London Eigentlich ist Tory-Partei die falsche Bezeichnung für die britischen Konservativen, ist Mark Garnett überzeugt. „Ein passenderer Name wäre Thatcher-Partei“, sagt der Politologe von der Universität Lancaster der Deutschen Presse-Agentur. „Die Leidenschaft der ehemaligen Premierministerin für die freie Marktwirtschaft mit niedrigen direkten Steuersätzen und minimaler bürokratischer Einmischung ist mittlerweile verpflichtend für jeden aufstrebenden konservativen Politiker.“
Am Samstag ist es zehn Jahre her, dass Margaret Thatcher starb. Aber noch immer hat die „Iron Lady“ erheblichen Einfluss auf die Geschicke ihrer Tories.
Eine umstrittene Wirtschaftspolitik trägt ihren Namen, ihre Handtasche galt vielen als bedrohlich, und ihr Satz „I want my money back“ ist unsterblich: Von 1979 bis 1990 war die Politikerin nicht nur die erste Frau hinter der berühmten schwarzen Tür mit der Nummer 10 in der Downing Street. Sie war auch die erste Frau an der Spitze einer europäischen Regierung und die Premierministerin mit der längsten Amtszeit in der jüngeren britischen Geschichte.
Mit ihrem „Thatcherismus“ genannten Politstil sorgte sie entweder für Bewunderung oder Hass und prägte in den 1980er Jahren eine Ära. Garnett vergleicht Thatchers Vermächtnis für Großbritannien mit dem des Ex-Präsidenten Charles de Gaulle für Frankreich.
Dabei zeigte sich die Tochter eines Kolonialwarenhändlers hart nach innen wie nach außen: Sie privatisierte große Staatskonzerne wie British Gas oder Telecom, aber auch Sozialwohnungen, gleichzeitig kürzte sie Sozialleistungen und stutzte die Gewerkschaften. Die Folge war ein massiver gesellschaftlicher Umbruch mit gewalttätigen Protestaktionen.
Sieg im Falklandkrieg hielt Thatcher im Amt
Ihren Erfolg verdankte Thatcher nicht zuletzt ihrem riskanten Kurs in der Außenpolitik. Der Sieg im Falklandkrieg gegen Argentinien 1982 hielt sie nicht nur im Amt, sondern ließ auch das zermürbte Land wieder optimistisch in die Zukunft blicken. Bald nach ihrem Rückzug als Premierministerin im Jahr 1990 zog Thatcher als Baroness ins Oberhaus ein.
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Auf den abgelegenen Falkland-Inseln im Südatlantik ist Thatcher eine Legende. Stolz blickt ihre Büste über den Hafen der Hauptstadt Stanley, eine lokale Biermarke heißt „Iron Lady“.
Die Statue in ihrem Heimatort Grantham, wo Thatcher am 13. Oktober 1925 geboren wurde, hingegen wird immer wieder Opfer von Vandalismus. Trotz ihrer Erfolge war sie eine der umstrittensten Figuren der britischen Nachkriegsgeschichte.
Auch weil sie sich lange der deutschen Wiedervereinigung widersetzte, den ANC von Südafrikas damaligem Widerstandskämpfer Nelson Mandela eine „typische terroristische Vereinigung“ nannte und dem chilenischen Diktator Augusto Pinochet Schutz gewährte.
Heute stecken Thatchers Tories in einer veritablen Krise. Alle Umfragen sagen derzeit einen deutlichen Sieg der sozialdemokratischen Labour-Partei bei der für 2024 geplanten Wahl voraus. Umso mehr beschwören die Konservativen die Werte des „Thatcherismus“.
Tories hängen bis heute an der „Iron Lady“
Als am Montag bekannt wurde, dass Thatchers Finanzminister Nigel Lawson mit 91 Jahren gestorben ist, zitierte der Tory-Abgeordnete Simon Clarke den einstigen Schatzkanzler: „Eines der wichtigsten Dinge, die die Thatcher-Regierung getan hat, war, die Stimmung der Nation zu verändern, um ihr das Vertrauen zurückzugeben.“ Beinahe flehentlich betonte Clarke: „Dieselbe Herausforderung hallt heute nach, in einer Zeit, die von zu vielen Selbstzweifeln geprägt ist.“
Im Streit um die Nachfolge von Skandal-Premier Boris Johnson im vorigen Sommer überschlugen sich die Kandidaten mit Versicherungen, sie stünden in der Tradition Thatchers. Kurzzeit-Regierungschefin Liz Truss, die sich in ihrer Zeit als Außenministerin mehrmals in den gleichen Kleidern und an den gleichen Orten wie einst Thatcher ablichten ließ, nahm es vielleicht zu genau. Ihr Radikalansatz mit Steuersenkungen sorgte am Markt für Chaos – nach nicht einmal 50 Tagen zog Truss wieder aus der Downing Street aus. Aber auch Amtsinhaber Rishi Sunak betont die Nähe zum Parteivorbild.
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Doch die Ergebenheit hemmt die Partei, wie Tory-Experte Tim Bale der dpa sagt. „Es gibt vielleicht zu viel Margaret Thatcher in der zeitgenössischen Konservativen Partei“, meint der Politologe von der Londoner Universität Queen Mary. „Sie ist eine solche Ikone, dass sie als Schleppanker fungiert und es der Partei schwer macht, von ihrer Besessenheit loszukommen: niedrige Steuern und niedrige Ausgaben, staatliche Investitionen schlecht und private gut.“ So ist Thatchers Erbe zehn Jahre nach ihrem Tod Fluch und Segen für die Partei.
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