Berlin, Riga Robert Habeck war gerade erst in der Ukraine angekommen, als er eines klarmachte: Der Bundeswirtschaftsminister ist nicht bloß für Mitleidsbekundungen angereist.
Sinn der Reise sei, ein klares Zeichen an die Ukraine zu senden, sagte Habeck. Ein Zeichen, „dass wir daran glauben, dass sie siegreich sein wird, dass sie wiederaufgebaut wird, dass es ein Interesse von Europa gibt, nicht nur in der Not zu unterstützen, sondern dass die Ukraine auch ein wirtschaftlich starker Partner in der Zukunft sein wird“.
Auch die Auswahl seiner Begleiter zeigt: Habeck geht es um den Wiederaufbau, die wirtschaftliche Zukunft des Landes und sicherlich auch um die Ukraine als Markt für deutsche Unternehmen. Der Grünen-Politiker, der am Montag unter anderem den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski traf, wird auf der unter hohen Sicherheitsbedingungen durchgeführten Reise von einer Delegation deutscher Wirtschaftslenker begleitet.
Habeck bereist erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs die Ukraine. Er habe erst kommen wollen, wenn er etwas mitbringen könne, sagte der Minister: „Eine Wirtschaftsdelegation, die der Ukraine die Hoffnung macht, dass es nach dem Krieg wieder einen Wiederaufbau geben wird.“
Eine Ende des Kriegs zwischen der Ukraine und Russland ist weiterhin nicht absehbar. Zugleich macht sich das osteuropäische Land Gedanken um seine wirtschaftliche Zukunft. Die Schäden durch den Krieg sind immens, und sie erhöhen sich mit jedem Tag des Gefechts weiter. Für die Ukraine genauso wie für westliche Spitzenpolitiker steht daher fest: Der Wiederaufbau kann nur mit internationaler Unterstützung gelingen.
Zudem steht die Ukraine vor den Herausforderungen der wirtschaftlichen Transformation hin zu klimafreundlichen Technologien, auch wenn das in den Hintergrund gerückt ist.
Vergangenen Sommer rechnete die ukrainische Regierung potenziellen Geldgebern vor, bis 2032 ein jährliches BIP-Wachstum von mehr sieben Prozent erwirtschaften zu wollen – und dabei 65 Prozent weniger CO2 als noch 1990 auszustoßen. Infolgedessen argumentiert Kiew gegenüber den internationalen Partnern immer wieder, dass sich die Unterstützung lohnen werde.
Habeck will Energiepartnerschaft mit Ukraine ausweiten
In Energiefragen sind Deutschland und die Ukraine schon seit 2020 Partner. Nach dem Besuch eines Umspannwerks des Energiekonzerns „Ukrenergo“, welches eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Ukraine mit Energie versorgt, kündigte Habeck am Montagmorgen eine Vertiefung der Energiepartnerschaft an.
Der Bundeswirtschaftsminister besichtigt mit Wolodimir Kudrytski, Vorstandvorsitzender des Energiekonzerns Ukrenergo, ein Umspannwerk, welches von russischen Raketen getroffen wurde.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar vergangenen Jahres liegt der Schwerpunkt auf Nothilfe zur Reparatur und zum Erhalt des Stromnetzes. Doch aus der Energiepartnerschaft der beiden Länder soll noch mehr entstehen, macht Habeck klar.
„Der Wunsch und die strategischen Pläne – und das sind ja Sicherheitspläne der Ukrainer – sind tatsächlich, das Energiesystem breiter und dezentraler aufzustellen“, sagte er. Das sei auch eine „Einladung zur Dekarbonisierung“, also zum Abschied von fossilen Brennstoffen.
„Insofern passen da zwei Sachen ganz gut zusammen: das Sicherheitsbedürfnis und ein zukunftsfähiges Energiesystem.“ Die Ukraine könne zum Energieexporteur Richtung Europa werden, erklärte der Minister.
Enorme Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine in vielen Bereichen
Die Herausforderungen des Wiederaufbaus gehen über Energiefragen hinaus. Bau, Transport und kommunale Infrastruktur seien weitere akute Themen, erklärte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), am Montag. Wansleben ist Teil der Delegation, die Habeck begleitet.
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Wansleben sicherte der Ukraine die Unterstützung der deutschen Wirtschaft beim Wiederaufbau zu. „Die Reise mit Bundeswirtschaftsminister Habeck ist ein Signal und ein Angebot der deutschen Wirtschaft, den Wiederaufbau der Ukraine gemeinsam mit den Ukrainern mitzugestalten“, sagte er dem Handelsblatt.
Viele deutsche Unternehmen seien trotz des russischen Angriffskriegs weiterhin in der Ukraine aktiv. „Das kann eine gute Basis darstellen, wenn es darum geht, den bereits begonnenen Wiederaufbau der Ukraine zu unterstützen“, erklärte Wansleben.
Die Aufgaben sind enorm. Die Schätzungen der Kosten des Wiederaufbaus gehen zwar auseinander, sie eint aber die enorme Dimension. Laut der neuesten Erhebung der Weltbank, der ukrainischen Regierung, der EU-Kommission und den Vereinten Nationen, veröffentlicht im zweiten „Rapid Damage and Needs Assessment“, werden mindestens 411 Milliarden US-Dollar benötigt, um den Wiederaufbau zu bewältigen.
Der Bundeswirtschaftsminister ist von Polen aus mit dem Zug in die Ukraine gereist, begleitet wird er von einer Wirtschaftsdelegation.
Im Juli 2022 hatte der ukrainische Regierungschef Denys Schmyhal die Bedarfe des Landes auf rund 720 Milliarden Euro geschätzt. Der Chef der Europäischen Investitionsbank, Werner Hoyer, ging damals sogar von Kosten von mehr als einer Billion Dollar für die internationalen Geldgeber aus.
Russland für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen lassen?
Kurz- und mittelfristig fällt der Blick in der Ukraine aber erst einmal auf den nächsten Winter. Jaco Cilliers, Repräsentant des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in der Ukraine, schätzt den unmittelbaren Bedarf auf rund 2,1 Milliarden Dollar. Cilliers zufolge geht es dabei neben der Stromversorgung auch um kritische soziale Infrastrukturen, einschließlich Heizung, Trinkwasser, Abwasserbehandlung und der Sicherheit von Hochspannungstransformatoren.
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Zusätzlich zu internationalen Unterfangen tragen viele Staaten bilateral bereits jetzt zum Wiederaufbau bei. Erst Ende vergangener Woche erklärte die Regierung Japans, man werde den Wiederaufbau in der Ukraine mit 400 Millionen Dollar bezuschussen. Das Geld soll zur Wiederherstellung von kritischer Infrastruktur verwendet werden.
Bei der Finanzierung des Wiederaufbaus gäbe es aber noch eine Alternative. Immer wieder werden Forderungen laut, Russland als Verursacherstaat direkt für den Wiederaufbau aufkommen zu lassen. Im Februar erst hatten die baltischen Staaten und Polen andere westliche Regierungen dazu aufgerufen, Russlands Zentralbankreserven, die im Ausland lagern, für diesen Zweck zu verwenden – immerhin knapp 300 Milliarden Dollar. Doch Kritiker sehen in einem solchen Vorgehen potenzielle Verstöße gegen internationales Recht.
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