschuss deutlich, dass sich die Macht in der Ampel neu sortiert. Bisher war es die FDP, die sich als Außenseiter in dem Bündnis fühlte, als liberale gegen zwei linke Parteien. Doch beim Klimaschutz, um den nun vor allem gerungen wurde, gilt diese Konstellation offensichtlich so nicht mehr. Nun sprechen Sozialdemokraten und Liberale gleichermaßen vom „pragmatischen Klimaschutz“. Nach der heftigen Kritik am geplanten Neuinstallationsverbot von Gas- und Ölheizungen sowie dem gescheiterten Klima-Volksbegehren in Berlin eint beide Parteien die Überzeugung, dass man Bürger und Unternehmen nicht überfordern dürfe.

Nach dem Koalitionsausschuss loben viele FDP-Politiker auffällig oft Kanzler Olaf Scholz (SPD). Bei den Grünen hingegen ist der Frust über Scholz groß. Er habe klargemacht, dass er beim Klimaschutz eindeutig nicht an der Seite der Grünen stehe, sagte ein ranghoher grüner Regierungsvertreter. „Vom Klimakanzler sei nichts mehr übrig.“ Scholz treibe offensichtlich die Sorge um sein Amt um, sodass er bei jeder Gelegenheit auf die Seite der FDP springe.

Die Konflikte zeigen sich ganz besonders beim Verkehrssektor, einer der größten Klimaschutz-Baustellen. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) wird seit Wochen hart von den Grünen kritisiert, weil er seine Klimaziele verfehlt. Doch zum Ärger vieler Umweltschützer hat der Koalitionsausschuss nicht etwa den Druck auf Wissing erhöht, sondern die Vorgaben im Klimaschutzgesetz gelockert.

Streitpunkt Verkehr

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kassem Taher Saleh sprach gegenüber dem Handelsblatt deswegen von einer „Verwässerung des Klimaschutzgesetzes“. Das seien „bittere Zugeständnisse“. „Für unsere Projekte zahlen wir in dieser Koalition doppelt und dreifach“, sagte Taher Saleh. „Weder die SPD noch die FDP setzen sich für einen echten Klimaschutz ein.“

Eine bittere Pille aus grüner Sicht ist ebenfalls, dass die Beschlüsse schnellere Planungsverfahren nicht nur für Bahn, Stromnetze und erneuerbare Energien, sondern auch für 144 Autobahnprojekte vorsehen. Das zerstöre „wertvolle Ökosysteme“ und werde noch mehr Emissionen verursachen, twitterte die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger. Der Widerstand werde im Parlament weitergehen. Auch die Deutsche Umwelthilfe sprach von einem verheerenden Beschluss – den Beschwichtigungsversuchen der Grünen-Spitze zum Trotz.

>> Lesen Sie mehr: „Die richtige Auseinandersetzung am falschen Ort“ – Lützerath bringt Grünen-Spitze in Erklärungsnot

Die Co-Vorsitzende Ricarda Lang gab zu, dass es sich um einen „schmerzhaften Kompromiss“ handle. Es gebe allerdings auch Erfolge etwa, dass der geplante CO2-Aufschlag auf die Lkw-Maut zu 80 Prozent in den Ausbau des Schienennetzes fließe. Man breche endlich mit dem Grundsatz „Straße finanziert Straße“. Als Erfolg sieht sie auch, dass das Gebäudeenergiegesetz noch vor Sommer kommt.

Zufrieden sei sie mit dem Ergebnis insgesamt aber nicht. Ihre Partei kämpfe in der Koalition „oft ziemlich alleine“ für mehr Klimaschutz.

Auch Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) meldete sich am Mittwochnachmittag mit einer Videobotschaft auf dem Twitter-Profil seines Ministeriums zu Wort. Er rechne nicht damit, dass die Schritte für mehr CO2-Einsparungen im Verkehrsbereich ausreichten, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Das sei für ihn besonders unbefriedigend, sagte Habeck. „Aber das muss man klar sagen: Mehr ist in dieser Koalition nicht möglich.“

Der Grünen-EU-Abgeordnete Rasmus Andresen stellte gar die Koalition infrage. „Wenn man in einer Koalition jede klimapolitische Maßnahme gegen den Bundeskanzler durchsetzen muss, kann diese Zusammenarbeit auf Dauer nicht erfolgreich sein“, schrieb er auf Twitter.

„Vom Klimakanzler ist nichts mehr übrig“

SPD und FDP gegen die Grünen – das war nach Angaben von Vertretern aller drei Parteien immer wieder die Konstellation in den 31-stündigen Verhandlungen. Dass es so lang dauerte im Koalitionsausschuss, hat laut Sozialdemokraten und Liberalen vor allem an den Grünen gelegen. Immer wieder hätten sich die Vertreter der Öko-Partei zu internen Beratungen zurückgezogen, um sich mit ihrem „grünen Wächterrat“ im Hintergrund abzustimmen.

Die Grünen seien in den Verhandlungen zwischen ihren beiden Lagern hin- und hergerissen gewesen: den pragmatischen Realos, die wollen, dass die Regierung erfolgreich arbeitet. Und dem grünen Stammklientel, das Hand in Hand mit den grünen Vorfeldorganisationen für wirksamen Klimaschutz kämpft und findet, dieses übergeordnete Ziel dürfe nicht dem Pragmatismus zum Opfer fallen. „Nicht für die FDP, sondern für die Grünen ist der Weg in diese Regierung am weitesten“, sagt ein Regierungsmitglied.

>> Lesen Sie hier: Führende Ökonomen loben die Ampel-Beschlüsse

Besonders Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) habe in den Verhandlungen einen schweren Stand gehabt, heißt es bei SPD und FDP. Immer wieder sei er mit „unmöglichen Missionen“ in die Verhandlungsrunden geschickt worden. So machten die Grünen in der Runde im Kanzleramt plötzlich den Vorstoß, doch die Pendlerpauschale abzuschaffen. Das wiesen SPD wie FDP sofort brüsk zurück.

Schwierige Wochen für die Koalition

Meinungsunterschiede gibt es in der Koalition auch, ob der Koalitionsausschuss gut vorbereitet wurde. Innerhalb der Grünen-Partei gab es hinter den Kulissen Kritik an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD). Dass die Verhandlungen so zäh abgelaufen seien, habe auch an der nicht optimalen Vorbereitung des Bundeskanzleramtschefs gelegen, heißt es aus der Ökopartei.

Dort hatte man sich zuvor schon auf Schmidt eingeschossen. Die Grünen vermuten, der Kanzleramtschef habe Habecks Gesetzentwurf zum Verbot von Gas- und Ölheizungen geleaked, um den Vizekanzler dumm aussehen zu lassen.

Vor allem in den letzten Stunden des Koalitionsausschusses ging es chaotisch zu. Kanzler Scholz hatte nicht verschiebbare Termine, empfing etwa den Präsidenten Kenias und musste deshalb die Sitzung drei Stunden vor ihrem eigentlichen Ende verlassen.

In der Pressekonferenz mit Kenias Präsident William Ruto schürte Scholz, angesprochen auf den noch laufenden Koalitionsausschuss, dann hohe Erwartungen. Es werde „sehr, sehr, sehr gute Ergebnisse“ geben, die manchen auch ein „bisschen überraschen“.

Regierungsvertreter verfolgten die Ankündigungen des Kanzlers verwundert bis verärgert. Denn ihnen war zu diesem Zeitpunkt lange klar, dass das Paket keine wirklichen Überraschungen enthalten würde.

Zwar setzen die beiden Koalitionspartner darauf, dass die Grünen trotz der Kritik aus den eigenen Reihen die Beschlüsse mittragen werden. Allerdings befürchtet man bei SPD und FDP, dass die Ergebnisse vom Dienstagabend die festgefahrenen Haushaltsverhandlungen nochmals erschweren.

„Die Grünen werden denken, sie brauchen jetzt dringend mal einen großen Erfolg, und noch mehr auf ihre Projekte wie die Grundsicherung oder Geld für Klimaschutz pochen“, sagt ein Regierungsmitglied. Auf Finanzminister Lindner dürften also schwierige Wochen zukommen.

Mehr: Die Ergebnisse des Koalitionsausschusses sind eine Entzauberung der Grünen



<< Den vollständigen Artikel: Bundesregierung: Niederlage für die Grünen, Triumph für die Liberalen? Wie der Koalitionsausschuss die Ampel entzweit >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.

Article Categories:
Politik

Comments are closed.