Apr 5, 2023
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HRI-Konjunkturprognose: Deutsche Wirtschaft steckt in der Flaute fest

Written by Axel Schrinner


Düsseldorf Die Folgen des Ukrainekrieges, die hohe Inflation sowie die Altlasten der Coronapandemie belasten die deutsche Wirtschaft stärker als zunächst erwartet. Daher senkt das Handelsblatt Research Institute (HRI) die Konjunkturerwartungen für das laufende Jahr von den im Januar vorhergesagten plus 0,2 Prozent auf nun minus 0,2 Prozent. Nachdem die deutsche Wirtschaft im Schlussquartal 2022 um 0,4 Prozent geschrumpft ist, erwartet das HRI auch für das zu Ende gegangene erste Quartal einen ähnlichen Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung.

Die Volkswirtschaft ist damit nicht nur in eine technische Rezession gerutscht, sondern wird auch im Vorjahresvergleich schrumpfen. Damit unterscheidet sich die Sicht des HRI von der der führenden Forschungsinstitute, die in ihrem Frühjahrsgutachten 0,3 Prozent Wachstum prognostizieren.

Ab dem Frühjahr dürfte sich die Konjunktur zwar stabilisieren, doch einen echten Aufschwung, wie ihn manch Frühindikator zu signalisieren scheint, erwartet das HRI nicht. Die Wirtschaftsleistung wird am Ende dieses Jahres in etwa so hoch sein wie zu Beginn der Rezession, also zum Ende des dritten Quartals 2022 – und damit auf dem Niveau von vor dem Ausbruch der Coronapandemie Anfang 2020 liegen.

„Inflation, Ukrainekrieg und Corona haben insbesondere die abhängig Beschäftigten und die Rentenempfänger ärmer gemacht“, sagt HRI-Präsident Bert Rürup. „Es fehlen faktisch vier Jahre Wachstum. Solch eine lange Phase der Stagnation hat es im Nachkriegsdeutschland noch nicht gegeben. Anders als von der Regierung behauptet, ist die deutsche Volkswirtschaft ökonomisch keineswegs gut durch die Doppelkrise gekommen.“

Für 2024 sieht das HRI allenfalls eine leichte Erholung – die Wirtschaft dürfte um 0,9 Prozent zulegen. Damit wäre Deutschland Schlusslicht unter den Volkswirtschaften des Euro-Raums. Laut EU-Prognose wird Spaniens Wirtschaft 2024 um zwei Prozent, Frankreichs um 1,4 und Italiens um 1,0 Prozent zulegen. Für die Euro-Zone als Ganzes erwartet die EU-Kommission für 2024 immerhin 1,5 Prozent Wachstum, nach 0,9 Prozent plus im laufenden Jahr.

Inflation und Energiekrise: Preisniveau steigt um 20 Prozent

Deutschland mit seinem hohen Industrieanteil an der Bruttowertschöpfung leidet laut HRI besonders stark unter den Energiepreissteigerungen infolge des Ukrainekriegs und den Sanktionen gegen Russland. Alle Branchen sind von höheren Transport- und Herstellungskosten betroffen. Die Folge: Sehr energieintensive Teile der Produktion sind unrentabel geworden und dürften ins Ausland verlagert werden.

Dies nutzen offenbar viele Hersteller und Händler und verbessern ihre Margen unter dem Vorwand des anziehenden Preisniveaus. Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen, dass zahlreiche Unternehmen im vierten Quartal 2022 ihre Verkaufspreise stärker erhöhten, als dies durch die Entwicklung der Einkaufspreise angelegt war. Vor allem im Handel, Gastgewerbe und Verkehrssektor sowie im Baugewerbe gelang es, die Gewinnmargen zu erhöhen. So wird aus einer importierten Inflation – etwa durch die Energiepreise – eine hausgemachte.

Hohe Reallohnverluste für Arbeitnehmer

Daher erwartet das HRI, dass die Inflation nur langsam zurückgehen wird. Nach 6,9 Prozent im vergangenen Jahr dürften die Verbraucherpreise im laufenden Jahr um 5,6 Prozent und 2024 noch um 3,2 Prozent zulegen. Binnen vier Jahren wird das Preisniveau dann um rund 20 Prozent gestiegen sein – zuvor hatte es 15 Jahre gedauert, bis die Preise ähnlich stark gestiegen waren.

Trotz hoher Lohnforderungen einiger Gewerkschaften stehen die Chancen für die Konsumenten schlecht, die Reallohnverluste der zurückliegenden drei Jahre rasch ausgleichen zu können. Die meisten Verbraucher dürften am Jahresende froh sein, wenn die Lohnentwicklung wenigstens mit der Teuerung im laufenden Jahr schritthalten kann.

Einkäufe

Nach 6,9 Prozent im vergangenen Jahr dürften die Verbraucherpreise im laufenden Jahr laut HRI um 5,6 Prozent und 2024 noch um 3,2 Prozent zulegen.


(Foto: dpa)

Schließlich stammt manch langlaufender Tarifvertrag noch aus Zeiten mit geringer Inflation. Beispielsweise bekommen Beschäftigte der Druckindustrie ab Mai 1,5 Prozent mehr Lohn, Zeitungsredakteure erhalten zwei Prozent plus ab Juni, und im Versicherungsgewerbe gibt es zwei Prozent ab September.

>> Lesen Sie hier: Warum der Aufschwung in Deutschland in diesem Jahr nicht kommt

Hinzu kommt, dass die meisten staatlichen Hilfen aus Einmalzahlungen oder temporären steuerfinanzierten Preissenkungen bestanden. Diese sind nun weitgehend ausgezahlt – und ausgegeben. Vielen Verbrauchern dürfte erst allmählich das gesamte Ausmaß ihres Realeinkommensverlusts bewusst werden.

Angesichts der angestrebten Energiewende bestehen überdies bei vielen Verbrauchern berechtigte Sorgen, dass die Wohnkosten weiter steigen werden – und daher an anderer Stelle Konsumverzicht geübt werden muss.

Daher dürfte der private Konsum dieses Jahr leicht um 0,1 Prozent zum Vorjahr schrumpfen. Für 2024 rechnet das HRI zwar mit 0,6 Prozent Zuwachs, gleichwohl läge das Konsumniveau dann noch immer unter dem Vor-Corona-Niveau im Jahr 2019.

EZB: Zinswende wirkt mit Verzögerung

Die EZB hat im Sommer begonnen, in großen Schritten ihre Leizinsen zu erhöhen. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen dieser Zinswende kommen erst allmählich zum Tragen. Üblicherweise dauert es drei bis sechs Quartale, bis eine Bremswirkung eintritt.

Als Erstes reagiert stets der Bau. Nachdem die Bauinvestitionen 2022 bereits um 1,7 Prozent schrumpften, droht im laufenden Jahr laut HRI ein weiterer Rückgang um 4,8 Prozent. Dies wäre der stärkste Einbruch seit gut 20 Jahren.

Im kommenden Jahr dürften die Bauinvestitionen dann weiter sinken – binnen drei Jahren wird das Minus dann nahezu acht Prozent betragen. Das Ziel der Bundesregierung, für die Fertigstellung von 400.000 neuen Wohnungen jährlich zu sorgen, wird laut HRI verfehlt.

Definition: Was ist eine Rezession?

Auch die anderen Bereiche der Wirtschaft wird die Kehrtwende der EZB treffen. So ziehen die Zinsen für Dispo- und Verbraucherkredite kräftig an, was die Konsummöglichkeiten einschränkt. Außerdem schnellt die Zinsbelastung des Staates in die Höhe, was den Spielraum für weitere Entlastungen aufzehrt.

>> Lesen Sie hier: Wieso Banken gerade viele Immobilien-Kredite ablehnen

Überdies verteuern sich kreditfinanzierte Investitionen der Unternehmen sowie ihr Zinsdienst für bestehende Schulden. So hatten die 150 börsennotierten Konzerne in Dax, MDax und SDax im Herbst 2022 gut 530 Milliarden Euro Nettofinanzschulden aufgetürmt – jeder Prozentpunkt höhere Durchschnittsverzinsung kostet also gut fünf Milliarden Euro.

Staatsschuld steigt rapide

Die Hilfs- und Rettungspakete der vergangenen drei Jahre haben die Schulden des Staates in die Höhe getrieben. Laut Statistischem Bundesamt summierten sich die Schulden in den Finanzstatistiken von Bund, Ländern und Gemeinden Ende 2022 auf 2,37 Billionen Euro – vor dem Corona-Ausbruch waren es noch 1,9 Billionen.

Bau

Das Ziel der Bundesregierung, für die Fertigstellung von 400.000 neuen Wohnungen jährlich zu sorgen, wird laut HRI verfehlt.


(Foto: dpa)

Überdies trifft die Zinswende den Bundeshaushalt stark, da der Bund derzeit massiv neue Kredite aufnimmt. In diesem Jahr wird der Bund fast 40 Milliarden Euro für seinen Zinsdienst aufwenden müssen, 2021 waren es noch 3,85 Milliarden Euro.

>> Lesen Sie hier: Wie Unternehmen die Inflation treiben

Diese Lasten schwächen die Resilienz des Staatshaushalts, machen ihn also anfälliger für Krisen. Sowohl die Finanzierung weiterer Hilfsmaßnahmen im Falle neuer externer Schocks als auch die der dringend notwendigen Wachstumspolitik werden schwieriger.

„Jetzt rächt sich, dass die vergangenen Bundesregierungen es versäumt haben, die Wachstumskräfte zu stärken“, betont HRI-Präsident Rürup. Im internationalen Vergleich seien die in der Verantwortung der Politik stehenden Unternehmensteuern sehr hoch, hinzu kommen die hohen Energiepreise.

Überdies lockten die USA Investoren mit hohen Subventionen an. „All dies führt dazu, dass gegenwärtig viele bedeutende Investitionsentscheidungen gegen den Standort Deutschland getroffen werden. Ohne ein beherztes Gegensteuern der Regierung droht die gegenwärtige Konjunkturflaute zu einem Standortnachteil und einer veritablen Wachstumsbremse für das Land zu werden.“

Mehr: Führende Institute rechnen 2023 nicht mehr mit Rezession.



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