Paris Das Schicksal der umstrittenen Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron liegt in den Händen des Verfassungsrats: Die neun Männer und Frauen wollen am Freitag ihre mit Spannung erwartete Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes verkünden, das unter anderem die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Drei Szenarien sind möglich: Die neun „Weisen“ können die Reform billigen, Änderungen verlangen oder das Gesetz ganz kippen.
Letztere Variante gilt allerdings als sehr unwahrscheinlich. Macron setzt darauf, dass das wichtigste innenpolitische Vorhaben seiner zweiten Amtszeit die Prüfung durch die Verfassungshüter weitgehend unbeschadet übersteht. Seine Regierung sieht zudem Anzeichen, dass die Proteste gegen die Reform allmählich abflauen.
Am Donnerstag veranstalteten die Gewerkschaften den mittlerweile zwölften nationalen Protesttag. Das französische Innenministerium ging nur noch von 400.000 bis 600.000 Demonstranten aus. Zu Hochzeiten der Protestbewegung waren landesweit mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen.
Auch die Beteiligung an den Streiks nimmt spürbar ab. Nach Angaben des französischen Bildungsministeriums legten am Donnerstag nur knapp fünf Prozent der Lehrer die Arbeit nieder. Der Zugverkehr verlief weitgehend normal, der Bahngesellschaft SNCF zufolge sollten drei von vier Fernzügen planmäßig fahren.
Die Gewerkschaften wollen aber weiter gegen die Rentenreform kämpfen – unabhängig von der Entscheidung des Verfassungsrats. „Die Mobilisierung wird so oder so fortgesetzt“, sagte die Chefin der Gewerkschaft CGT, Sophie Binet. „Wir können kein neues Kapitel aufschlagen, ehe die Reform zurückgezogen wird.“
Verfassungsrat könnte eine Bürgerinitiative zulassen
Die Entscheidung des Verfassungsrats wird am späten Freitagnachmittag erwartet – große Hoffnungen können sich Macrons Gegner aber nicht machen. Ernannt sind die neun Mitglieder des Rats vom Präsidenten sowie den Vorsitzenden der Nationalversammlung und des Senats, dem Oberhaus des Parlaments.
Seit Gründung der Fünften Republik in Frankreich 1958 hat das Gremium erst 17 Gesetze vollständig gekippt, bei denen es zudem nicht um so wichtige Fragen wie die Rentenreform ging. Das Rentengesetz komplett für verfassungswidrig zu erklären würde der Regierung bescheinigen, „dass sie sich seit Beginn des Gesetzgebungsprozesses außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegt hätte“, sagte der Politikwissenschaftler Bruno Cautrès. „Das ist schwer vorstellbar.“
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Denkbar ist, dass der Verfassungsrat eine von den linken Oppositionsparteien angestrengte Bürgerinitiative gegen die Reform grundsätzlich zulässt. Das wäre allerdings erst der Beginn eines langen Wegs hin zu einem möglichen Referendum – welches selbst bei einer Mehrheit gegen die Reform dann nicht zwangsläufig zu einer Rücknahme des Rentengesetzes führen würde.
Le Pen profitiert vom Rentenstreit
Als Profiteur des Rentenstreits gilt ohnehin nicht das den Gewerkschaften nahestehende Linksbündnis aus Unbeugsamen Frankreich, Grünen und Sozialisten, sondern die Rechtsaußen-Partei Rassemblement National von Marine Le Pen. Le Pen erscheint in Umfragen derzeit als aussichtsreichste Kandidatin für die Macron-Nachfolge, sollte sie bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2027 antreten.
Macron sagte am Mittwochabend während eines Staatsbesuchs in den Niederlanden, dass die Entscheidung des Verfassungsrats den „demokratischen Gang“ der Rentenreform abschließen werde. Der Präsident steht allerdings in der Kritik, weil er angesichts der fehlenden Mehrheit für sein Mitte-Bündnis in der Nationalversammlung das umstrittene Gesetz mit einer Sondervollmacht der Regierung am Parlament vorbei durchgesetzt hatte.
Dass der Streit über die Reform am Wochenende plötzlich Geschichte ist, glaubt Macron aber auch nicht. „Die Debatten in der Gesellschaft werden mit Sicherheit weitergehen“, sagte er. Den Gewerkschaften bot der Präsident für die Zeit nach der Entscheidung des Verfassungsrats einen Dialog an: „Das Land muss weiter vorankommen, arbeiten und sich den Herausforderungen stellen, die auf uns warten.“
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