Düsseldorf, Tokio, Bangkok Mehr als eine halbe Milliarde Menschen und fast ein Sechstel der globalen Wirtschaftsleistung: So groß wird der Umfang des Freihandelsbündnisses CPTPP sein, wenn Großbritannien in den kommenden Monaten in den Handelsblock aufgenommen wird. Dass der Weg bis zum offiziellen Beitritt nur noch Formsache ist, verkündete der britische Premierminister Rishi Sunak in der Nacht auf Freitag: Er gab die entsprechende Einigung mit den bisherigen elf Gründungsmitgliedern bekannt.
Für Großbritannien wird das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) zum wichtigsten Handelsbündnis seit dem Brexit. Langfristig könnte die britische Wirtschaftsleistung mit dem Beitritt um jährlich rund zwei Milliarden Euro steigen, erklärte die Regierung in London.
Doch gestärkt wird durch die Aufnahme der sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt auch das Handelsbündnis CPTPP selbst. Der Ende 2018 in Kraft getretene Handelsblock sollte ursprünglich auch die USA beinhalten und litt von Beginn an unter dem wirtschaftlichen Bedeutungsverlust, nachdem die US-Regierung unter Donald Trump einen Beitritt ablehnte.
Nun wächst das Interesse an dem Handelsbündnis aber wieder deutlich. Neben den Briten wollen mehrere andere Länder Teil des Blocks werden, diskutiert wird ein Beitritt auch in der Schweiz.
>> Lesen Sie hier: Warum die EU die Abkopplung von China nicht schafft
„CPTPP könnte zu einer Keimzelle für ein überregionales Handelsabkommen mit modernen Standards werden, die über WTO-Regeln hinausgehen“, sagt Jürgen Matthes, der beim Institut der deutschen Wirtschaft den Bereich Globale und regionale Märkte leitet. Dies gelte insbesondere mit Blick auf Regeln gegen unfaire Wettbewerbsverzerrungen, wie sie vor allem von China ausgingen.
Mittelfristig wäre es Matthes zufolge für CPTPP aber wichtig, dass sich die USA doch noch zu einem Beitritt entschließen – und auch die Europäer. „Die EU sollte eine Mitgliedschaft ernsthaft prüfen“, sagt er.
CPTPP reicht von Australien nach Peru
Mit der Erweiterung könnte CPTPP an Bedeutung gegenüber der anderen großen Freihandelszone im Raum Asien-Pazifik gewinnen, dem Bündnis Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP). RCEP ist inhaltlich weniger ambitioniert, umfasst aber ein deutlich größeres Gebiet – und vereint unter anderem China, Japan und Südkorea erstmals in einem Freihandelsabkommen.
Sanchita Basu-Das, Volkswirtin der Asiatischen Entwicklungsbank, etwa sieht bei der wirtschaftlichen Tragweite der Handelsverbünde deshalb RCEP vor CPTPP. Dass der Handelsblock nach dem Ausscheiden der USA überhaupt zustande kam, geht unter anderem auf Japans damaligen Ministerpräsidenten Shinzo Abe zurück. Er überzeugte die verbleibenden Staaten, die CPTPP ohne die USA ins Leben zu rufen.
>> Lesen Sie hier: Europa und die USA haben die historische Chance, einen machtvollen Block zu bilden
Bislang umfasst die Freihandelszone Australien, Kanada, Chile, Mexiko, Japan, Brunei, Malaysia, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam. Die meisten Länder sind in mehreren Handelsabkommen vertreten. Unternehmen vor Ort können sich aussuchen, welches der vielen bi- und multilateralen Abkommen in der Region sie nutzen, um die größtmöglichen Vorteile zu erzielen.
Mitsubishi Fuso etwa, die japanische Tochtergesellschaft von Daimler Trucks, nutzt für ihren Handel mit südostasiatischen Staaten ein bilaterales Abkommen zwischen Japan und dem südostasiatischen Staatenbund Asean. Für das europäische Werk Fusos in Portugal, wo der Kleinlaster Canter produziert wird, komme die Wirtschaftspartnerschaft zwischen der EU und Japan zum Tragen, erklärt Karl Deppen, Chef von Daimler Trucks Asia.
RCEP ist vor allem für den Export von Industriemotoren nach China interessant. Und CPTPP nutzt Mitsubishi Fuso hauptsächlich für Lieferungen nach Mexiko, in geringerem Maße auch für regionale Märkte wie Chile und Peru.
Handel zwischen CPTPP-Ländern nimmt zu – Vietnam einer der größten Profiteure
Die CPTPP-Mitgliedsländer sind zufrieden mit der bisherigen Bilanz. CPTPP habe Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern die erhofften wirtschaftlichen Vorteile gebracht, sagte Singapurs Handelsminister Gan Kim Yong Ende vergangenen Jahres, als er Vertreter der beteiligten Staaten empfing. Er verwies auf die deutliche Zunahme des Handels zwischen den CPTPP-Ländern. Allein zwischen 2019 und 2021 habe sich das Handelsvolumen innerhalb des Blocks von 467 Milliarden auf 535 Milliarden Dollar erhöht – ein Anstieg um knapp 15 Prozent.
Neuere Zahlen liegen noch nicht vor. Paul Cheung, Leiter des Asia Competitiveness Institute (ACI) in Singapur, urteilt aber: „Positive Auswirkungen auf den Handel und die Schaffung von Investitionen sind offensichtlich.“ Besonders deutlich seien die Folgen für den Handel zwischen Ländern, die zuvor nicht über Handelsabkommen miteinander verfügten.
Einer der größten Profiteure ist dabei Vietnam. Das südostasiatische Land erlebte in den vergangenen Jahren einen Ansturm von Unternehmen, die in dem Land eine kostengünstige Alternative zu China sehen, um für den Weltmarkt zu produzieren. Besonders die Geschäfte mit den CPTPP-Industriestaaten florieren. Die Exporte von Vietnams Textil- und Bekleidungsindustrie nach Kanada stiegen im vergangenen Jahr um 40 Prozent – während die Warenausfuhren der Branche insgesamt nur um rund 15 Prozent zulegten.
Kanada profitiert ebenfalls über Rindfleischexporte in asiatische Länder des Freihandelsbundes, allen voran nach Japan. Im Jahr 2022 exportierten Kanadas Farmer im Rahmen des Abkommens Rindfleischerzeugnisse im Wert von 518 Millionen Dollar in die größte Volkswirtschaft der CPTPP. Damit ist Japan Kanadas zweitgrößter Auslandsmarkt für Rindfleischexporte geworden.
Und die Landwirte erwarten steigenden Absatz, denn die Zölle durch CPTPP sinken weiter: Anfang April werden sie von 38,5 auf 23,35 Prozent fallen, danach bis 2033 schrittweise auf neun Prozent.
Das Abkommen habe für die Beteiligten positive Wirkung gehabt, urteilt auch Holger Görg, amtierender Präsident des Kiel Institut für Weltwirtschaft. Angesichts der Covid-Krisenjahre vor allem in Südostasien und der noch anstehenden Handelserleichterungen werde sich das Potenzial aber künftig erst richtig zeigen.
Hoffnung auf Wandel des Großmachtkonflikts durch Handel
Nach Ansicht des früheren singapurischen Außenministers George Yeo, der das Abkommen anfangs mitgestaltete, ist der wichtigste Nutzen des Abkommens geopolitischer Natur. Yeo sieht darin ein Mittel der asiatischen Staaten gegen die Folgen des wachsenden Großmachtkonflikts zwischen China und den USA. Mittlerweile haben sowohl Taiwan als auch China einen Beitritt zur CPTPP beantragt.
„Wir in der Region sollten klug genug sein, die Verhandlungen mit China so zu gestalten, dass sie die Einstellung der USA verändern“, meint Yeo. Ziel müsse sein, dass China und die USA zur gleichen Zeit beiträten. Denn die Region leide unter der Rivalität der beiden Großmächte.
Auch in Japan gibt es die Hoffnung, dass ein Beitritt Chinas zugleich die USA dazu bringen könnten, beim Freihandelsabkommen dabei sein zu wollen. „Es sind die USA, die das TPP in seiner jetzigen strategischen Bedeutung geformt haben“, sagt etwa der japanische Außenminister Yoshimasa Hayashi. „Die USA selbst sollten im Mittelpunkt stehen, und Japan erwartet nachdrücklich, dass die USA so bald wie möglich zur TPP zurückkehren.“ TPP war der Vorläufer von CPTPP.
Handelsexperte Görg jedoch ist „in der jetzigen politischen Situation“ skeptisch, dass China, die USA oder die EU in absehbarer Zeit beitreten werden. Für die EU hält auch er einen Beitritt für wirtschaftlich sinnvoll, sieht aber den politischen Willen derzeit ebenso wenig wie in den USA. Gegen Chinas Beitritt indes gebe es Widerstand einiger CPTPP-Mitglieder.
Australien opponiert gegen China
Schärfster Kritiker eines Beitritts Chinas ist derzeit Australien. Als Vorbedingung für ernsthafte Verhandlungen forderte die Regierung in Canberra eine Rücknahme von Chinas Handelsbarrieren für australische Güter, die als Folge politischer Konflikte zwischen den beiden Ländern aufgebaut wurden.
Nach dem Regierungswechsel in Australien im vergangenen Jahr kam es zwar zu einer vorsichtigen Annäherung. Seit Jahresbeginn lässt China wieder australische Kohle ins Land. Ganz beendet ist der Handelskonflikt aber noch nicht.
Australiens früherer CPTPP-Chefverhandler Justin Brown glaubt, die Regierung in Peking könnte die Normalisierung der Handelspolitik jetzt davon abhängig machen, dass Australien eine weniger ablehnende Haltung gegenüber Chinas CPTPP-Antrag einnehmen wird. Ob dies den Widerstand gegen eine Mitgliedschaft Pekings dann wirklich beilegt, ist aber immer noch unklar.
Mehr: Vor allem China setzt auf die weltgrößte Freihandelszone
<< Den vollständigen Artikel: Beitritt Großbritanniens: Wie groß kann das asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen noch werden? >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.