Berlin Es ist eine weitreichende Entscheidung, die immer mehr junge Menschen treffen und öffentlich machen: Wegen der Klimakrise wollen sie keinen eigenen Nachwuchs bekommen. Die Bewegung nennt sich „Birthstrike“ oder Antinatalismus und findet viele vor allem weibliche Unterstützerinnen. Ihre Argumente: Neue Menschen auf dem Planeten bedeuteten noch mehr CO2-Ausstoß. Außerdem könne man es Kindern nicht mehr zumuten, auf einem vom Klimawandel gebeutelten Planeten aufzuwachsen.
Pro Kopf verursachen Menschen in Deutschland durchschnittlich den Ausstoß von knapp elf Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Das hat das Umweltbundesamt berechnet. Eine Studie der Universität Lund in Schweden legt sogar einen noch stärkeren Effekt nahe: Wer ein Kind weniger bekommt, vermeidet damit im Schnitt 58,6 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Die Studienautoren berücksichtigen dabei auch Kinder und Kindeskinder des Nachwuchses, sodass die Zahl besonders hoch ausfällt.
Doch längst nicht alle Menschen halten den Vergleich von einfachen Zahlen für ausreichend. Wieso Kinder auch Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel geben können, wie sich das Umweltbewusstsein durch sie verändert und wie ein ökologisch bewusstes Familienleben gelingt, darüber hat das Handelsblatt mit drei Müttern gesprochen.
Die „Zeit“-Autorin Cora Wucherer schreibt in einem kürzlich erschienenen Artikel über ihre Kinderlosigkeit: „Da könnt ihr noch so oft das Lastenrad nehmen oder eure Essensreste in selbst gemachte Wachstücher packen, sorry, meine CO2-Bilanz wird immer eine bessere sein als die von euch mit Kindern.“
Wie sie denken offenbar viele junge Menschen. In einer im Februar veröffentlichten Umfrage des online Marktforschungsinstituts Appinio unter 1.000 Befragten in Deutschland, gaben 26,4 Prozent der 16- bis 24-Jährigen an, ihren Kinderwunsch wegen der Klimakrise aufgegeben zu haben, für weitere 24,5 Prozent hat sich der Kinderwunsch abgeschwächt.
Kinderlos fürs Klima: Birthstrike oder nicht?
Doch es gibt noch eine andere Argumentation, mit der klimabewusste Frauen mit Kindern gegenhalten. Denn neben dem ökologischen Fußabdruck gibt es noch eine weitere, weit weniger beachtete Kategorie, den Einfluss eines Menschen auf das Klima zu beschreiben: den ökologischen Handabdruck.
Corinna Fischer, stellvertretende Bereichsleiterin für Produkte und Stoffströme am Institut für angewandte Ökologie in Freiburg, erklärt den Begriff so: „Damit wird beschrieben, wie wir Menschen durch unser Handeln zum Klimaschutz beitragen können.“ Und auf diesen Handabdruck hat die Familiengründung offenbar sogar einen positiven Einfluss.
Auch Anke Schmidt lebt klimabewusst – dafür hat die 37-Jährige sogar ihren Job in einem mittelständischen Unternehmen aufgegeben. Jetzt betreibt sie einen Onlineshop für nachhaltige Produkte und gibt Kurse zu ökologischem Handeln.
Sie kennt die Argumente der Antinatalisten. Doch trotz ihrer Sorge um die Klimakrise hat sich Schmidt bewusst dafür entschieden, eine Familie zu gründen.
Es ist gar nicht so lange her, da hatte sie noch sehr andere Prioritäten im Leben. „Ich wollte Karriere machen bis hoch in den Vorstand, dann meine eigene Firma gründen“, berichtet sie rückblickend. Doch irgendwann beschlich sie das Gefühl, dass sie in ihrem Job als Bereichsleiterin nicht so viel voranbringen konnte, wie ihr eigentlich lieb war. Schmidt startete einen eigenen Instagramkanal unter dem Namen „wastelesshero“, in dem sie sich mit Nachhaltigkeitsthemen beschäftigte.
Dann, eines Tages, offenbarte ihr ihre Frauenärztin, dass es mit einer Schwangerschaft wahrscheinlich schwierig werde. Ein Moment, in dem Schmidt sich mit ihrem Partner dazu entschloss, es trotzdem zu versuchen – mit Erfolg.
Kinder lassen Eltern ihr Leben hinterfragen
Mit der Geburt ihres ersten Kindes hinterfragte Schmidt ihre bisherigen Lebensentscheidungen noch stärker und entschied nach einem Jahr in Elternzeit, sich mit ökologisch nachhaltigen Produkten selbstständig zu machen.
Mittlerweile ist sie Mutter von zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahren. „Durch unsere Kinder wird uns erst bewusst, wie schützenswert unsere Erde ist“, sagt Schmidt.
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Jetzt beschäftigt sie sich in ihrer Familie viel mit der Frage, wo Lebensmittel herkommen, wie sie geteilt und weniger verschwendet werden. Außerdem setzt sie auf nachhaltige Geldanlage und kauft aus zweiter Hand. „Das spart Geld und kann auch für die Kinder gesünder sein, weil die Schadstoffe aus der Produktion dann nicht mehr vorhanden sind“, sagt sie.
Eine ähnliche Geschichte erzählt auch Alexandra Achenbach, die mit Mitte dreißig ihr erstes Kind bekam. „Für mich war die Schwangerschaft eine Art Wendepunkt“, sagt sie rückblickend. Erst dann habe sie begonnen, ihr Leben Schritt für Schritt umzustellen. „Meine Kinder waren und sind mein Bezug zur Zukunft, denn sie werden die Folgen meines Handelns ausbaden müssen“, sagt die promovierte Biologin.
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Sie versucht deshalb, ihren beiden Kindern im Alltag ein Vorbild zu sein, ihren Konsum einzuschränken und wann immer möglich, fair und ökologisch einzukaufen. Ihre Tipps und Erfahrungen teilt sie auch online auf einer Website mit dem Namen „livelifegreen“.
Darin schreibt sie über ein Osterfest ohne Plastik oder teilt Rezepte für selbst gesammelten Bärlauch. Ihre Hoffnung für ihre Kinder: „Vielleicht werden sie ja einmal als Aktivisten oder Politikerinnen wichtige Impulse für Veränderung geben.“
Wohnraum reduzieren spart CO2
Die Soziologin Claudia Fischer, selbst Mutter von drei Kindern ist, gibt zu bedenken, dass die Umstellung auf ein nachhaltiges Leben in manchen Bereichen ökologisch besonders ertragreich sein kann. Dazu zählt sie Wohnen, Mobilität und Ernährung.
„Die Wohnfläche pro Person ist heute doppelt so groß wie Ende der 1960er-Jahre“, gibt Fischer zu bedenken. Welche Auswirkungen das für den Ausstoß klimaschädlicher Stoffe hat, lässt sich über den CO2-Rechner des Umweltbundesamts nachvollziehen. Selbst bei einem energetisch sanierten Haus mit Ökostrom macht die Verdopplung der Wohnfläche von 30 auf 60 Quadratmeter einen Unterschied von 100 Kilogramm CO2 pro Person und Jahr aus.
„Vor diesem Hintergrund kann ich mich als Eltern natürlich fragen, ob ich ein neues Haus auf der grünen Wiese errichten will oder lieber in Bestand ziehe oder sogar in ein Wohnprojekt, in dem Gemeinschaftsräume geteilt werden“, sagt Fischer.
Sie selbst lebt in einer Wohnung in der Großstadt und hat trotz oder gerade wegen ihrer Kinder nie ein Auto besessen. „Das ist auf dem Land natürlich schwieriger“, gibt sie zu. Außerdem ernährt sie sich vegetarisch. Ein Faktor, der im Vergleich zu fleischbetonter Ernährung laut Rechner des Umweltbundesamts einen Unterschied von rund 900 Kilogramm CO2 pro Jahr ausmacht.
Natürlich hätten auch ihre Kinder irgendwann angefangen, die nachhaltige Lebensweise zu hinterfragen, berichtet sie – etwa wenn ihre Freunde mit dem Auto abgeholt wurden. „Ich habe ihnen dann erklärt, wieso wir so leben, und das fanden sie nachvollziehbar“, sagt Fischer. Am Ende könne man als Eltern ohnehin nur Vorbild sein – „irgendwann sind die Kinder dann alt genug, um sich selbst ein Urteil zu bilden“.
<< Den vollständigen Artikel: Birthstrike: Keine Kinder fürs Klima? Warum drei Frauen das für falsch halten >> hier vollständig lesen auf www.handelsblatt.com.