Berlin Die Debatte um eine Reform der EU-Schuldenregeln geht in die heiße Phase. Während die EU-Kommission ihre Vorschläge schnell in einen Gesetzesentwurf gießen will, bremst Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Aus seiner Sicht sind die Reformvorschläge Brüssels eine starke Aufweichung der bisherigen Schuldenregeln.
Nun hat Lindner in einem so genannten „Non Paper“ der EU-Kommission die Position der Bundesregierung übermittelt. In dem dreiseitigen Papier zieht Lindner rote Linien und bringt eigene Reformvorschläge in die Debatte ein – die in Teilen Europas wohl auf wenig Begeisterung treffen dürften.
Eine Reform der EU-Regeln ist nötig geworden, weil die Schuldenstände vieler EU-Staaten durch die vielen Krisen der vergangenen Jahre inzwischen weit über das eigentlich erlaubte Maß gestiegen sind. Würden die bestehenden Regeln weiter angewendet, müssten einige Länder einen solch brutalen Sparkurs fahren, den selbst Anhänger einer sparsamen Finanzpolitik für falsch halten.
Die EU-Kommission hat deshalb eine Reform entwickelt. Von der hält Lindner allerdings wenig. „Die bisherigen Vorschläge der Kommission sind unzureichend“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
Nach den Vorstellungen Brüssels soll die EU-Kommission künftig mit jedem EU-Land einen maßgeschneiderten mehrjährigen Schuldenabbauplan vereinbaren. Dessen Vorgaben fallen unterschiedlich strikt aus, je nachdem, wie stark verschuldet das Land ist.
Der Ansatz der Kommission gewährleiste „keinen ausreichenden Abbau der Staatsverschuldung in Europa“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
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Lindner fürchtet, die europäischen Schuldenregeln würden durch solch ein bilaterales Ausverhandeln zu stark politisiert werden. „Die Konsolidierung der Haushalte ist keine Verhandlungssache“, heißt es aus Lindners Haus. „Vorschläge, die in Richtung einer Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspakts weisen, können nicht akzeptiert werden“.
Die EU brauche Schuldenregeln, „die für alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelten“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Das sei auch wichtig als Signal an die Finanzmärkte. Lindner drängt in dem Schreiben deshalb auf eine „einfache und transparente Ausgabenregel“ sowie eine „konkrete Absicherung“.
Als grundlegende Vorgabe akzeptiert Lindner, dass die Ausgaben langsamer ansteigen sollen als das Potentialwachstum. Das Kernstück von Lindners Reformvorschlägen sind aber „gemeinsame Haltelinien zur Sicherung ausreichender Schuldenreduzierung“.
Härtere Anforderungen für hochverschuldete Länder
Der Vorschlag der Bundesregierung: Hochverschuldete Länder sollen künftig ihre Schuldenstandsquoten jährlich um mindestens einen Prozentpunkt und Staaten mit mittleren Schuldenstandsquoten über 60 Prozent ihren Schuldenstand um mindestens 0,5 Prozentpunkte im Jahr senken, bis die Quote nicht mehr über 60 Prozent liegt – was die Schuldenobergrenze der derzeit gültigen Schuldenregeln darstellt.
Gegenüber den jetzt gültigen Regeln schraubt auch Lindner damit die Ansprüche zurück. Danach müsste ein hochverschuldetes Land wie Italien deutlich stärker sparen, als es die Pläne der Bundesregierung vorsehen. Lindner pocht dafür aber auf mehr Verbindlichkeit. Das Schulden-Regelwerk dürfte „kein zahnloser Tiger bleiben“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium.
Immer wieder hatten in der Vergangenheit EU-Staaten die Schuldenregeln verletzt, wurden allerdings nie dafür sanktioniert, darunter auch Deutschland. Die Durchsetzung der Regeln sei aber entscheidend, ein wirksames Defizitverfahren bei Defizitüberschreitungen „unerlässlich“, heißt es aus dem Bundesfinanzministerium. Wenn ein Land die Schuldenobergrenze von drei Prozent im Jahr reißt, müsse ein Defizitverfahren eröffnet werden.
Als weitere Absicherung drängt die Bundesregierung auf eine Revisionsklausel. Wenn die neuen Regeln nicht die gewünschte Schuldenreduzierung binnen vier Jahren bringen, soll das Regelwerk automatisch überarbeitet werden.
Bundesregierung geht einen Schritt auf Brüssel zu
In einem Punkt geht Lindner aber auch einen Schritt auf die EU-Kommission zu. Für Ausgaben für Klimaschutz und Digitalisierung könnten „besondere Anreize geschaffen werden“, was bedeutet, dass Ausgaben hierfür womöglich nicht voll auf die Schuldenregeln angerechnet werden könnten.
Lindner kommt damit nicht nur der EU-Kommission entgegen, sondern macht auch ein Zugeständnis an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Dem sei dieser Punkt sehr wichtig gewesen, hieß es in Regierungskreisen. Lindner selbst sehe auch diese Ausnahme eher kritisch.
Auch in anderen Fragen hätte sich Lindner noch „weitergehende Vorschläge vorstellen können“, hieß es in Kreisen des Finanzministeriums. Die gemeinsame Position der Bundesregierung stelle „allerdings bereits eine wesentliche Verschärfung und grundlegende Veränderung gegenüber der Position der EU-Kommission dar.“ Zugleich sei es gelungen ,klare Bedingungen zu formulieren, ohne ins Extreme zu kippen.
Regierungsvertretern zufolge ist der Kompromiss daher noch aus einem anderen Grund ein Erfolg. Sie sei auch ein Zeichen: dass die Ampel bei heiklen politischen Fragen doch noch in der Lage ist, geräuschlos eine gemeinsame Linie zu finden.
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