Berlin Gerade rechtzeitig zum Besuch von Annalena Baerbock (Grüne) hat sich der schwere Sandsturm, der Nordchina in den vergangenen Tagen in einen dichten Nebel gehüllt hatte, verzogen. Wenn die Außenministerin am Mittwochabend zur ihrer Antrittsreise in die Volksrepublik aufbricht, erwartet sie bei ihrer Ankunft möglicherweise sogar ein blauer Himmel.
Für Baerbock ist der Trip nach China die wohl schwerste Reise ihrer bisherigen Amtszeit. Die deutsche Außenministerin gilt wegen ihrer scharfen Äußerungen in Peking als eine Art Regimekritikerin. So hatte sich die Grünen-Politikerin etwa gegen eine Beteiligung des chinesischen Staatsunternehmens Cosco am Hamburger Hafen ausgesprochen und selbst Kanzler Olaf Scholz vor dessen Antrittsbesuch vergangenen November einige Forderungen mit auf die Reise gegeben.
Zudem reist Baerbock in politisch schwierigen Zeiten nach Peking. Mit Skepsis wird in China wahrgenommen, wie die Bundesregierung Unternehmen härtere Auflagen für Geschäfte mit der Volksrepublik macht, um wirtschaftlich unabhängiger vom Riesenreich zu werden. Argwöhnisch schaut Peking auch auf die neue Chinastrategie, an der die Bundesregierung arbeitet.
In Deutschland wiederum werden die jüngsten Anbandlungen zwischen Peking und Moskau genauestens beobachtet. Jedes Detail des Besuchs Baerbocks wird daher Hinweise geben, wie es um die Beziehungen beider Länder vor den geplanten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in diesem Sommer bestellt ist.
Obwohl Scholz und Baerbock sich einig sind, dass die deutsche Wirtschaft wegen zunehmender geopolitischer Spannungen unabhängiger werden müsse, gelten sowohl das grüne Wirtschaftsministerium als auch das von Baerbock geführte Außenministerium als kritischer gegenüber der Volksrepublik. Schon bei Antritt der Bundesregierung hatte Peking wegen der „extremen Ansichten der Grünen“ (staatliche Zeitung „Global Times“) auf Scholz gesetzt.
Wirtschaft begrüßt Baerbocks Reise
Auch die deutsche Wirtschaft, die zuletzt trotz Warnungen aus der Politik Rekordinvestitionen in China tätigte, schaut deshalb genau auf die Reise Baerbocks. Wirtschaftsvertreter reisen, wie üblich bei Reisen von Außenministern, nicht mit. Allerdings gibt es laut Informationen des Handelsblatts einige Termine mit Wirtschaftsvertretern vor Ort.
„Dass die Ministerin Treffen mit deutschen Wirtschaftsvertretern viel Raum gibt, zeugt von der Bedeutung der wirtschaftlichen Verflechtungen“, lobte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK).
Auch Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in Peking und langjähriger Chinakenner, begrüßte die Reisepläne: „Für eine Außenministerin hat Baerbock viele Termine mit der Wirtschaft vor Ort“, so Wuttke. „Das ist ein positives Zeichen an die Unternehmen.“
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Die angekündigte Chinastrategie der Bundesregierung hätte in den vergangenen Monaten für Unsicherheit in der deutschen Unternehmerschaft gesorgt, sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Dementsprechend sei es gut, dass der Besuch die Wichtigkeit des Austauschs auf Augenhöhe unterstreiche, Kooperationspotenziale herausarbeite und Asymmetrien offen anspreche.
Die Chinastrategie wird in Baerbocks Gespräch mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang eine zentrale Rolle spielen, bevor die Außenministerin am Samstag weiter nach Südkorea und von dort aus zum G7-Außenministertreffen nach Japan fliegt.
Forderung nach gleichen Wettbewerbsbedingungen
Die deutsche Wirtschaft fordert, dass Baerbock bei ihrer Chinareise auch kritische Wirtschaftsthemen anspricht. „Die deutsche Industrie erwartet, dass sich die Außenministerin bei der chinesischen Führung für Verlässlichkeit, Einhaltung internationaler Regeln sowie Transparenz, Marktzugang und fairen Wettbewerb starkmacht“, sagte Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). In den Handels- und Investitionsbeziehungen müssten gleiche Wettbewerbsbedingungen hergestellt werden, nicht zuletzt beim Zugang zu Technologien.
China fordere die internationale regelbasierte Ordnung heraus und untergrabe mit seinem Streben nach Sicherheit und Kontrolle die Logik von freien Märkten und offenem Handel, warnte Niedermark. „Es ist richtig und notwendig, dass Deutschland und Europa ihre wirtschaftliche und technologische Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit stärken, während wir weiterhin Kommunikation und Austausch mit China suchen.“
Baerbock fällt aber auch die Aufgabe zu, das zuletzt uneinheitliche Auftreten Europas in Peking wieder geradezurücken. Durch den missglückten Chinabesuch von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in der vergangenen Woche bekommt ihr Besuch eine noch größere Bedeutung.
Macron war mit einer großen Wirtschaftsdelegation angereist, ließ zahlreiche Unternehmensverträge unterzeichnen und äußerte sich in einem Interview so, dass er eine Äquidistanz in den Beziehungen zu Peking und Washington herstellen wolle.
Da die gleichzeitig mit Macron nach China gereiste EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen deutlich kritischere Worte gegenüber Peking fand, bezeichneten Beobachter das uneinheitliche Auftreten Europas als schädlich im Auftreten gegenüber der chinesischen Staatsführung.
Peking umgarnt Scholz und Macron
Vertreter der chinesischen Staatsführung versuchen schon seit Längerem, auf Berlin und Paris einzuwirken. Peking glaubt, dass Frankreich und Deutschland die Linie in Europa vorgeben. Entsprechend werden insbesondere der deutsche Bundeskanzler Scholz und Macron umgarnt.
„Baerbock muss bei ihrer Chinareise klarmachen, dass Macron nicht für Europa spricht“, sagt Janka Oertel, Direktorin des Asienprogramms beim European Council on Foreign Relations. Das sollte der Außenministerin aber nicht schwerfallen, so Oertel. „Sie muss nur die klare Linie, die sie schon lange vertritt, deutlich machen.“
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Neben Baerbock ist auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in dieser Woche zu Besuch in Peking. Eines der dominierenden Themen in Lulas wie in Baerbocks Gesprächen wird Chinas Rolle im Ukrainekrieg sein.
Brasilien hatte sich in dem Konflikt als Mediator angeboten. Auch China hatte zuletzt mit einem Positionspapier, das als Friedensplan für den Ukrainekrieg interpretiert wurde, für Aufsehen gesorgt.
Doch auch wenn China sich neutral gibt, steht es laut Beobachtern fest an der Seite Moskaus. Washington hat Peking wiederholt davor gewarnt, Moskau mit Waffen zu unterstützen. Anfang März sagte Bundeskanzler Scholz, seine Botschaft an Peking sei klar: „Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen.“
Taiwan als neuer möglicher Konflikt
Die deutsche Wirtschaft sieht es sehr ähnlich. China habe mit seiner Haltung im Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine viel Vertrauen in Deutschland und Europa verspielt, sagt BDI-Vertreter Niedermark. China müsse sich gegenüber Russland für die Einhaltung der Prinzipien der Vereinten Nationen und damit die Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine einsetzen, fordert er.
Zunehmend besorgt sind Beobachter auch über Chinas Auftreten in der Taiwan-Straße. Die chinesische Staatsführung betrachtet Taiwan als Teil ihres Territoriums, obwohl das Land nie zur 1949 gegründeten Volksrepublik gehört hat und über eine eigene, demokratisch gewählte Regierung und eigene Gesetze verfügt.
Erst vor wenigen Tagen hatte das chinesische Militär rund um Taiwan eine umfassende Blockade der Insel durch Schiffe und Flugzeuge geübt. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes äußerte sich am Mittwoch „sehr besorgt über die Lage in der Straße von Taiwan“ und rief explizit China dazu auf, zu Frieden und Stabilität in der Region beizutragen.
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„Peking erwartet ein klares Bekenntnis zur Ein-China-Politik“, sagt EU-Kammerchef Wuttke. Gemeint ist damit, dass Deutschland wie auch andere Staaten zugunsten diplomatischer Beziehungen zu Peking auf offizielle diplomatische Beziehungen zu Taipeh verzichtet.
„Aber es ist auch wichtig“, betonte Wuttke, „dass Baerbock klarmacht, dass Militärübungen so wie in den letzten Tagen irritierend sind. Käme es in Taiwan zum Krisenfall, würde das auch die europäische Wirtschaft massiv treffen.“
Europäische Unternehmen sind nicht nur von den in dem Land hergestellten Chips abhängig, sondern stellen auch die größten Investoren in Taiwan. Zudem gehen geschätzt rund 40 Prozent des Warentransports der EU durch die Straße von Taiwan.
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