New York und Washington Die US-Regierung hat eingeräumt, im Skandal um geleakte Geheimdienstdokumente kalt erwischt worden zu sein. Die vertraulichen Informationen „waren irgendwo im Internet, und wo genau und wer darauf Zugriff hatte, wir wissen es zu diesem Zeitpunkt einfach nicht“, sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Dienstag. „Wir nehmen die Sache sehr ernst und wir werden jeden Stein umdrehen, bis wir die Quelle für das Leck gefunden haben.“
Zuvor hatte das Weiße Haus vor neuen Lecks gewarnt. „Wir wissen nicht, wer dahintersteckt, wir kennen das Motiv nicht“, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, John Kirby, am Montag. Auf die Frage, ob weitere unerlaubte Veröffentlichungen drohten, antwortete er: „Die Wahrheit und die ehrliche Antwort auf diese Frage lautet: Wir wissen es nicht. Und das ist verdammt beunruhigend.“
Kirby zufolge sind mehrere US-Behörden damit beschäftigt, die im Netz aufgetauchten Dokumente zu sichten und die Urheber der Verbreitung ausfindig zu machen.
Bereits am Donnerstag war ein Geheimdienstbericht über ukrainische Offensivpläne gegenüber Russland im Netz publik geworden. Laut der „New York Times“ enthielten die mehr als hundert als geheim eingestuften Dokumente, die auf Twitter und anderen Plattformen kursieren, unter anderem Prognosen, wann die Luftabwehr der Ukraine erschöpft sein könnte. Am Freitag tauchten schließlich weitere Informationen auf, dazu zählen Geheimdienstberichte über China, zur Sicherheitslage im Indopazifik und zum Nahen Osten.
Erschienen waren Dokumente auf verschiedenen Internetseiten und in sozialen Medien. Sie weisen unterschiedliche Geheimhaltungsstufen, bis hin zur höchsten – „Streng geheim“ – auf. Eine erste Tranche war laut „Politico“ seit Anfang März im Umlauf, damals tauchte sie erstmals auf Discord auf, einer bei Spielern beliebten Social-Media-Plattform.
Erst nach Wochen fiel das Leck auf
Nach eigenen Angaben erfuhr US-Verteidigungsminister Austin allerdings erst am vergangenen Donnerstag von dem Datenleck, als auch die ersten US-Medien darauf aufmerksam wurden. „Wir haben die Angelegenheit an das Justizministerium weitergeleitet, das eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet hat“, erklärte er. Das FBI hat die Ermittlungen übernommen.
Solange die Untersuchungen liefen, könne er sich nicht näher äußern. „Wir nehmen die Sache aber sehr, sehr ernst.“ Einem Sprecher zufolge halte Austin täglich eine Krisenrunde ab, um den Schaden für die nationale Sicherheit zu bewerten. Eine Task Force prüfe den Umfang der Informationen und kontrolliere, wer Zugang zu den Dokumenten gehabt haben könnte.
Der Skandal ist auf mehreren Ebenen brisant: Zum einen sorgt er für eine diplomatische Krise zwischen den USA und seinen Verbündeten. Die US-Partner Südkorea und Australien forderten weitere Informationen von den Amerikanern und ihren Spionage-Bemühungen an.
Der Sicherheitsberater hält weitere Enthüllungen für möglich.
(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)
Außerdem werfen die aufgetauchten Dokumente die Frage auf, ob die US-Regierung hoch sensible Informationen ausreichend schützt. Vor zehn Jahren hatte der Whistleblower Edward Snowden streng geheime Informationen über die Späh-Praktiken der USA geleakt, darunter hatten zwischenzeitlich auch die transatlantischen Beziehungen gelitten.
In Washington wurden in den vergangenen Tagen Bedenken geäußert, ob die durchgesickerten Informationen Russland einen strategischen Vorteil verschaffen könnten.
US-Außenminister Antony Blinken telefonierte am Dienstag mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba. „Wir arbeiten eng mit unseren Verbündeten zusammen und können versichern, dass wir unsere Geheimdienste schützen und unseren Sicherheitspartnerschaften höchste Priorität einräumen“, sagte er.
Einige Dokumente wurden verändert
Die Dokumente geben Auskunft über den Stand des Kriegs in der Ukraine und sie bewerten die Stärke und Fähigkeiten der ukrainischen und russischen Streitkräfte. Außerdem enthalten sie CIA-Geheimdienstberichte über ausländische Hauptstädte, von Kairo über Ankara bis Seoul.
Unter anderem erfährt man Details über die Bemühungen der USA, Südkorea auszuspionieren und zur türkischen Zusammenarbeit mit Israel. Die Veröffentlichungen sollen sich auf Dutzende Seiten aus vertraulichen Pentagon-Briefings beziehen und sind laut US-Regierungsangaben zu überwiegenden Teilen echt.
Einige Dokumente seien manipuliert worden, erklärten US-Beamte. Jedoch seien entsprechende Änderungen vermutlich nach der Veröffentlichung im Internet vorgenommen worden. Unklar ist, wer die Veränderungen an den Berichten vorgenommen hat, und warum.
Einige der Dokumente manipulierten die amerikanischen Schätzungen zur Zahl der ukrainischen Kriegstoten nach oben und setzten zugleich die Schätzung der Zahl der russischen Truppen, die getötet wurden, nach unten.
Für den Moment bleiben viele Fragezeichen: Handelt es sich um ein Leck oder einen Hack? Um Information oder Desinformation? Und von wem geht die Veröffentlichung aus? Von einem Coup Russlands bis hin zu einer List eines US-Geheimdieners reichen die Spekulationen in Washington.
Die Veröffentlichungen fielen mitten in eine zweiwöchigen Sitzungspause des US-Kongresses. Der Mehrheitsführer im Senat, der Demokrat Chuck Schumer, forderte, dass alle Senatoren nach ihrer Rückkehr nach Washington kommende Woche über das Leck informiert werden.
„Jede Weitergabe von geheimen Informationen ist äußerst alarmierend“, erklärte der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, Mark Warner. „Während das Pentagon diese Angelegenheit untersucht, sollten sich die Amerikaner daran erinnern, dass Russland auf eine lange Geschichte von Desinformationsbemühungen zurückblicken kann.“
Es sei klug, „allen Behauptungen, die Sie im Internet über diese Dokumente finden, nicht zu trauen.“
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